VwGH vom 17.03.2011, 2010/03/0189
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Lehofer und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie in 1031 Wien, Radetzkystraße 2, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl UVS-04/G/14/5001/2010-31, betreffend Entziehung der Konzession für den grenzüberschreitenden Güterverkehr (mitbeteiligte Partei:
G F in W, vertreten durch Dr. Dominik Schärmer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Ungargasse 4/11), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Begründung
Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom wurde dem Mitbeteiligten gemäß § 87 Abs 1 Z 3 Gewerbeordnung 1994 (GewO) iVm § 1 Abs 3 und § 5 Abs 1 Z 1 Güterbeförderungsgesetz 1995 (GütbefG) die Berechtigung zur Ausübung des Gewerbes "Beförderung von Gütern mit Kraftfahrzeugen im grenzüberschreitenden Verkehr (grenzüberschreitender Güterverkehr) mit 2 Kraftfahrzeugen (§ 2 Abs 1 Z 2 und § 3 Abs 1 GütbefG)" entzogen.
Begründend führte die erstinstanzliche Behörde nach Zitierung der herangezogenen Rechtsvorschriften, Aufzählung von 21 gegen den Mitbeteiligten verhängten rechtskräftigen Verwaltungsstrafen wegen Übertretungen der StVO, des KFG und der KDV sowie Wiedergabe einer Stellungnahme des Mitbeteiligten im Wesentlichen aus, dass die näher angeführten Strafverfügungen und Straferkenntnisse in Rechtskraft erwachsen seien, sodass die Gewerbebehörde an den von den Verwaltungsstrafbehörden als erwiesen angenommenen objektiven und subjektiven Tatbestand gebunden sei. Die Übertretungen seien dem Mitbeteiligten zuzurechnen. Den vom Mitbeteiligten vorgebrachten Argumenten, wonach es sich um keine schwerwiegenden Verstöße handeln würde, diese im Bereich des Kleintransportgewerbes (somit nicht in Ausübung des hier gegenständlichen grenzüberschreitenden Güterbeförderungsgewerbes) begangen worden seien, die letzten Übertretungen bereits zwei Jahre zurücklägen und vom Mitbeteiligten nunmehr durch betriebliche Umstrukturierungen Sorge getragen werde, dass in Hinkunft keine Verstöße mehr eintreten würden, könne von der erstinstanzlichen Behörde nicht gefolgt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes könne das Tatbestandselement der "schwer wiegenden Verstöße" im Sinne des § 87 Abs 1 Z 3 GewO nicht nur durch an sich als schwer wiegend zu beurteilende Verstöße erfüllt werden, sondern auch durch eine Vielzahl geringfügiger Verletzungen der im Zusammenhang mit dem betreffenden Gewerbe zu beachtenden Rechtsvorschriften. Der Mitbeteiligte sei in einem Zeitraum von fünf Jahren in insgesamt 21 Fällen rechtskräftig wegen Übertretungen, die ohne Zweifel im Zusammenhang mit der Ausübung des Güterbeförderungsgewerbes gestanden seien, bestraft worden. Durch diese Übertretungen sei das Tatbestandselement der schwer wiegenden Verstöße im Sinne des § 5 Abs 2 Z 3 GütbefG einerseits dadurch erfüllt, dass durch die aufgelisteten Übertretungen die Sicherheit im Straßenverkehr gefährdet war (Nichtanhalten vor einem Schutzweg, Ablauf der Begutachtungsplakette, Abmontieren von Sicherheitsgurten, Verwendung eines vorschriftswidrigen Gaspedals) und andererseits durch die Vielzahl von Geschwindigkeitsübertretungen, wobei bei drei Vorfällen die maximal erlaubte Höchstgeschwindigkeit um mehr als 20 km/h überschritten worden sei. Einer Beurteilung des Persönlichkeitsbildes des Mitbeteiligten bedürfe es nicht, weil sich nach den im Spruch des Bescheides angeführten Gesetzesbestimmungen die mangelnde Zuverlässigkeit für die Ausübung des Gewerbes als zwingende Rechtsvermutung aus den schwer wiegenden Verstößen ergebe. Zudem seien bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides noch weitere sechs Übertretungen der StVO bzw des KFG (Nichterteilung der Lenkerauskunft, Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit, Ausrüstungsmängel) hinzugekommen, für die der Mitbeteiligte rechtskräftig bestraft worden sei.
