VwGH vom 28.02.2012, 2012/09/0002
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des HP in B, vertreten durch Dr. Georg Zanger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Neuer Markt 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-07/A/59/11846/2011-9, betreffend Einsicht in Akten eines rechtskräftig abgeschlossenen Verwaltungsstrafverfahrens (weitere Parteien: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, Bundesministerin für Finanzen), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Aus dem angefochtenen Bescheid und der dagegen gerichteten Beschwerde geht hervor:
In drei vor der belangten Behörde anhängigen Verwaltungsstrafverfahren war der Beschwerdeführer wegen Übertretungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für schuldig erkannt und waren über ihn Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen verhängt worden. Diese Verwaltungsstrafverfahren wurden im Jahr 2007 rechtskräftig. Mit Eingabe vom stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht in die auf diese Verfahren bezüglichen Verwaltungsakten und führte wie folgt aus:
"Mir wurde bisher Akteneinsicht in den außen bezeichneten Akten unter Hinweis auf die Entscheidungen des VwGH 2008/09/0165 und 2009/07/0161 verweigert. Ich begründe mein Interesse an der Akteneinsicht nunmehr wie folgt:
Ich habe davon Kenntnis erlangt, dass eine Untersuchung der Vorgänge im Zusammenhang mit der Vollstreckungsverjährung der außen bezeichneten drei Verwaltungsstrafverfahren droht. Gegenstand der Überprüfung wird auch die Frage sein, ob in dem auffälligen Verhalten des UVS, das durch die zeitlichen Abläufe dokumentiert ist, einem Verdacht nach § 302 StGB nachzugehen ist.
Um dem allfälligen Aufkommen unberechtigter Verdachtsmomente gegen mich entgegenzuwirken, benötige ich Einsicht in die umseits genannten Akten des UVS, zumal sich dort nach meinen Informationen Unterlagen befinden sollen, die belegen, dass ich von der Tatsache der Vollstreckungsverjährung selbst überrascht wurde und erstmals nach Einlangen der UVS-Entscheidungen bei der MBA 2 Kenntnis davon erlangt habe. Da ich davon ausgehe, dass ich im Fall einer strafbehördlichen Untersuchung einvernommen werde, möchte ich die mich treffenden Entlastungsbeweise im Akt selbst überprüfen und mir Kopien davon herstellen. Dies dient vor allem dem Umstand, in keinen Beweisnotstand zu kommen, wodurch mein Rechtsinteresse meiner Meinung ausreichend dokumentiert ist.
Auch unter Bedachtnahme auf die oben zitierten VwGH-Entscheidungen habe ich daher Anspruch auf Akteneinsicht.
Sollte mir Akteneinsicht weiterhin verweigert werden, beantrage ich die Ausfertigung eines Bescheides."
Diesem Antrag wurde mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde keine Folge gegeben und dies wie folgt begründet:
"Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ) können sich die Parteien eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens ebenso auf § 17 AVG berufen, sofern die Kenntnis vom Inhalt der Akten für die Rechtsverfolgung von Bedeutung ist. Dies setzt allerdings voraus, dass die Akteneinsicht im konkreten Fall den Zweck verfolgt, diese rechtskräftig abgeschlossene - und nicht eine andere - Sache zu betreiben (VwSlg. 12.553 A/1987). Daher steht die Akteneinsicht den Parteien etwa auch wegen allfälliger Stellung eines Wiederaufnahmeantrags oder Erhebung einer Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zu (VwSlg. 14.717 A/1997). Dass eine solche Intention hier vorläge oder rechtlich auch nur in Betracht käme, ist nicht zu sehen. Letztlich sind auch die aus den gegenständlichen Verurteilungen resultierenden Vormerkungen gegen den Antragsteller mittlerweile getilgt.
Auch der Umstand, dass der Antragsteller damit rechnet, in einem nicht näher spezifizierten Verfahren in Zusammenhang mit einer nicht näher deklarierten angeblichen Untersuchung von Vorgängen im Zusammenhang mit der Vollstreckungsverjährung dieser Verfahren befragt zu werden, vermag ein legitimes Interesse an der Gewährung von Akteneinsicht nicht zu begründen. Aus von der Staatsanwaltschaft Wien bzw. der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption übermittelten Mitteilungen vom bzw. vom ergibt sich zudem, dass gegen den Einschreiter auch keine Verfahren nach § 302 StGB im Zusammenhang mit der Bestrafung wegen Übertretungen des AuslBG anhängig sind. Demnach gehen die diesbezüglichen Ausführungen des Antragstellers ins Leere.
Im Übrigen ergibt sich aus den der Anfrage zu Grunde liegenden Akten, dass die Berufungsbehörde die schriftlichen Bescheidausfertigungen jeweils vor Ablauf der Frist der Vollstreckungsverjährung an die Behörde erster Instanz und die weiteren Verfahrensparteien zugestellt hat. Allfällige 'Vorgänge im Zusammenhang mit der Vollstreckungsverjährung' lägen daher nicht mehr in der Ingerenz des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien, zumal dieser nicht weisungsbefugte Behörde gegenüber den Bezirksämtern bzw. den Vollstreckungsbehörden ist."
Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid dahingehend in seinen Rechten verletzt, zu seinem eigenen Schutz, nämlich einem allfälligen Aufkommen unberechtigter Verdachtsmomente gegen ihn selbst und im Zusammenhang mit Vorgängen betreffend das Eintreten der Vollstreckungsverjährung bezüglich der gegen ihn erlassenen Verwaltungsstraferkenntnisse entgegen zu wirken. Konkret rügt der Beschwerdeführer, dass ihm die Einsicht in eine Befangenheitsanzeige eines bestimmten Mitglieds der belangten Behörde vorenthalten worden sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 17 AVG lautet:
"§ 17. (1) Soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können die Parteien bei der Behörde in die ihre Sache betreffenden Akten Einsicht nehmen und sich von Akten oder Aktenteilen an Ort und Stelle Abschriften selbst anfertigen oder auf ihre Kosten Kopien oder Ausdrucke erstellen lassen. Soweit die Behörde die die Sache betreffenden Akten elektronisch führt, kann der Partei auf Verlangen die Akteneinsicht in jeder technisch möglichen Form gewährt werden.
