VwGH vom 24.04.2007, 2007/21/0132
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom , Zl. 2 F/93/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste am illegal in das Bundesgebiet ein. Der in der Folge gestellte Asylantrag wurde im Jahre 2004 rechtskräftig abgewiesen und die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien festgestellt.
Am hatte der Beschwerdeführer vor dem Standesamt Graz eine österreichische Staatsangehörige geheiratet. Im Hinblick darauf wurde ihm eine (zuletzt) bis befristete Niederlassungsbewilligung mit dem Zweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher" erteilt.
Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom wegen des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten und zu einer Geldstrafe verurteilt. Mit rechtskräftigem Urteil desselben Gerichtes vom wurde über den Beschwerdeführer wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 vierter Fall und Abs. 3 erster und zweiter Fall SMG, wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall SMG sowie wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten (davon dreizehn Monate bedingt nachgesehen) verhängt. Der Beschwerdeführer wurde am aus der Strafhaft (hinsichtlich des unbedingt verhängten Teils aus der zweiten Verurteilung) entlassen. Er war danach als Leiharbeitnehmer erwerbstätig.
Im Hinblick auf die erwähnten strafgerichtlichen Verurteilungen erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (die belangte Behörde) mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom gemäß §§ 86 Abs. 1 und 87 iVm § 60 Abs. 1 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) gegen den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren.
Begründend ging die belangte Behörde davon aus, das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers stelle eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, weil sich der Beschwerdeführer - nach dem Inhalt des zweitangeführten Strafurteiles - im September 2004 mit drei anderen algerischen Staatsbürgern zusammengeschlossen habe, um sich in Hinkunft durch den gemeinschaftlichen wiederkehrenden Verkauf von jeweils großen Mengen Suchtgift eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, wobei der Zusammenschluss der Tätergruppe von Beginn an auf längere Zeit ausgerichtet und arbeitsteilig organisiert gewesen sei. Als Mitglied dieser kriminellen Vereinigung habe der Beschwerdeführer im Zeitraum September 2004 bis November 2005 rund 600 Gramm Cannabisharz und 50 Gramm Cannabiskraut an verschiedene Abnehmer gewinnbringend und in gewerbsmäßiger Tatbegehungsabsicht verkauft. Darüber hinaus habe er im Zeitraum 2002 bis Anfang November 2005 weitere unbekannte Mengen des erwähnten Suchtgiftes für den Eigenkonsum erworben.
Nach der erstangeführten Verurteilung liege dem Beschwerdeführer eine am gegen 5.45 Uhr an einer weiblichen Person (auf offener Straße) begangene geschlechtliche Nötigung zur Last. Überdies habe er - auch dem Schuldspruch des zweiten Strafurteiles zufolge - am einer Frau durch Versetzen eines Faustschlages gegen deren Gesicht eine Kopfprellung und Zerrung der Halswirbelsäule zugefügt.
An der erwähnten Gefährdungsprognose könne - so die belangte Behörde zum Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers - auch das Wohlverhalten des Beschwerdeführers seit der Begehung der letzten Straftaten nichts ändern, weil der Zeitraum angesichts der großen Wiederholungsgefahr bei Suchtgiftdelikten jedenfalls zu kurz sei. Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer aus der Strafhaft entlassen und berufstätig sei, führe nicht zu einer entscheidenden Verminderung der von ihm ausgehenden gravierenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.
Das Aufenthaltsverbot stelle - so begründete die belangte Behörde unter dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung nach § 66 FPG - einen relevanten Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers dar, zumal er berufstätig und mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei. Derzeit bestehe jedoch kein gemeinsamer Wohnsitz mit seiner Ehefrau, die - laut einem Erhebungsbericht vom - "schwer opiatabhängig" sei und zuletzt in einer Notschlafstelle der Caritas "als obdachlos" gemeldet gewesen sei. Demgegenüber sei bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass dem maßgeblichen Verhalten des Beschwerdeführers die dargestellten gerichtlichen Straftaten im Bereich der schwerwiegenden und gewerbsmäßigen Suchtgiftkriminalität zugrunde lägen. Aufgrund dieser Umstände ergebe sich, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau nicht schwerer wiegen würden als die Abstandnahme von dessen Erlassung. Die mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Auswirkungen auf die eheliche Beziehung müssten im großen öffentlichen Interesse in Kauf genommen werden. Davon ausgehend erachtete die belangte Behörde die Erlassung eines mit zehn Jahren befristeten Aufenthaltsverbotes für zulässig und eine Ermessensübung im Sinne einer Abstandnahme von dieser Maßnahme nicht für gerechtfertigt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer ist als Ehemann Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) einer Österreicherin. Gemäß § 87 zweiter Satz FPG gelten für diese Personengruppe die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 85 Abs. 2 und 86 FPG FPG. Der im vorliegenden Zusammenhang maßgebliche § 86 Abs. 1 FPG lautet (auszugsweise) samt Überschrift:
"Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsberechtigung und für verfahrensfreie Maßnahmen
§ 86. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig."
Bei der Beurteilung, ob die angeführten Voraussetzungen der zitierten Bestimmung gegeben sind, kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden (vgl. etwa das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2006/21/0243). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
Die zweite und vierte Alternative dieses Tatbestandes sind im gegenständlichen Fall ausgehend von den vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellten strafgerichtlichen Verurteilungen zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von achtzehn Monaten und wegen der wiederholten Begehung einschlägiger Straftaten gegen die körperliche Integrität und Gesundheit erfüllt. Die Beschwerde wendet sich allerdings gegen die (darauf gegründete) Ansicht der belangten Behörde, es sei die im § 86 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass er seine Straftaten bereue, den unbedingt verhängten Teil der Freiheitsstrafe verbüßt habe, nunmehr geläutert sei und einer geregelten Beschäftigung nachgehe.
