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VwGH vom 18.12.2012, 2012/09/0020

VwGH vom 18.12.2012, 2012/09/0020

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des V B in S, vertreten durch Dr. Franz Unterasinger, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Radetzkystraße 8/I, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission für öffentlich-rechtliche Gemeindebedienstete vom , Zl. 3-ALLG-2208/20- 2011, betreffend Disziplinarstrafe nach dem Kärntner Gemeindebedienstetengesetz (weitere Partei: Kärntner Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Kärnten hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Stadtgemeinde V.

Mit Bescheid der Disziplinarkommission für öffentlichrechtliche Gemeindebedienstete beim Amt der Kärntner Landesregierung vom wurde der Beschwerdeführer vom Vorwurf, als Gemeindebediensteter und Standesbeamter ("er war mitunter für die Einhebung von Bundesgebühren und Landesverwaltungsabgaben zuständig") im Zeitraum 2003 bis 2009 Bundesgebühren und Landesverwaltungsabgaben in der Höhe von insgesamt EUR 3.972,10 nicht ordnungsgemäß einbehalten und abgeführt zu haben, mangels Schuldfähigkeit freigesprochen. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass nach den eingeholten Gutachten der Amtssachverständigen Dr. GH und des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. EO der Disziplinarbeschuldigten "zum Zeitpunkt der Tat" unter verschiedenen dissoziativen psychogenen Störungen, unter anderem einer dissoziativen Amnesie (Erinnerungsverlust) sowie einer Dyskalkulie (Kalkulationsstörung), gelitten habe und deshalb vom Fehlen seiner Zurechnungsfähigkeit auszugehen sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis sprach die belangte Behörde - in teilweiser Stattgebung der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung des Disziplinaranwaltes - nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung aus:

"Der Disziplinarbeschuldigte hat in den Zeiträumen zwischen den - im zurechnungsausschließenden Zustand begangenen - Manipulationen des Gebührenverzeichnisses durch Missachtung der geltenden Rechtsordnung seine Dienstpflichten im Sinne des § 17 K-GBG verletzt. Gemäß § 55 Abs. 1 Z 3 K-GBG wird als Disziplinarstrafe eine Geldstrafe

in Höhe eines Nettomonatsbezuges, das sind EUR 1.546,24,

unter Ausschluss der Kinderzulage verhängt."

In ihrer Bescheidbegründung stellte die belangte Behörde nach Darlegung des Verfahrensganges Folgendes fest: (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof):

"Bereits im Verfahren vor der Disziplinarkommission wurde festgestellt, dass der Disziplinarbeschuldigte in rechtswidriger Weise seine Dienstpflichten verletzt hat, indem er im Zeitraum 2003 bis 2009 Bundesgebühren und Landesverwaltungsabgaben in der Höhe von insgesamt EUR 3.972,10 nicht ordnungsgemäß einbehalten und abgeführt hat. Konkret hat der Disziplinarbeschuldigte im Überprüfungszeitraum in etlichen Fällen die im Gebührenverzeichnis jeweils am Ende der Seite zusammengerechnete Seitensumme (Gebührensumme) in verringertem Umfang auf die jeweils nächste Seite übertragen. Zusätzlich wurde genau jener Betrag der Kasse entnommen bzw. war auch niemals ein Überschuss in der Kasse, wodurch dieses Vorgehen erst sehr spät durch eine stichprobenartige Überprüfung aufgedeckt werden konnte. Gegen diese Feststellung wurde von keiner Partei - weder im Verfahren vor der Disziplinarkommission noch im Verfahren vor der Disziplinaroberkommission - Einwände erhoben. Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor der Disziplinaroberkommission, wurde vom Disziplinarbeschuldigten bestätigt, die Verantwortung für das Zustandekommen der Fehlbeträge zu übernehmen. Eine Klärung der Frage was mit dem Fehlbetrag geschehen ist, konnte auch in der mündlichen Verhandlung nicht zustande kommen. Die im Rahmen des Verfahrens in erster Instanz eingeholten Sachverständigengutachten attestierten dem Disziplinarbeschuldigten aufgrund einer dissoziativen Störung eine Schuldunfähigkeit in den Zeitpunkten der Tat.

Im Rahmen des Verfahrens in zweiter Instanz wurde ein weiteres Sachverständigengutachten von Dr. (MN) eingeholt, welches von den Ausführungen der ersten beiden Gutachten teilweise abwich. Zwar bekräftigte der Sachverständige Dr. (MN), dass der Disziplinarbeschuldigte keine Verantwortlichkeit bei den Tathandlungen aufweisen konnte, dies jedoch aufgrund einer Impulskontrollstörung. Er hat die Tathandlungen - das Manipulieren des Gebührenverzeichnisses - somit in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand gesetzt. Jedoch räumte der Sachverständige Dr. (MN) in der mündlichen Verhandlung ein, dass der Disziplinarbeschuldigte zwischen den Tathandlungen sehr wohl zurechnungsfähig war und das Unrecht seiner Taten einsehen musste.

