VwGH vom 22.03.2011, 2007/21/0196
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des T, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom , Zl. Fr 278/2005, betreffend Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 41,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am legal in das Bundesgebiet ein und stellte am einen Asylantrag. Dieser wurde mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid des Bundesasylamtes vom abgewiesen; gleichzeitig wurde gemäß § 8 Asylgesetz 1997 festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei zulässig sei.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen, weil er eine Scheinehe eingegangen sei. Die dagegen erhobene Berufung wurde von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark mit Bescheid vom abgewiesen.
Mit Eingabe vom beantragte der Beschwerdeführer, festzustellen, dass seine Abschiebung in die Türkei aus Gründen seiner "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe bzw. Rasse/Nationalität, wegen der er in der Türkei bedroht wäre, allenfalls auch wegen seiner politischen Ansichten" unzulässig sei. Der Beschwerdeführer sei Kurde und habe sich während seines bisherigen Aufenthaltes in Österreich mit den Vorstellungen einer eigenständigen kurdischen Nation auf dem türkischen Territorium "vertraut gemacht". Er besuche bereits seit geraumer Zeit Veranstaltungen des Vereins K und sei auch Mitglied dieses Vereins. Als amtsbekannt könne vorausgesetzt werden, dass die Mitglieder dieses Vereins von den türkischen Behörden als Separatisten angesehen würden und in der Türkei Separatismus mit "entsprechenden strafrechtlichen Konsequenzen" geahndet werde. Bei seiner Einvernahme am gab der Beschwerdeführer an, dass er regelmäßig beim kurdischen Verein sei und an allen seinen Demonstrationen teilgenommen habe. Er fürchte, dass unbekannte "Männer in Zivil" in der Türkei, die bei seiner Mutter nach ihm gefragt hätten, darüber informiert seien. Er habe deshalb große Angst, in die Türkei zurückzukehren. Vielleicht würde behauptet, dass er zur PKK gehöre. Er wisse dann nicht, was mit ihm geschehe. Der einzige Beweis, den er nachbringen könnte, sei eine Bestätigung des Vereins, dass er eingetragenes Mitglied sei.
Die Bundespolizeidirektion Graz stellte mit Bescheid vom fest, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, der Beschwerdeführer sei in der Türkei gemäß § 50 Abs. 1 oder 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG bedroht . Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine Bedrohung oder Verfolgung im Heimatstaat glaubhaft zu machen. Es erscheine auch äußerst widersprüchlich, dass er trotz behaupteter Bedrohung Kontakt mit der Vertretungsbehörde seines Heimatstaates aufgenommen habe, die ihm in weiterer Folge ohne weiteres ein Reisedokument ausgestellt habe. Eine Einsichtnahme in das Vereinsregister hinsichtlich des Vereins K habe ergeben, dass der Beschwerdeführer weder im Vorstand namentlich aufscheine noch sonst irgendeine Funktion ausübe. Somit sei es nicht nachvollziehbar, wie die türkischen Behörden über eine allfällige Mitgliedschaft Kenntnis erlangt haben sollten. Überdies habe der Beschwerdeführer selbst angegeben, dass er gar nicht wisse, was mit ihm im Fall seiner Rückkehr geschehen würde; somit liege lediglich eine bloße Vermutung vor, aus welcher keine Gefährdung oder Bedrohung im Sinn des § 50 Abs. 1 und/oder 2 FPG abgeleitet werden könne.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass er zwar nur einfaches Mitglied des Vereins K sei, dass für eine etwaige Gefährdungssituation bei seiner Rückkehr in die Türkei aber nicht seine Funktion im Verein von ausschlaggebender Bedeutung sei. Es könne als amtsbekannt vorausgesetzt werden, dass der Verein K von Seiten der staatlichen Behörden in Österreich als verlängerter Arm der PKK betrachtet werde, was die Staatspolizei dazu veranlasse, sämtlichen vom Verein getätigten Veranstaltungen durch Zivilpolizisten beizuwohnen; es sei daher auch als amtsbekannt zu betrachten, dass "von Seiten der Zivilpolizei" bei derartigen Veranstaltungen ausführliche und umfangreiche Berichte verfasst würden, in denen sowohl die Aktivitäten der Mitglieder als auch die Organisation der jeweiligen Veranstaltungen ausführlich dargelegt würden, und diese Berichte in weiterer Folge der türkischen Regierung bzw. den zuständigen türkischen Behörden zur Verfügung gestellt würden. Die Teilnehmer an den Veranstaltungen würden darüber hinaus auch fotografisch dokumentiert.