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VwGH 05.04.2017, Ra 2017/01/0061

VwGH 05.04.2017, Ra 2017/01/0061

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssatz


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Normen
32013R0604 Dublin-III Art13 Abs1;
62016CJ0490 A. S. VORAB;
62016CJ0646 Jafari VORAB;
AsylG 2005 §5;
EURallg;
RS 1
Der VwGH hat unter Berücksichtigung der zu den Rechtssachen Jafari, C-646/16, und A.S., C-490/16, zwischenzeitig ergangenen Urteile des EuGH je vom in seinem Erkenntnis vom , Ra 2016/19/0303, 0304, ausgesprochen, dass ein Drittstaatsangehöriger, der die in einem Mitgliedstaat grundsätzlich geforderten Einreisevoraussetzungen nicht erfüllt, dem aber die Einreise in dessen Hoheitsgebiet gestattet wird, damit er in einen anderen Mitgliedstaat weiterreisen und dort einen Antrag auf internationalen Schutz stellen kann, die Grenzen des erstgenannten Mitgliedstaates im Sinn des Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung "illegal überschritten" hat, unabhängig davon, ob das Überschreiten der Grenzen geduldet, unter Verletzung der einschlägigen Vorschriften gestattet oder aus humanitären Gründen unter Abweichung von den für Drittstaatsangehörige grundsätzlich geltenden Einreisevoraussetzungen gestattet wird.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, der gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W240 2136691-1/9E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: M, vertreten durch den Verein "ZEIGE, Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch, 1170 Wien, Ottakringer Straße 54/4/2), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.

Begründung

1 Die revisionswerbende Partei wies mit Bescheid vom den Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück und sprach aus, dass gemäß Art. 13 Abs. 1 iVm Art 22 Abs. 7 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-Verordnung) Kroatien für die Prüfung des Antrags zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung nach Kroatien zulässig sei.

2 Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) statt und behob den bekämpften Bescheid mit der Begründung, der dem bekämpften Bescheid zugrunde gelegte Sachverhalt sei so mangelhaft, dass eine Ergänzung desselben und damit verbunden eine mündliche Verhandlung unvermeidlich erschiene, weshalb der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattzugeben sei.

3 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Amtsrevision, verbunden mit dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Die revisionswerbende Partei begründete diesen Antrag im Wesentlichen damit, es bestehe die Gefahr, dass die Überstellungsfrist von sechs Monaten gemäß Art. 29 Dublin III-Verordnung vor einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes ablaufe. Ohne Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wäre daher jedenfalls Österreich für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz des Mitbeteiligten zuständig. Die der Amtsrevision zu Grunde liegenden Rechtsfragen wären in der Folge nicht länger relevant. Interessen des Mitbeteiligten seien nicht berührt, weil er sich auch nach Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung weiterhin im Asylverfahren befinden würde.

4 Ungeachtet der offenbar nicht auf Amtsrevisionen zugeschnittenen Formulierung des § 30 Abs. 2 VwGG ist die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung auch bei einer Amtsrevision zulässig (vgl. , sowie vom , Ra 2015/18/0192).

5 Dem Mitbeteiligten wurde die außerordentliche Revision samt Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zugestellt. Er wurde nicht nur zur Einbringung einer Revisionsbeantwortung aufgefordert, sondern wurde ihm auch ausdrücklich Gelegenheit zur Stellungnahme zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eingeräumt. Da der Mitbeteiligte keine Interessen geltend gemacht hat, die durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung berührt werden, bedarf dieser Beschluss in sinngemäßer Anwendung des § 30 Abs. 2 zweiter Satz VwGG keiner weiteren Begründung. Wien, am

Entscheidungstext

Entscheidungsart: Erkenntnis

Entscheidungsdatum:

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek, die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching und Mag. Brandl sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W240 2136691-1/9E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: M R), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger des Iran, begab sich im Jänner/Februar 2016 von der Türkei über Griechenland, Mazedonien und Serbien nach Kroatien, wo er am erkennungsdienstlich behandelt wurde ("Eurodac-Treffer der Kategorie zwei"), und weiter über Slowenien und Österreich zunächst nach Deutschland und von dort zurück nach Österreich, wo er am einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2 Am richtete die revisionswerbende Behörde ein Aufnahmeersuchen gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung an Kroatien. Die zuständige kroatische Behörde antwortete auf dieses Aufnahmeersuchen nicht, woraufhin die revisionswerbende Behörde der kroatischen Behörde mit Schreiben vom  mitteilte, dass nunmehr nach Art. 22 Abs. 7 Dublin III-Verordnung die Verantwortung für die Prüfung des gegenständlichen Asylbegehrens unwiderruflich bei Kroatien liege.

