VwGH vom 22.03.2018, Ra 2017/01/0359
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision der M I P in G, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom , Zl. LVwG 30.3-3160/2016-7, betreffend Übertretung des Versammlungsgesetzes 1953 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Steiermark), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Steiermark vom wurde über die Revisionswerberin wegen Übertretung des § 2 Abs. 1 Versammlungsgesetz 1953 (VersG) gemäß § 19 leg. cit. eine Geldstrafe von EUR 200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von drei Tagen) verhängt. Die Revisionswerberin habe es als "Veranstalterin" einer nach Zweck, Ort und Zeit näher bezeichneten, öffentlich zugänglichen Versammlung unterlassen, diese Versammlung spätestens 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung der zuständigen Behörde schriftlich anzuzeigen.
2 Die gegen dieses Straferkenntnis erhobene Beschwerde, in welcher die Revisionswerberin ua. ihre Eigenschaft als Versammlungsveranstalterin bestritten hatte, wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom "dem Grunde nach" als unbegründet ab, setzte jedoch die verhängte Strafe auf EUR 70,-- herab (A.). Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt (B.).
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, am sei eine näher genannte, bei der Behörde nicht angezeigte, Versammlung ("Für Selbstbestimmungsrecht von Frauen bei Abtreibungen") - als Gegendemonstration zu einer anderen, ebenfalls nicht angezeigten Versammlung ("Kundgebung für das Leben ungeborener Kinder") - abgehalten worden. Die Revisionswerberin habe an dieser "Spontanversammlung" teilgenommen, nachdem sie mittels SMS darauf aufmerksam gemacht worden sei. Während der Demonstration habe die Revisionswerberin Durchsagen per Megaphon getätigt und andere Demonstrationsteilnehmer zum Mitrufen von Parolen animiert. Nach dem Ende der Demonstration habe sie Utensilien wie Fahnen und Transparente von anderen Demonstrationsteilnehmern eingesammelt und mitgenommen.
4 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, da es sich bei der gegenständlichen Demonstration "unbestrittenermaßen" um eine Spontanversammlung gehandelt habe, habe es naturgemäß keine Einberuferin, Organisatorin bzw. Initiatorin der Versammlung gegeben. Die Revisionswerberin habe aber nicht bloß geringfügige Unterstützungshandlungen bei der Durchführung der Versammlung getätigt. Deshalb komme der Revisionswerberin Veranstaltereigenschaft zu.
5 Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der dagegen von der Revisionswerberin erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom , E 536/2017-8, ab. Begründend wurde ausgeführt, dass die gerügten Rechtsverletzungen im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes wären. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beantwortung insbesondere der Frage, ob das Verwaltungsgericht zu Recht die Veranstaltereigenschaft der Revisionswerberin einer nicht angezeigten Versammlung angenommen habe, nicht anzustellen.
6 Mit weiterem Beschluss vom , E 536/2017-11, trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
7 Die Revisionswerberin erhob in der Folge die gegenständliche außerordentliche Revision.
8 Die belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit ua. vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Person als Veranstalter einer Versammlung im Sinne des § 2 Abs. 1 VersG zu qualifizieren ist. In den Revisionsgründen wird mit näherer Begründung ausgeführt, dass die Beurteilung der Veranstaltereigenschaft der Revisionswerberin auf einer Verkennung der Rechtslage beruhe.
11 Die Revision ist zulässig (zur Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes außerhalb des Kernbereichs der Versammlungsfreiheit vgl. jüngst ) und berechtigt.
12 Die im Revisionsfall maßgeblichen Bestimmungen des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98 (WV), idF BGBl. I Nr. 161/2013 (VersG), lauten:
"§ 2. (1) Wer eine Volksversammlung oder überhaupt eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste veranstalten will, muß dies wenigstens 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde (§ 16) schriftlich anzeigen. Die Anzeige muß spätestens 24 Stunden vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung bei der Behörde einlangen.
(2) ...
§ 19. Übertretungen dieses Gesetzes sind, insofern darauf das allgemeine Strafgesetz keine Anwendung findet, von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, aber von der Landespolizeidirektion, mit Arrest von sechs Wochen oder mit Geldstrafe bis zu 720 Euro zu ahnden."
13 Bei der vorliegenden "Gegendemonstration" handelt es sich unstrittig um eine "Versammlung" im Sinne des VersG, dh. um eine Zusammenkunft mehrerer Menschen, die in der Absicht veranstaltet wurde, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen, sodass eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht. Im Falle einer nicht angezeigten Zusammenkunft ist für das Vorliegen einer Versammlung jenes Bild maßgeblich, das sich den einschreitenden Organen an Ort und Stelle bietet (vgl. , und , 2009/17/0047, jeweils unter Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes; vgl. allgemein zum Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ).
14 Zunächst kann dahin gestellt bleiben, ob die gegenständliche Demonstration tatsächlich als "Spontanversammlung" zu qualifizieren ist. Darunter sind nämlich solche Versammlungen zu verstehen, die sich ohne vorherige Einladung oder sonstige Absprache bilden, dh. zufällige Zusammentreffen oder Ansammlungen von Menschen, bei denen sich die Anwesenden entschließen, zum Zweck eines gemeinsamen Wirkens zusammenzubleiben. Bei derartigen Spontanversammlungen fallen daher Entschluss zur und Durchführung der Versammlung unmittelbar zusammen (vgl. Eigner/Keplinger, Versammlungsrecht, 3. Aufl. (2015) S. 71).