Der Mitbeteiligte erhob gegen den erstinstanzlichen Bescheid Berufung, der mit dem nun angefochtenen Bescheid Folge gegeben wurde.
Die belangte Behörde führte - nach Darlegung des Verfahrensganges und der anzuwendenden Rechtsvorschriften - im Wesentlichen aus, dass der Mitbeteiligte nicht bestreite, "im Zeitraum 2005 bis 2008" wegen der im erstinstanzlichen Bescheid näher angeführten Verwaltungsübertretungen rechtskräftig bestraft worden zu sein. Soweit der Mitbeteiligte seine Tätereigenschaft bezüglich der gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Strafbescheide in Abrede stelle, sei ihm zu entgegen, dass die Gewerbebehörde an diese Strafverfügungen und Straferkenntnisse gebunden sei.
Der Mitbeteiligte irre auch, wenn er meine, dass als "schwer wiegende Verstöße" nur jene in Betracht kämen, die geeignet seien, das Ansehen des betreffenden Berufsstandes herabzusetzen. Die vom Mitbeteiligten im Zeitraum von 2005 bis 2008 fortlaufend gesetzten Verwaltungsübertretungen seien, auch wenn die einzelnen Übertretungen jeweils einen geringen Unrechtsgehalt aufweisen mögen, insgesamt als schwerer Verstoß gegen die Vorschriften betreffend die Sicherheit im Straßenverkehr zu werten. Der erstinstanzlichen Behörde sei auch insofern zuzustimmen, dass sich die mangelnde Zuverlässigkeit für die Ausübung des Gewerbes als zwingende Rechtsvermutung aus den schwer wiegenden Verstößen ergebe und es grundsätzlich bei der Beurteilung, ob der Entziehungsgrund des § 87 Abs 1 Z 3 GewO erfüllt sei, keiner Beurteilung des Persönlichkeitsbildes des Gewerbeinhabers bedürfe. Dies gelte jedoch nur für den Fall, dass auf Grund von rechtskräftigen und nicht getilgten Bestrafungen feststehe, dass der Gewerbeinhaber schwer wiegende und noch nicht lange zurückliegende - somit für seine Zuverlässigkeit jedenfalls noch relevante - Verstöße rechtswidrig und schuldhaft begangen habe.
Im vorliegenden Fall sei in Anbetracht des abrupten Endes der Deliktsserie im Frühjahr 2008, die von widerholten Geschwindigkeitsüberschreitungen und Nichterteilung von Lenkerauskünften geprägt gewesen sei, eine Würdigung des Persönlichkeitsbildes des Mitbeteiligten vorzunehmen gewesen. Da sich der Mitbeteiligte nach dem wohl verhalten habe und bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides weder rückfällig geworden sei noch eine andere Verwaltungsübertretung gesetzt habe, sei das gewichtigste Indiz für die Unzuverlässigkeit weggefallen, sodass die belangte Behörde - ohne zu verkennen, dass im Entscheidungszeitpunkt das Wohlverhalten erst zweieinviertel Jahre gewährt habe, die für die Ausübung des Gewerbes "Beförderung von Gütern mit Kraftfahrzeugen im grenzüberschreitenden Verkehr" erforderliche Zuverlässigkeit als gegeben erachte; dies auch deshalb, weil im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides davon ausgegangen werden könne, dass die vom Mitbeteiligten dargelegten glaubwürdigen Bemühungen zur Vermeidung neuerlicher straßenpolizeilicher und kraftfahrrechtlicher Übertretungen bereits effektiv geworden seien und "eine Umkehr und neu gewonnene Sorgfalt" des Mitbeteiligten erkennen ließen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und beantragte die Abweisung der Beschwerde. Der Mitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. Gemäß § 21a GütbefG in der Fassung BGBl I Nr 106/2001 kann der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie gegen Bescheide der unabhängigen Verwaltungssenate Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit an den Verwaltungsgerichtshof erheben.
2. Gemäß § 2 Abs 1 GütbefG darf die gewerbsmäßige Beförderung von Gütern mit Kraftfahrzeugen nur auf Grund einer Konzession ausgeübt werden, sofern dieses Bundesgesetz nichts anderes bestimmt.
