VwGH 24.04.2012, 2012/09/0003
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | AuslBG §1 Abs2 litm idF 2005/I/101; AuslBG §1 Abs2 litm idF 2011/I/025; AuslBG §3 Abs8; AVG §56; VwRallg; |
RS 1 | Eine Ausnahme vom Geltungsbereich des AuslBG gemäß dessen § 1 Abs. 2 lit. m kann nur unter der Voraussetzung angenommen werden, dass dem drittstaatsangehörigen Ehepartner ein Aufenthaltstitel nach dem NAG 2005 erteilt wurde, der zur Niederlassung im Bundesgebiet und zur Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt; der Erteilung eines Aufenthaltstitels kommt - außerhalb der Freizügigkeitssachverhalte - konstitutive Wirkung zu (vgl. zur Rechtslage vor der Novelle BGBl. I Nr. 25/2011 E , 2009/22/0150). Daran hat die Novelle BGBl. I Nr. 25/2011 nichts geändert, wie nicht zuletzt auch die Erläuterungen (RV 1077 Blg NR, 24. GP, S. 9) zeigen. |
Normen | 12010P/TXT Grundrechte Charta; 62009CJ0034 Zambrano VORAB; 62011CJ0256 Dereci VORAB; AuslBG §1 Abs2 litm idF 2011/I/025; AuslBG §3 Abs8; |
RS 2 | In einem Verfahren betreffend Bestätigung gemäß § 3 Abs 8 AuslBG sind die Kinder einer Drittstaatsangehörigen nicht gezwungen, das Bundesgebiet im Falle einer Versagung der Aufenthaltsbewilligung für die antragstellende Mutter zu verlassen, wenn ihr Vater österreichischer Staatsbürger ist; mit anderen Worten, den Kindern als Unionsbürgern ist es nicht verwehrt, den Kernbestand der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, im Bundesgebiet auszuüben (vgl. , Zambrano; Urteil , Rs C-256/11, Dereci). |
Normen | |
RS 3 | Ob allenfalls eine Aufenthaltsbewilligung auf Grund der in Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union oder der in Art. 8 Abs. 1 MRK eingeräumten Rechte zu erteilen wäre, ist nicht im Verfahren nach dem AuslBG zu prüfen. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde der NS in W, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 3/08115, betreffend Ausstellung einer Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Arbeitsmarktservice Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom auf Ausstellung einer Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG abgewiesen.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde aus:
"Das Urteil des EuGH in der Rechtssache Geraldo Ruiz Zambrano vom , C-34/09 setzt für die Anwendung des Art. 20 des Vertrages Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) voraus, dass der Drittstaatsangehörige seinen minderjährigen Kindern, die Unionsbürger sind, Unterhalt gewährt.
Nach den getroffenen Erhebungen verfügen Sie jedoch über keine finanziellen Mittel, um Ihren am sowie am geborenen Kindern Unterhalt zu leisten.
Sie stehen in keinem Arbeitsverhältnis und verfügen auch über keine Berechtigung legal ein Dienstverhältnis zu begründen.
Es wurde auch kein Nachweis erbracht, dass Sie tatsächlich die Lebenshaltungskosten Ihrer Kinder bestreiten.
Zudem wird dem zugrunde gelegt, dass die minderjährigen Kinder auf Grund der Aufenthaltsverweigerung für den Drittstaatsangehörigen das Gebiet der Union verlassen müssten, um ihre Eltern zu begleiten.
Beim Kindesvater, Herrn CS handelt es sich jedoch um einen österreichischen Staatsbürger, von welchem Ihre Kinder auch das Recht auf Zuerkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft ableiteten.
Eine Gefährdung, demnach Ihre Kinder das österreichische Staatsgebiet verlassen müssten, liegt somit nicht vor.
Es wird daher Ihren Kindern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, nicht verwehrt.
Nach dem evidenten Sachverhalt ist die Bestimmung des Art. 20 AEUV auf Sie nicht anzuwenden, weshalb Sie kein Recht auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sowie einer Arbeitsberechtigung besitzen.
Es kommt Ihnen somit weder ein Recht auf Aufenthalt noch jenes zur Erteilung einer Arbeitsberechtigung nach vorzitierter Normierung zu.
Gemäß § 1 Abs. 2 lit m AuslBG in der geltenden Fassung sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes auf Ehegatten und minderjährige ledige Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder) österreichischer Staatsbürger, die zur Niederlassung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, berechtigt sind, nicht anzuwenden.