Dem ist zunächst zu erwidern, dass der Zeitraum des Wohlverhaltens seit der Haftentlassung Anfang April 2006 bis zur Bescheiderlassung Ende Februar 2007 eindeutig zu kurz ist, um schon deshalb eine günstige Prognose erstellen zu können. Zu Recht hat die belangte Behörde auf die mit der Suchtgiftkriminalität im Allgemeinen verbundene große Wiederholungsgefahr hingewiesen, von der auch im vorliegenden Fall angesichts des in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens des Beschwerdeführers - gewerbsmäßiger Suchtgifthandel in Bezug auf eine große Menge während eines Zeitraums von mehr als einem Jahr als Mitglied einer kriminellen Organisation - ausgegangen werden durfte. Dazu kommt die sich auch in dem wiederholten Angriff auf die körperliche Unversehrtheit von weiblichen Personen manifestierende Neigung des Beschwerdeführers zu derartigen Straftaten. Darüber hinaus kann nicht unbeachtet bleiben, dass der Beschwerdeführer die der zweiten Verurteilung zugrundeliegenden massiven Straftaten während der offenen Probezeit hinsichtlich der mit dem ersten Urteil gewährten bedingten Strafnachsicht begangen hat. Davon ausgehend und unter Einbeziehung der oben wiedergegebenen Tatumstände ist die behördliche Annahme nicht zu beanstanden, das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers stelle eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre (vgl. die Nachweise in dem schon zitierten Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2006/21/0243). Entgegen den Beschwerdeausführungen vermag die durch das Strafgericht vorgenommene bedingte Nachsicht eines Teils der Freiheitsstrafe an dieser Prognosebeurteilung, die von den Fremdenbehörden eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes und unabhängig von den gerichtlichen Erwägungen vorzunehmen ist, nichts zu ändern, zumal den Tatbeständen des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG die gesetzgeberische Wertung zu entnehmen ist, dass die bedingte Strafnachsicht einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot nicht entgegensteht (vgl. zum Ganzen zuletzt das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0033).
Die Beschwerde führt weiters ins Treffen, durch das Aufenthaltsverbot werde nicht nur das Leben des Beschwerdeführers, sondern auch das seiner Ehefrau, die keine Möglichkeit der Auswanderung nach Algerien habe, zerstört. Seine Frau sei an Leukämie erkrankt, benötige die Pflege des Beschwerdeführers und müsse selbst ihre blinde Mutter pflegen. Wenngleich der Beschwerdeführer derzeit aufgrund von Eheproblemen von seiner Frau getrennt lebe, beabsichtige er mit ihr wieder zusammenzuwohnen.
Der Beschwerdeführer räumt in der Beschwerde ein, dass seine Ehefrau während seiner Inhaftierung aus der ehelichen Wohnung ausgezogen sei und sie zur Zeit eine "Ehekrise" durchlebten. Demnach ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer und seine Frau seit (zumindest) eineinhalb Jahren nicht mehr zusammenwohnen. Auch ihre Erkrankung und die Pflegebedürftigkeit ihrer Mutter - beides hatte sie schon in der Niederschrift am angegeben - waren offenbar nicht genügend Anlass, um in die Wohnung des Beschwerdeführers zurückzukehren. Vielmehr blieb vom Beschwerdeführer unbestritten, dass seine Ehefrau nach den Meldedaten zuletzt über keinen Wohnsitz verfügte und nur eine "Obdachlosenmeldung" gegeben war. Angesichts dessen durfte die belangte Behörde die familiären Bindungen des Beschwerdeführers zu seiner Ehefrau als deutlich geschmälert ansehen und ihn darauf verweisen, dass die durch das Aufenthaltsverbot bewirkte Trennung im sehr großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Straftaten der vorliegenden gravierenden Art in Kauf zu nehmen sei. Der belangten Behörde, die ohnehin von einem durch das Aufenthaltsverbot bewirkten "relevanten" Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers ausgegangen ist, kann somit nicht entgegen getreten werden, wenn sie trotzdem die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im - zutreffend als besonders hoch bewerteten - besagten öffentlichen Interesse für zulässig angesehen hat. Es entspricht im Übrigen der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei solchen Verbrechen gegen das SMG weder ein langjähriger Aufenthalt in Österreich noch eine (sonst) vollkommene soziale Integration im Inland einem Aufenthaltsverbot entgegen steht (vgl. neuerlich das schon zitierte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2006/21/0243). Der Verwaltungsgerichtshof hegt daher keine Bedenken gegen die von der belangten Behörde im Grunde des § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung. Einen entscheidungswesentlichen Feststellungsmangel vermag die Beschwerde insoweit nicht aufzuzeigen.
Der Behörde ist zwar auch bei einem auf § 86 Abs. 1 FPG gestützten Aufenthaltsverbot Ermessen eingeräumt (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2006/18/0165), doch vermag der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen auch keine besonderen Umstände aufzuzeigen, welche die belangte Behörde unter diesem Gesichtspunkt zu einer Abstandnahme von der aufenthaltsbeendenden Maßnahme hätte veranlassen müssen. Dazu kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.
Letztlich wird mit den allgemein gehaltenen Beschwerdeausführungen zur - nach Ansicht des Beschwerdeführers gegebenen - Notwendigkeit seiner Vernehmung durch die Berufungsbehörde kein relevanter Verfahrensmangel aufgezeigt.
Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am