15 Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liegt eine Spontanversammlung darüber hinaus auch dann vor, wenn die fristgerechte Anzeige nach § 2 Abs. 1 VersG bei der Behörde unmöglich ist, ohne den Versammlungszweck zu gefährden (VfSlg. 14.366/1995; vgl. zur Qualifikation einer nicht angemeldeten Versammlungen als "Spontanversammlung" auch , und ).
16 Ob nach einer der genannten Varianten im Revisionsfall eine Spontanversammlung vorlag, lässt sich nach den - insoweit nicht aussagekräftigen - Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis nicht beurteilen.
17 Es handelte sich jedenfalls um eine Versammlung, deren Abhaltung entgegen der Vorschrift des § 2 Abs. 1 VersG nicht (wenigstens 24 Stunden zuvor) der Behörde schriftlich angezeigt wurde. Fraglich ist, ob die Revisionswerberin als Veranstalterin dieser Versammlung anzusehen ist.
18 Als Veranstalter einer Versammlung kann nur auftreten, wer Rechtspersönlichkeit besitzt, also neben einer natürlichen Person etwa ein Verein oder eine politische Partei (vgl. etwa VfSlg. 11.258/1987 und VfSlg. 19.852/2014, jeweils mwN).
19 Veranstalter einer Versammlung im Sinne des VersG ist eine natürliche oder juristische Person, die die Versammlung einberuft, also zu ihr einlädt oder sie organisiert; das ist der Einberufer, Organisator (vgl. dazu auch ), Initiator oder Planer der Versammlung. Veranstalter ist sohin, wer in den potenziellen Teilnehmern den Willen zum Sichversammeln hervorrufen will, was regelmäßig in Form einer Einladung (durch Plakate, persönliches Anschreiben, Aufrufe in Zeitschriften, im Internet etc.) erfolgt. Bloß geringfügige Unterstützungshandlungen bei der Organisation und Durchführung der Versammlung begründen keine Veranstaltereigenschaft. Der Veranstalter muss an der (späteren) Versammlung auch nicht teilnehmen (vgl. zu all dem Eigner/Keplinger, Versammlungsrecht3 (2015) S. 96).
20 Den Veranstalter trifft die - durch § 19 VersG verwaltungsstrafrechtlich sanktionierte - Pflicht, die Versammlung gemäß § 2 Abs. 1 VersG anzuzeigen (vgl. ). Bei ordnungsgemäß angezeigten Versammlungen (§ 2 Abs. 1 VersG) gilt daher als Veranstalter, wer in der Versammlungsanzeige als solcher auftritt (vgl. Fessler/Keller, Vereins- und Versammlungsrecht3 (2013) S. 271).
21 Wird eine Versammlung - wie im Revisionsfall - nicht angezeigt, ist zunächst jene Person als Veranstalter anzusehen, die nach den dargelegten Grundsätzen in den anderen Versammlungsteilnehmern den Willen zum Sichversammeln hervorgerufen hat. Darüber hinaus gilt als Veranstalter auch eine Person, die in der Öffentlichkeit (vgl. VfSlg. 14.773/1997: Pressemitteilung über eine "Protestkundgebung") oder gegenüber der Behörde als solcher auftritt vgl. Eigner/Keplinger, aaO. S. 96 f), weiters, wer eine führende Rolle in der Versammlung einnimmt (vgl. Fessler/Keller, aaO).
22 Die bloße Teilnahme an einer nicht ordnungsgemäß angezeigten Versammlung ist nicht nach § 19 VersG strafbar (vgl. Eigner/Keplinger, aaO., S. 297; ).
23 Für den Revisionsfall ergibt sich daraus:
24 Die Revisionswerberin nahm an der genannten Versammlung ("Gegendemonstration") teil, nachdem sie festgestelltermaßen auf diese mittels SMS-Nachricht "aufmerksam gemacht" worden war. Ungeachtet des Umstandes, dass das Verwaltungsgericht keine näheren Feststellungen über Zeitpunkt, Inhalt und Absender der SMS getroffen hat - es sohin unklar ist, ob damit (vorab) eine Einladung zur Versammlung oder eine bloße Verständigung zB. durch Teilnehmer der (bereits im Gang befindlichen) Demonstration erfolgte - kommt damit jedenfalls die Revisionswerberin nicht als Einberuferin, Planerin oder Organisatorin der Versammlung in Betracht.
25 Die vom Verwaltungsgericht weiters festgestellten Unterstützungshandlungen der Revisionswerberin während bzw. am Ende der Versammlung - (nicht näher bestimmte) Megaphondurchsagen bzw. das bloße Einsammlen von Transparenten - sind indes als zu geringfügig anzusehen, um eine Veranstaltereigenschaft annehmen zu können. Eine führende Rolle der Revisionswerberin in der Versammlung - etwa durch Bestimmung der Richtung des Demonstrationszuges; Aufruf, behördliche Anordnungen zu befolgen bzw. nicht zu befolgen; Bestimmung des Zeitpunkts der Beendigung der Versammlung etc. - lässt sich aus den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen nicht ableiten.
26 Die Bestrafung der Revisionswerberin als Veranstalterin (wegen unterlassener Anzeige der Versammlung) im Sinne des § 2 Abs. 1 VersG erfolgte sohin schon aus diesem Grund zu Unrecht. Auf das weitere Revisionsvorbringen - nämlich, ob die Unterlassung der Versammlungsanzeige allenfalls gemäß § 6 VStG gerechtfertigt war (vgl. dazu ebenfalls , mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes) - war daher nicht weiter einzugehen.
27 Das angefochtene Erkenntnis ist sohin mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
28 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017010359.L00 |
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