Disziplinär ist somit insbesondere das Verhalten des Disziplinarbeschuldigten, als Verantwortlichen für die Kasse, in den Zeiträumen zwischen den Manipulationsvorgängen bzw. den Zeitpunkten in denen Geld aus der Kasse entnommen wurde, zu beurteilen.

Der maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem vorgelegten Gesamtakt, dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens, den Sachverständigengutachten sowie der Befragungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung."

Nach Zitierung der maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen setzte die belangte Behörde fort:

"Die Berufung des Disziplinaranwaltes richtet sich gegen die von der Disziplinarkommission angenommene Nachvollziehbarkeit der Gutachten von Dr.(GH) und Dr. (EO) sowie den durch Unterlassen der Einholung eines weiteren Gutachtens begangenen Verfahrensfehler und die deshalb zu unrecht angenommene Schuld- bzw. Zurechnungsunfähigkeit des Disziplinarbeschuldigten.

Das seitens der Disziplinaroberkommission eingeholte neuropsychiatrische Sachverständigengutachten des Dr. (MN) geht von einer Impulskontrollstörung des Disziplinarbeschuldigten und in Anbetracht des langen Tatzeitraums eher von einer erheblichen

' ... Beeinträchtigung der Dispositionsfähigkeit ...'

allerdings nicht ' .. von deren völliger Aufhebung ...' aus. In der mündlichen Verhandlung bekräftigte der Sachverständige Dr. (MN), dass der Disziplinarbeschuldigte zwar keine Verantwortlichkeit bei den Tathandlungen aufweisen konnte, er jedoch zwischen den Tathandlungen durchaus Unrechtsbewusstsein empfunden haben musste. Somit seien Einsichtsfähigkeit und Unrechtsbewusstsein des Disziplinarbeschuldigten zwar grundsätzlich gegeben gewesen, jedoch habe es phasenweise an der Fähigkeit gefehlt, sich gemäß dieser Einsicht entsprechend zu verhalten. In den Phasen; in denen ihm die Ergebnisse der Tathandlungen (überschüssiges Geld in der Kasse) bewusst geworden sind, hätte er jedenfalls die Einsicht der Unrechtmäßigkeit der Tathandlungen gehabt. Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen, gekoppelt mit der Tatsache, dass der Disziplinarbeschuldigte den Übertrag im Gebührenverzeichnis immer zu seinen Gunsten veränderte und exakt der Differenzbetrag aus der Kasse entnommen wurde, kommt die Disziplinaroberkommission ohne Zweifel zum Schluss, dass eine Zurechnungsfähigkeit bzw. Schuldfähigkeit des Disziplinarbeschuldigten zwischen den Tatzeitpunkten jedenfalls bestanden hat. In den Zeiträumen zwischen den Tathandlungen hätte der Disziplinarbeschuldigte sein Unrecht jedenfalls erkennen und die ihm gesetzlich vorgeschriebene Verhaltensweise - zumindest die Verständigung des Dienstvorgesetzten über die Vorfälle - einhalten müssen. Der Disziplinarbeschuldigte hat in den Zeiträumen zwischen den Tathandlungen durch Missachtung der geltenden Rechtsordnung die öffentlichen Interessen sowie die Verpflichtung, sein Amt gewissenhaft, unparteiisch und uneigennützig zur erfüllen, verletzt und somit Dienstpflichtverletzungen begangen. Die vom Rechtsvertreter des Disziplinarbeschuldigten argumentierte Zurechnungsunfähigkeit des Disziplinarbeschuldigten im Zeitpunkt der Tat, trifft zwar gemäß den Ausführungen des Sachverständigen zu, lässt jedoch vor dem Hintergrund der rechtlichen Ausführungen zur Missachtung der Rechtsordnung in Gesamtschau mit den zwischen den Tathandlungen liegenden Zeitabschnitten (bei voller Zurechnungsfähigkeit) maximal eine verminderte Zurechnungsfähigkeit als begünstigenden Einwand zu. Diese verminderte Zurechnungsfähigkeit '..spielt ...' jedoch ' … höchstens als Strafmilderungsgrund eine Rolle' (Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten, S. 39, mwN.).

Die vom Disziplinarbeschuldigten begangene Dienstpflichtverletzung ist diesem somit aufgrund der gegebenen Schuldfähigkeit in den Zeitabschnitten zwischen den Tathandlungen zuzurechnen."

Im Weiteren legte die belangte Behörde ihre Strafbemessungsgründe dar, wobei sie u.a. "die zu den Tatzeitpunkten verminderte bzw. nicht vorhandene Zurechnungsfähigkeit" als Milderungsgrund wertete.

