VwGH vom 12.09.2006, 2005/03/0068
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Handstanger, Dr. Berger, Dr. Lehofer und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde des F W in W, vertreten durch DDr. Manfred Nordmeyer, Dr. Widukind W. Nordmeyer und Dr. Thomas Kitzberger, Rechtsanwälte in 4600 Wels, Pollheimerstraße 12, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl VwSen-420351/11/Gf/An, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die am gemäß § 13 WaffG von Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Wels vorgenommene Sicherstellung seines Schlachtschussapparates mit der Nr 2420 samt der dazugehörigen Munition (15 Stück Kartuschen für Viehbetäubungsgeräte) als unbegründet ab. Begründend stellte sie fest, die Ehefrau des Beschwerdeführers habe am bei der Bundespolizeidirektion Wels telefonisch vorgebracht, von ihrem Gatten eben massiv bedroht worden zu sein. Gegenüber den einschreitenden Sicherheitswachebeamten habe sie angegeben, der Beschwerdeführer habe Alkohol getrunken, weshalb sie sich vor ihm fürchte, weil er dabei immer sehr aggressiv werde; insbesondere habe er gerade zuvor auch mit den Fäusten gegen ihre Zimmertür geschlagen und außerdem besitze er zwei Gewehre und einen Schlachtschussapparat. Darauf bezogen habe er ihr gegenüber vor ihrem Anruf bei der Polizei dezidiert geäußert, dass er "nur einmal ordentlich durchzuladen brauche und die Sache 'sei' damit erledigt". Die Ehefrau des Beschwerdeführers habe den Polizeibeamten den Eindruck vermittelt, dass diese Drohung durchaus ernst gewesen sei, indem sie diese ausdrücklich zu besonderer Vorsicht beim Betreten des Objektes angehalten habe. Die Polizeibeamten hätten sich daraufhin mit angelegten Sicherheitswesten in das Haus des Beschwerdeführers begeben, der "vom Erscheinen der Exekutive völlig überrascht" gewesen sei und sich auch widerstandslos festnehmen habe lassen. Anschließend habe Revierinspektor P W mit der Ehefrau des Beschwerdeführers das Haus betreten und habe "die Waffen" an den von ihr angegebenen Orten vorgefunden. Da ihm zu diesem Zeitpunkt insbesondere nicht klar gewesen sei, ob der Beschwerdeführer weiterhin angehalten oder über ihn ein "Betretungsverbot" verhängt oder dieser ohne Einschränkungen freigelassen werden würde, habe P W ein Flobertgewehr, den Schlachtschussapparat und einige andere Gegenstände des Beschwerdeführers (eine Faustfeuerwaffe sowie verschiedene Munition) in Beschlag genommen.
In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der beschlagnahmte Schlachtschussapparat sei zweckentfremdet - nämlich nicht (wie primär gedacht) bei Tieren, sondern bei Menschen - seinem Wesen und seiner Funktionsweise nach dazu bestimmt, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit durch unmittelbare Einwirkung zu beseitigen oder herabzusetzen. So gesehen stelle dieser auch nach § 1 Z 1 des Waffengesetzes 1996 (WaffG) eine "Waffe" dar, weil es nicht auf die "abstrakte, sondern vielmehr auf die konkrete Verwendung" ankomme. "Das einschreitende Organ" sei deshalb berechtigt gewesen, den Schlachtschussapparat gemäß § 13 Abs 1 Z 1 WaffG sicherzustellen, weil nach den Mitteilungen der Ehefrau des Beschwerdeführers Grund zur Annahme bestanden habe, dass dieser damit deren Leben oder Gesundheit ernsthaft gefährden könnte. Selbst wenn aber die Sicherstellung (wegen Nichterfüllung des Waffenbegriffes) allenfalls fälschlicher Weise auf § 13 WaffG gestützt worden sei, sei die Maßnahme nicht rechtswidrig gewesen, weil sie in § 42 Abs 1 Z 1 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) Deckung finde. Nach dieser Bestimmung seien nämlich die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes generell ermächtigt, Sachen (jeglicher Art) sicher zu stellen, wenn diese Vorgangsweise bei gefährlichen Angriffen unter anderem dazu diene, eine weitere Bedrohung des Lebens oder der Gesundheit von Menschen zu verhindern.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, die vorgenommene Sicherstellung des Schlachtschussapparates nach § 13 WaffG sei deshalb rechtswidrig gewesen, weil es sich bei diesem Schlachtschussapparat nicht um eine Waffe im Sinne des § 1 WaffG gehandelt habe. Der von der belangten Behörde unternommene Versuch, die Sicherstellung unter Hinweis auf § 42 SPG zu rechtfertigen, sei unzulässig; das SPG sei gar nicht (mehr) anwendbar gewesen, weil der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Nachschau nach den Waffen und deren Sicherstellung bereits in Verwahrungshaft genommen worden sei, weshalb nur mehr die Bestimmungen der StPO anzuwenden gewesen seien. Darüber hinaus habe sich die nachträgliche Überprüfung der Ausübung der unmittelbaren Befehls- und Zwangsgewalt schon auf Grund der divergierenden Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen auf die ausdrücklich herangezogene Rechtsgrundlage, also § 13 WaffG zu beschränken.