Sie haben nach den getroffenen Erhebungen am beim Amt der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35 einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt, über diesen noch nicht entschieden wurde.
Dieser Tatbestand räumt Ihnen jedoch kein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet ein.
Sie verfügen nach den evidenten Fakten über kein Aufenthaltsrecht für das Bundesgebiet.
Daher werden Sie dem unabdingbaren Erfordernis der Niederlassung im Bundesgebiet nach dem NAG nicht gerecht, weshalb Sie die diesbezügliche Bedingung des § 1 Abs. 2 lit m AuslBG nicht erfüllen."
Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom , B 1214/11-4, ihre Behandlung ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzte Beschwerde macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Die Beschwerdeführerin beruft sich - wie schon im Verwaltungsverfahren - im Wesentlichen auf das Urteil des EuGH vom 8. März 2011in der Rechtssache C-34/09, Zambrano.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin ist Ehegattin eines österreichischen Staatsbürgers. § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 25/2011 ordnet an, dass Ehegatten österreichischer Staatsbürger vom Geltungsbereich des AuslBG ausgenommen sind, sofern sie zur Niederlassung nach dem NAG berechtigt sind. Eine Ausnahme vom Geltungsbereich des AuslBG gemäß dessen § 1 Abs. 2 lit. m kann sohin nur unter der Voraussetzung angenommen werden, dass dem drittstaatsangehörigen Ehepartner ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt wurde, der zur Niederlassung im Bundesgebiet und zur Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt; der Erteilung eines Aufenthaltstitels kommt - außerhalb der Freizügigkeitssachverhalte - konstitutive Wirkung zu (vgl. zur Rechtslage vor der genannten Novelle BGBl. I Nr. 25/2011 das hg. Erkenntnis vom , 2009/22/0150, mwN). Daran hat die Novelle jedoch nichts geändert, wie nicht zuletzt auch die Erläuterungen (RV 1077 Blg NR, 24. GP, S. 9) zeigen. Ein solcher Aufenthaltstitel ist der Beschwerdeführerin unbestrittenermaßen nicht erteilt worden.
Dem Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 8. März 2011in der Rechtssache C-34/09, Zambrano, ist das , Murat Dereci ua. gegen Österreich, entgegenzuhalten. Bei Herrn Dereci handelt es sich um einen türkischen Staatsangehörigen, der mit einer Österreicherin verheiratet ist, und die drei gemeinsame Kinder haben, welche die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und minderjährig sind. Der EuGH führte in Rz 68 aus:
"Infolgedessen rechtfertigt die bloße Tatsache, dass es für einen Staatsbürger eines Mitgliedstaats aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union wünschenswert erscheinen könnte, dass sich Familienangehörige, die nicht die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats besitzen, mit ihm zusammen im Gebiet der Union aufhalten können, für sich genommen nicht die Annahme, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn kein Aufenthaltsrecht gewährt wurde."
Zu Recht beruft sich die belangte Behörde daher darauf, dass die Kinder der Beschwerdeführerin nicht gezwungen wären, das Bundesgebiet im Falle einer Versagung der Aufenthaltsbewilligung für die Beschwerdeführerin zu verlassen, weil ihr Vater österreichischer Staatsbürger ist; mit anderen Worten, den Kindern als Unionsbürgern ist es nicht verwehrt, den Kernbestand der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, im Bundesgebiet auszuüben.
Ob allenfalls eine Aufenthaltsbewilligung auf Grund der in Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union oder der in Art. 8 Abs. 1 EMRK eingeräumten Rechte zu erteilen wäre, ist nicht im Verfahren nach dem AuslBG zu prüfen.
Auf die Frage, ob die Beschwerdeführerin für den Unterhalt der Kinder aufkommt, kommt es gegenständlich ebenfalls nicht an.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | 12010P/TXT Grundrechte Charta Art7; 12010P/TXT Grundrechte Charta; 62009CJ0034 Zambrano VORAB; 62011CJ0256 Dereci VORAB; AuslBG §1 Abs2 litm idF 2005/I/101; AuslBG §1 Abs2 litm idF 2011/I/025; AuslBG §3 Abs8; AuslBG; AVG §56; MRK Art8 Abs1; VwRallg; |
Schlagworte | Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2012:2012090003.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
SAAAE-71889