Der Verwaltungsgerichthof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens sowie Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 17 Abs. 1 des Gemeindebedienstetengesetzes 1992 - K-GBG, LGBl. Nr. 56 idgF, hat sich der öffentlich-rechtliche Bedienstete mit voller Kraft und allem Eifer dem Dienste zu widmen und die Pflichten seines Amtes gewissenhaft, unparteiisch, uneigennützig zu erfüllen, jederzeit auf die Wahrung der öffentlichen Interessen Bedacht zu sein, sowie alles zu vermeiden und hintanzuhalten, was diesen abträglich seien oder den geordneten Gang der Verwaltung beeinträchtigen könnte. Hiebei ist er an die bestehenden Gesetze, Verordnungen und Dienstanweisungen gebunden.

Gemäß § 60 AVG, der gemäß § 67 AVG auch für Berufungsbescheide gilt, sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (§§ 37 ff AVG), die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Dies erfordert in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrundegelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/07/0184).

Die genannte Zusammenfassung wird in Bezug auf die Beweiswürdigung kurz ausfallen können, wenn keine einander widersprechenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vorliegen. Bei Widersprüchen zwischen den Behauptungen und Angaben der Verfahrenspartei und sonstigen Ermittlungsergebnissen bedarf es aber einer klaren und übersichtlichen Zusammenfassung der maßgeblichen, bei der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen, damit der Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung der Behörde auf ihre inhaltliche Rechtmäßigkeit überprüfen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/08/0106). Nicht oder unzureichend begründete Bescheide hindern insoweit den Verwaltungsgerichtshof, seiner Rechtskontrollaufgabe, wie sie im § 41 Abs. 1 VwGG zum Ausdruck kommt, zu entsprechen, als derartige Bescheide inhaltlich auch keine Überprüfung "auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes" zulassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/08/0020).

Im vorliegenden Fall wird der angefochtene Bescheid diesen Anforderungen - wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt - insoweit nicht gerecht, als die belangte Behörde jegliche beweiswürdigende Erwägungen dazu unterlässt, warum sie dem von ihr eingeholten weiteren Sachverständigengutachten von Dr. MN mehr Beweiskraft zur Frage der Zurechnungsfähigkeit beigemessen hat als den im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten, welche dem Beschwerdeführer eine (undifferenzierte) Belastungssituation im Zeitraum 2003 bis 2009 attestierten und worin Dr. GH zur (zusammenfassenden) Beurteilung gelangte, dass dem Beschwerdeführer "aus medizinischer Sicht seine Schuldfähigkeit während des Tatzeitraumes 2003 bis 2009 nicht angelastet werden kann." Im Übrigen kann auch der Argumentation der belangten Behörde nicht gefolgt werden, wenn diese - dem Gutachten Dris. MN folgend - die Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers "zu den Tatzeitpunkten" verneint und es ihm aber zum Vorwurf macht, dass er "zwischen den Tathandlungen sehr wohl zurechnungsfähig gewesen sei und das Unrecht der Tat einsehen hätte müssen". Darüber hinaus hätte es bei einer Auseinandersetzung mit den widersprüchlichen Gutachten auch näherer Feststellungen zu den (konkreten) Tatzeitpunkten bzw. Ausführungen dazu bedurft, auf Grund welcher Umstände dazwischen Situationen vorgelegen seien, in welchen der Beschwerdeführer (gegebenenfalls) das Unrecht erkennen hätte können und ihm diesfalls die Unterlassung der (nachträglichen) Meldung zum Vorwurf zu machen sei. Der Spruch des angefochtenen Bescheides enthält auch keinen Tatzeitraum und ebenso wenig Ausführungen dazu, worin die "Missachtung der geltenden Rechtsordnung" liegt, womit er den Anforderungen an die Tatumschreibung nicht genügt (vgl. dazu u.a. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/09/0262).

Es ist daher als eine Verletzung von Verfahrensvorschriften zu werten, wenn sich die belangte Behörde mit ihrer Einschätzung der (teilweisen) Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers auf die Beurteilung des Sachverständigen Dr. MN beruft, ohne die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten erstinstanzlichen Gutachten und die darin enthaltenen Ausführungen betreffend die (zeitlich uneingeschränkte) Zurechnungsunfähigkeit auf fachlich begründete Weise zu würdigen. Liegen einander widersprechende Gutachten mehrerer Sachverständiger vor, so ist nämlich in der Begründung des Bescheides anzugeben, welche Erwägungen dafür maßgebend waren, das eine Beweismittel dem anderen vorzuziehen (vgl. die zu § 45 AVG ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, etwa vom , Zl. 92/07/0076, oder vom , Zl. 2005/12/0221).

Der angefochtene Bescheid leidet sohin insgesamt an wesentlichen Begründungsmängeln, die eine nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof hindern, und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverodnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
ZAAAE-71959