Dieses Vorbringen ist zielführend:
Den Verwaltungsakten kann entnommen werden, dass dem Beschwerdeführer über die Sicherstellung am eine Bestätigung gemäß § 13 Abs 1 letzter Satz WaffG ausgehändigt wurde, in der unter anderem als "sichergestellte Waffe" ein Schlachtschussapparat mit der Nr 2420 sowie als "sichergestellte Munition" 15 Stück Kartuschen für Viehbetäubungsgeräte aufscheinen und in der überdies vermerkt wurde, der Beschwerdeführer sei vom einschreitenden Organ "von der Verhängung eines vorläufigen vierwöchigen Waffenverbotes gemäß § 13 Abs 4 Waffengesetz in Kenntnis gesetzt" worden. Auch in der Anzeige der Bundespolizeidirektion Wels vom wurde festgehalten, sämtliche "Waffen" (insbesondere der verfahrensgegenständliche Schlachtschussapparat samt Kartuschen) seien dem Beschwerdeführer "gemäß § 13 Waffengesetz 1996, BGBl Nr 12/1997, abgenommen" und ihm gegenüber ein vorläufiges Waffenverbot ausgesprochen worden.
Die Sicherstellung des Schlachtschussapparates wurde im Beschwerdefall also ausdrücklich auf § 13 WaffG gestützt und - nach außen hin dokumentiert - dem Beschwerdeführer bekannt gegeben. Diese Maßnahme kann schon deshalb nicht unter Hinweis auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 42 Abs 1 Z 1 SPG gerechtfertigt werden, weil es - wie der Verwaltungsgerichtshof etwa bei einer Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt im Zusammenhang mit dem "Austausch" eines Festnahmegrundes bereits ausgesprochen hat - nicht darum geht, die abstrakte Zulässigkeit einer Maßnahme zu prüfen, sondern darum, ob der ganz konkret vorgenommene Zwangsakt rechtmäßig war oder nicht (vgl das hg Erkenntnis vom , Zl 2000/01/0527, wonach es nicht zulässig ist, dann, wenn sich der tatsächlich für die Zwangsmaßnahme maßgebend gewesene Grund als unzureichend erweisen sollte, nachträglich den Rechtsgrund auszuwechseln und eine andere, besser geeignete gesetzliche Grundlage heranzuziehen).
Die Unzulässigkeit dieser - von der belangten Behörde eingeschlagenen - Vorgangsweise wird auch dadurch deutlich, dass mit einer gemäß § 13 WaffG erfolgten Sicherstellung ex lege Rechtsfolgen verbunden sind, die bei Heranziehung eines anderen gesetzlichen Tatbestandes (etwa des § 42 Abs 1 Z 1 SPG) nicht zur Anwendung gelangen: So gilt gemäß § 13 Abs 4 WaffG gegen den Betroffenen ab der Sicherstellung ein mit vier Wochen befristetes vorläufiges Waffenverbot, es sei denn, die sichergestellten Waffen, Munition oder Urkunden würden von der Behörde vorher ausgefolgt. Damit wird dem Betroffenen der (weitere) Besitz von Waffen und Munition untersagt; er darf weder andere, nicht schon vorläufig sichergestellte Waffen besitzen noch weitere Waffen erwerben. Ein Verstoß gegen das vorläufige Waffenverbot begründet gemäß § 51 Abs 1 Z 3 WaffG eine Verwaltungsübertretung.
Wird gegen den Betroffenen gemäß § 12 Abs 1 WaffG ein Waffenverbot verhängt, gelten gemäß § 12 Abs 3 WaffG mit dem Eintritt der Rechtskraft des Waffenverbotes die sichergestellten Waffen und Munition als verfallen. Ein Antrag auf Zuerkennung einer angemessenen Entschädigung ist gemäß § 12 Abs 4 WaffG befristet.