3 Mit Bescheid vom wies die revisionswerbende Behörde den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück, sprach aus, dass gemäß Art. 22 Abs. 7 iVm Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung Kroatien zur Prüfung des Antrags zuständig sei, ordnete unter einem gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung des Mitbeteiligten an und stellte fest, dass die Abschiebung nach Kroatien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

4 Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Beschluss vom gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) statt, behob den Bescheid der revisionswerbenden Behörde und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, der Verwaltungsgerichtshof habe in vergleichbaren Fällen Erkenntnisse des BVwG aufgehoben, weil das BVwG vor dem Hintergrund des Vorabentscheidungsersuchens des slowenischen Obersten Gerichtshofes an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), A.S., C-490/16, keine Tatsachenfeststellungen darüber getroffen habe, wie sich die Ein- bzw. Durchreise der Antragsteller in die Europäische Union, insbesondere nach Kroatien gestaltet habe und ob es sich dabei um staatlich organisierte Maßnahmen gehandelt habe, die mit jenen ident oder vergleichbar wären, die dem slowenischen Vorabentscheidungsersuchen zugrunde lägen.

Der konkrete Sachverhalt sei so mangelhaft, dass dessen Ergänzung und damit verbunden eine mündliche Verhandlung unvermeidlich erscheine. Der wegen der unterbliebenen Ermittlungen vorliegende Erhebungsmangel könne aufgrund des zu erwartenden Ermittlungsaufwandes nicht in der für das Zulassungsverfahren gebotenen Eile beseitigt werden. Der Beschwerde sei daher gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattzugeben gewesen.

6 Gegen diesen Beschluss richtet sich die außerordentliche Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss als rechtswidrig aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber nach Einleitung des Vorverfahrens und Erstattung einer "Stellungnahme" durch den Mitbeteiligten erwogen:

7 Die Revision ist zur Rechtsfrage des Vorliegens der Voraussetzungen der Beschwerdestattgebung im asylrechtlichen Zulassungsverfahren gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG im Hinblick auf den sich aus einem Eurodac-Treffer der Kategorie zwei betreffend Kroatien ergebenden Nachweis eines illegalen Grenzübertritts gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung zulässig und berechtigt.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Berücksichtigung der zu den Rechtssachen Jafari, C-646/16, und A.S., C-490/16, zwischenzeitig ergangenen Urteile des EuGH je vom in seinem Erkenntnis vom , Ra 2016/19/0303, 0304, ausgesprochen, dass ein Drittstaatsangehöriger, der die in einem Mitgliedstaat grundsätzlich geforderten Einreisevoraussetzungen nicht erfüllt, dem aber die Einreise in dessen Hoheitsgebiet gestattet wird, damit er in einen anderen Mitgliedstaat weiterreisen und dort einen Antrag auf internationalen Schutz stellen kann, die Grenzen des erstgenannten Mitgliedstaates im Sinn des Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung "illegal überschritten" hat, unabhängig davon, ob das Überschreiten der Grenzen geduldet, unter Verletzung der einschlägigen Vorschriften gestattet oder aus humanitären Gründen unter Abweichung von den für Drittstaatsangehörige grundsätzlich geltenden Einreisevoraussetzungen gestattet wird. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.

9 Demnach sind die vom BVwG geforderten Feststellungen zu den Ein- und Durchreisemodalitäten des Mitbeteiligten in die Europäische Union insbesondere nach Kroatien sowie dazu, ob es sich dabei um staatlich organisierte Maßnahmen gehandelt habe, zwecks Klärung, ob ein illegaler Grenzübertritt von Serbien nach Kroatien iSd Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung vorliege und Kroatien zur Prüfung des in Österreich gestellten Antrags des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz zuständig sei, nicht erforderlich.

10 In weiterer Folge liegen die Voraussetzungen für die Stattgebung der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen die Zurückweisung dessen Antrags auf internationalen Schutz im Zulassungsverfahren gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG im Hinblick auf den, den Mitbeteiligten betreffenden Eurodac-Treffer nicht vor.

11 Der angefochtene Beschluss war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

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Normen
32013R0604 Dublin-III Art13 Abs1;
32013R0604 Dublin-III Art22 Abs7;
32013R0604 Dublin-III Art29;
AsylG 2005 §5 Abs1;
BFA-VG 2014 §21 Abs3;
VwGG §30 Abs2;
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017010061.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
RAAAE-71859