§ 5 Abs 1 und 2 GütbefG in der im Beschwerdefall maßgebenden Fassung BGBl I Nr 23/2006 lauten - soweit hier wesentlich - wie folgt:
"§ 5. (1) Die Konzession darf nur erteilt werden, wenn neben den allgemeinen Voraussetzungen für die Ausübung eines reglementierten Gewerbes
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1. | die Zuverlässigkeit, |
2. | die finanzielle Leistungsfähigkeit und |
3. | die fachliche Eignung (Befähigungsnachweis) |
(2) Die Zuverlässigkeit ist insbesondere dann nicht gegeben, wenn
1. der Antragsteller oder der Gewerbeberechtigte von einem Gericht zu einer drei Monate übersteigenden Freiheitsstrafe oder zu einer Geldstrafe von mehr als 180 Tagessätzen verurteilt wurde, solange die Verurteilung weder getilgt ist noch der Beschränkung der Auskunft aus dem Strafregister unterliegt (§§ 1 bis 6 Tilgungsgesetz 1972, BGBl. Nr. 68), oder
2. dem Antragsteller oder Gewerbeberechtigten auf Grund der geltenden Vorschriften die Bewilligung zur Ausübung des Güterbeförderungsgewerbes rechtskräftig entzogen wurde, oder
3. der Antragsteller oder Gewerbeberechtigte wegen schwer wiegender Verstöße gegen die Vorschriften über
a) die für den Berufszweig geltenden Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen oder
b) die Güterbeförderung, insbesondere die Lenk- und Ruhezeiten der Lenker, die Gewichte und Abmessungen der Kraftfahrzeuge, die Sicherheit im Straßenverkehr und der Kraftfahrzeuge und den Umweltschutz sowie die sonstigen Vorschriften in Bezug auf die Berufspflichten,
rechtskräftig bestraft wurde."
3. Die Beschwerde macht geltend, die belangte Behörde übersehe, dass sich zwar bei getilgten Bestrafungen die mangelnde Zuverlässigkeit nicht bereits zwingend aus den rechtskräftigen Bestrafungen wegen schwer wiegender Verstöße ergäbe, sondern sich die Behörde anhand des sich aus den Verstößen ergebenden Persönlichkeitsbildes des Gewerbetreibenden zu beurteilen habe, ob dieser die erforderliche Zuverlässigkeit besitze, dass aber bei nicht getilgten rechtskräftigen Bestrafungen eine Beurteilung nicht aufgrund des Persönlichkeitsbildes zu erfolgen habe. In diesem Fall greife vielmehr die sich aus § 5 Abs 1 Z 1 GütbefG ergebende zwingende Rechtsvermutung, dass § 5 Abs 2 Z 3 lit b GütbefG die Zuverlässigkeit ausschließe.
4. Der Beschwerde kommt Berechtigung zu:
Die belangte Behörde hat im Ergebnis - ungeachtet der auch von ihr als insgesamt schwer wiegend erachteten Verstöße des Mitbeteiligten im Sinne des § 5 Abs 2 Z 3 lit b GütbefG - das Vorliegen der erforderlichen Zuverlässigkeit des Mitbeteiligten für die Ausübung des Gewerbes "Beförderung von Gütern mit Kraftfahrzeugen im grenzüberschreitenden Verkehr" als gegeben erachtet. Die belangte Behörde übersieht dabei, dass sich beim Vorliegen der im erstinstanzlichen Bescheid näher dargelegten zahlreichen Übertretungen von Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung und des Kraftfahrgesetzes, für die der Mitbeteiligte rechtskräftig bestraft wurde und die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht getilgt waren, die mangelnde Zuverlässigkeit für die Ausübung des Gewerbes als zwingende Rechtsvermutung aus den schwer wiegenden Verstößen ergibt und eine darüber hinausgehende Verpflichtung der Behörde zur Prüfung des Persönlichkeitsbildes des Gewerbeberechtigten aus dem Gesetz nicht abzuleiten ist (vgl das hg Erkenntnis vom , Zl 2004/03/0051).
Die belangte Behörde hat daher die Rechtslage verkannt, wenn sie aus dem Umstand, dass sich der Mitbeteiligte rund zweieinviertel Jahre vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides wohlverhalten habe, trotz Vorliegens von 27 rechtskräftigen (noch nicht getilgten) Verwaltungsvorstrafen wegen insgesamt schwer wiegender Verstöße gegen Vorschriften über die Güterbeförderung den Entziehungsgrund der mangelnden Zuverlässigkeit nicht als gegeben erachtete.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am