Dazu kommt, dass sich die Bundespolizeidirektion Wels nicht einmal im Verfahren vor der belangten Behörde darauf bezogen hat, ihr Organ hätte die Sicherstellung des Schlachtschussapparates in Anwendung des § 42 Abs 1 Z 1 SPG vorgenommen, vielmehr den Standpunkt vertreten hat, die Sicherstellung sei "dem Grunde nach ... zur Beweissicherung" nach den Bestimmungen der Strafprozessordnung (gemeint offenbar: § 143 StPO) erforderlich und auch zulässig gewesen (so das Schreiben der Bundespolizeidirektion Wels an die belangte Behörde vom ). Ob eine Beschlagnahme gemäß § 143 StPO zulässig gewesen wäre, braucht nach dem oben Gesagten aber nicht überprüft zu werden.
Entscheidend ist vielmehr ausschließlich, ob der ausdrücklich auf § 13 WaffG gestützte Akt der Sicherstellung von dieser Gesetzesstelle gedeckt ist.
Gemäß § 13 Abs 1 WaffG sind die Organe der öffentlichen Aufsicht bei Gefahr im Verzug ermächtigt, Waffen und Munition sicherzustellen, wenn sie Grund zur Annahme haben, dass deren Besitzer durch missbräuchliches Verwenden von Waffen Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden könnte.
"Waffen" sind gemäß § 1 WaffG Gegenstände, die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen durch unmittelbare Einwirkung zu beseitigen oder herabzusetzen (Z 1) oder bei der Jagd oder beim Schießsport zur Abgabe von Schüssen verwendet zu werden (Z 2).
"Munition" ist gemäß § 4 WaffG ein verwendungsfertiges Schießmittel, das seinem Wesen nach für den Gebrauch in Schusswaffen bestimmt ist.
"Schusswaffen" sind gemäß § 2 Abs 1 WaffG Waffen, mit denen feste Körper (Geschoße) durch einen Lauf in eine bestimmbare Richtung verschossen werden können.
Nach der Legaldefinition des § 1 WaffG kommt es also für die Qualifikation eines Gegenstandes als Waffe im Sinne des Waffengesetzes auf die objektive Zweckwidmung an ("ihrem Wesen nach dazu bestimmt"); die Funktion, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen durch unmittelbare Einwirkung zu beseitigen oder herabzusetzen, muss dem fraglichen Gegenstand also seinem Wesen nach zukommen. Nicht entscheidend ist hingegen die subjektive Zweckwidmung durch den Inhaber des Gegenstandes. Auch wenn ein Gegenstand "zweckentfremdet", wie die belangte Behörde meint, verwendet wird, und dadurch waffenähnliche Wirkungen herbeigeführt werden können, handelt es sich dabei nicht um eine Waffe im Sinne des § 1 WaffG. Dementsprechend ist ein Schlachtschussapparat, der widmungsgemäß zum Töten oder Betäuben von Schlachttieren bestimmt ist, nicht als Waffe im Sinne des § 1 WaffG anzusehen (vgl auch Hauer/Keplinger, Waffengesetz 1996 (1997) 20; Czeppan/Szirba/Szymanski/Grosinger, Das neue österreichische Waffengesetz2, Anmerkung 5 zu § 1 WaffG).
Ausgehend davon scheidet auch eine - von der belangten Behörde implizit vorgenommene - Qualifikation der ebenfalls sichergestellten 15 Stück Kartuschen für Viehbetäubungsgeräte als "Munition" gemäß § 4 WaffG aus, weil darunter nur (verwendungsfertige) Schießmittel verstanden werden könnten, die ihrem Wesen nach für den Gebrauch in Schusswaffen bestimmt sind, wozu die für die Verwendung im Schlachtschussapparat - schon mangels Vorliegens einer "Waffe" im waffenrechtlichen Sinn - bestimmten Kartuschen nicht zu zählen sind.
Da die belangte Behörde die strittige Sicherstellung daher zu Unrecht als durch § 13 Abs 1 Z 1 WaffG gedeckt angesehen hat und die hilfsweise nachträgliche Heranziehung des § 42 Abs 1 Z 1 SPG zur Rechtfertigung der gesetzten Maßnahme nicht in Betracht kommt, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl II Nr 333/2003.
Wien, am