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (die belangte Behörde) die Berufung ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Sie verwies auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides und erklärte diese zum Inhalt ihres Bescheides. Ergänzend wies sie darauf hin, dass der Beschwerdeführer im Asylverfahren eine Mitgliedschaft in einer Partei oder parteiähnlichen Organisation verneint habe. In der Folge gab sie auszugsweise die Statuten des Vereins K wieder (demnach ist Vereinszweck im Wesentlichen die "Unterstützung bzw. Bewahrung und Förderung der anatolischen Kultur für die in Graz lebenden Volksgruppen aus Anatolien"). Es sei für die Berufungsbehörde nicht erkennbar, dass dieser Verein ein verlängerter Arm der PKK sei und der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr in die Türkei durch die Vereinsmitgliedschaft irgendeine Bedrohung zu erwarten hätte. Die in der Berufung aufgezeigte angebliche Vorgangsweise der Staatspolizei - der Beschwerdeführer habe wohl das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung gemeint - habe bei der belangten Behörde keine Bestätigung gefunden. Auf Grund der vorgelegten aktuellen Statuten des Vereins K sehe die belangte Behörde keinen Anlass für "diese von Ihnen aufgezeigten Ermittlungstätigkeiten". Weder im gesamten Asylverfahren noch im gegenständlichen fremdenpolizeilichen Verfahren habe der Beschwerdeführer stichhaltige Gründe dafür vorbringen können, dass er bei einer etwaigen Rückkehr in seinen Heimatstaat im Sinn des § 50 Abs. 1 oder 2 FPG bedroht sei.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 51 Abs. 1 FPG (in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 122/2009) hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung iSd § 50 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FPG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mit konkreten, die Person des Fremden betreffenden, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 50 Abs. 1 oder 2 FPG im Verfahren gemäß § 51 FPG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0451, mwN).
Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Beschwerdeführers zu einer angeblichen Gefährdung bei einer Rückkehr in die Türkei - wie die belangte Behörde im Ergebnis zutreffend erkannte - nicht gerecht.
Gegen die Beurteilung der belangten Behörde, dass er keine stichhaltigen Gründe für eine Bedrohung im Sinn des § 50 (Abs. 1 und 2) FPG habe vorbringen können, wendet er sich in der Beschwerde im Wesentlichen mit dem Argument, es sei maßgeblich, ob die türkischen Behörden zu dem Schluss kämen, dass der Verein als verlängerter Arm der PKK anzusehen sei, und nicht, ob dies für die belangte Behörde auf Grund der Vereinsstatuten erkennbar sei. Die belangte Behörde hätte im Rahmen ihrer Ermittlungspflicht dem Vorbringen des Beschwerdeführers nachgehen müssen, wonach auch das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung derartige Annahmen "in Verfahren" vertreten habe. Weiters verweist der Beschwerdeführer auf ein Gutachten von Amnesty International Deutschland, wonach die von kurdischen Exilorganisationen (um welche es sich dabei handelt, ist nicht ersichtlich) unternommenen Aktivitäten vom türkischen Geheimdienst beobachtet würden; es sei davon auszugehen, so der Beschwerdeführer, dass dieser Umstand auch dem Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung nicht verborgen geblieben sei.
Der Beschwerdeführer muss sich aber entgegenhalten lassen, dass er im Verwaltungsverfahren nur auf seine (bloße) Mitgliedschaft im Verein K, die Teilnahme an dessen (nicht näher beschriebenen) Veranstaltungen und die angebliche - nicht belegte -
Weitergabe von Informationen über die Vereinsaktivitäten durch österreichische Behörden an die Türkei verwiesen hat. In diesem Zusammenhang hat er zwar auch behauptet, dass der Verein von den österreichischen Behörden als verlängerter Arm der PKK angesehen werde, und es ist ihm zuzugestehen, dass allein die Vereinsstatuten nicht ausreichen, um das Bestehen einer solchen Einschätzung - sei es durch die österreichischen, sei es durch die türkischen Behörden - widerlegen zu können. Er hat aber weder ein tatsächliches Vorgehen der türkischen Behörden gegen (ehemalige) Mitglieder behauptet noch Beispiele für konkrete, insbesondere politische Aktivitäten des Vereins angeführt, die - anders als der in den Statuten angeführte Vereinszweck - vermuten ließen, dass der Verein für die türkischen Behörden verdächtig sein könnte. Angesichts dessen war die belangte Behörde nicht gehalten, von sich aus weitere Ermittlungen zur Einschätzung des Vereins durch die türkischen Behörden oder zur Erfassung und Weitergabe von Daten der Mitglieder - durch österreichische Behörden oder (wie erstmals in der Beschwerde geäußert) durch den türkischen Geheimdienst - anzustellen.
Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
FAAAE-71931