(2) Allen an einem Verfahren beteiligten Parteien muß auf Verlangen die Akteneinsicht in gleichem Umfang gewährt werden.
(3) Von der Akteneinsicht sind Aktenbestandteile ausgenommen, insoweit deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen einer Partei oder dritter Personen oder eine Gefährdung der Aufgaben der Behörde herbeiführen oder den Zweck des Verfahrens beeinträchtigen würde.
(4) Gegen die Verweigerung der Akteneinsicht ist kein Rechtsmittel zulässig."
Zwar können sich nicht nur die Parteien eines anhängigen, sondern auch die Parteien eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens (sei es, dass der Instanzenzug ausgeschöpft wurde, sei es, dass die Partei die Rechtsmittelfrist ungenutzt verstreichen hat lassen) auf § 17 AVG berufen, sofern die Kenntnis vom Inhalt der Akten für die Rechtsverfolgung von Bedeutung ist (Hengstschläger/Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, 2004, Rz 3 zu § 17). Der Verwaltungsgerichtshof hat aber bereits in seinem Erkenntnis vom , Zl. 87/12/0140, Slg. 12.553/A, zu § 17 Abs. 1 AVG in einem vergleichbaren Fall dargelegt (dort wurde von der Partei eines seinerzeit anhängigen Berufungsverfahrens betreffend Rückzahlung einer Haushaltszulage die Akteneinsicht in die rechtskräftig abgeschlossene Sache beantragt, um allenfalls eine Disziplinaranzeige gegen einen Rechtsanwalt zu erstatten bzw. zivilrechtliche Ansprüche auf Grund einer vermuteten falschen Zeugenaussage geltend machen zu können),
dass im Hinblick auf die Wortfolge "... in die ihre Sache
betreffenden ..." das Recht auf Akteneinsicht nur einer Partei bei der Rechtsverfolgung in ihrer den Gegenstand des (abgeschlossenen) Verfahrens bildenden Sache zukomme. Auf die Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen. Auch im Beschwerdefall wurde vom Beschwerdeführer eine solche Rechtsbeziehung zu der den Gegenstand des (abgeschlossenen) Verfahrens bildenden Sache nicht dargelegt (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/09/0097).
Soweit es dem Beschwerdeführer um die Einsicht einer Befangenheitsanzeige eines bestimmten Mitglieds der belangten Behörde geht, ist er im Übrigen auf § 17 Abs. 3 AVG zu verweisen, ein rechtliches Interesse des Beschwerdeführers an der Kenntnis des Inhalts einer solchen Befangenheitsanzeige ist unerfindlich. Ein konkreter Hinweis darauf, dass die begehrte Akteneinsicht dem Zweck diente, sich wider ihn erhobene Anschuldigungen zur Wehr zu setzen, ist der Beschwerde nicht zu entnehmen.
Die behauptete Rechtsverletzung liegt sohin nicht vor, dies ließ bereits die Beschwerde erkennen, weshalb sie gemäß § 35 VwGG abzuweisen war.
Im Hinblick auf den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof ist auf § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG hinzuweisen, wonach der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen kann, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn Art. 6 Abs. 1 EMRK dem nicht entgegensteht.
Zunächst ist nicht zu ersehen, inwiefern das Recht auf Einsicht in die gegenständlichen Aktenteile (Befangenheitsanzeige eines Mitglieds der belangten Behörde) ein ziviles Recht oder eine strafrechtliche Anklage betreffend die beschwerdeführende Partei im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK zum Gegenstand hätte.
Aber auch wenn man davon ausgeht, dass dies der Fall ist, ist auf die Rechtsprechung des EGMR hinzuweisen, der in seinen Entscheidungen vom , Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom , Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt hat, dass der Beschwerdeführer - im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK - grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigen. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen (exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend technische Angelegenheiten auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtigte. Um eine solche technische, durch die Rechtsprechung klargestellte Frage handelt es sich im vorliegenden Fall aber bei der Beurteilung der Frage, ob dem Beschwerdeführer die von ihm angestrebte Akteneinsicht zustand.
Der EGMR hat in seiner Entscheidung vom , Nr. 36.801/06 (Fexler/Schweden), weiters die Auffassung vertreten, dass an den Entfall der mündlichen Verhandlung ein weniger strenger Maßstab dann anzulegen ist, wenn schon in unterer Instanz eine Verhandlung vor einem Tribunal stattgefunden hat, oder wenn in unterer Instanz auf die Durchführung einer Verhandlung verzichtet und diese erst in höherer Instanz beantragt wurde (Rz 56 ff).
Dass der Beschwerdeführer die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde beantragt hätte, ist nicht zu ersehen. Die Unterlassung eines solchen Antrages ist nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR als stillschweigender Verzicht auf die Verhandlung zu verstehen (vgl. z.B. die Entscheidung vom , Nr. 32.636/96, AT/Österreich). Der Beschwerdeführer hat seinen Wunsch nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung aber vor der belangten Behörde, einem Tribunal gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK, nicht geäußert. Auch aus diesem Grunde ist ein Anspruch des Beschwerdeführers auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof zu verneinen.
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist im vorliegenden Fall nicht bestritten. Art. 6 EMRK steht im vorliegenden Fall somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen. Die Entscheidung konnte daher im Sinne des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Wien, am