VwGH vom 17.07.2008, 2007/21/0074
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des A, vertreten durch Senninger & Schuszter Rechtsanwälte OEG in 7000 Eisenstadt, Robert Graf Platz I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom , Zl. Fr-1727/06, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste am illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 - AsylG abgewiesen wurde. Unter einem wurde gemäß § 8 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Syrien zulässig sei. Die dagegen eingebrachte Berufung wurde mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom abgewiesen und die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde, der mit Beschluss vom die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2004/20/0005, abgelehnt. Bis dahin verfügte der Beschwerdeführer über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz.
Im Zuge einer niederschriftlichen Vernehmung am hielt die Bezirkshauptmannschaft Baden (BH) dem Beschwerdeführer vor, sich seit in Österreich unrechtmäßig aufzuhalten. Er wurde aufgefordert, das Bundesgebiet bis spätestens zu verlassen, andernfalls seine Ausweisung verfügt werde.
Hierauf stellte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung aus humanitären Gründen, der mit Bescheid der BH vom (unbekämpft) als unzulässig zurückgewiesen wurde. Vom Beschwerdeführer ebenfalls eingebrachte Anträge auf Wiederaufnahme des Asylverfahrens und auf Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung sind noch anhängig.
Mit Bescheid vom wies die BH den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus. Zur Begründung führte sie nach Zitierung der maßgeblichen Rechtsvorschriften und Wiedergabe des eingangs dargestellten Ganges des Asylverfahrens aus, seit der Ablehnung der Behandlung der Beschwerde durch den Verwaltungsgerichtshof verfüge der Beschwerdeführer nicht mehr über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz. Er halte sich im Bundesgebiet daher nicht rechtmäßig auf und er sei auch nicht gewillt, diesen gesetzwidrigen Zustand zu beenden. Ihm hätte aber bei der Asylantragstellung klar sein müssen, dass sein Aufenthalt im Falle der Antragsabweisung nur ein vorübergehender sein könne. Er habe auch keine Möglichkeit, seinen Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren. Bei einer Abstandnahme von der Ausweisung würde sich der Fremde den tatsächlichen Aufenthalt in Österreich verschaffen können, was dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens zuwiderliefe. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch die Normadressaten komme aber aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zu. Die Behörde verkenne nicht, dass mit der Ausweisung ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers verbunden sei. Allerdings sei dieser Eingriff nicht nur gerechtfertigt, sondern auch dringend geboten, um die öffentliche Ordnung (den geordneten Zuzug Fremder) zu gewährleisten.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, der die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (die belangte Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid vom keine Folge gab.
Eine Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG erfordere - so begründete die belangte Behörde diese Entscheidung - den rechtswidrigen Aufenthalt des Fremden, der im vorliegenden Fall ab gegeben sei. Im Hinblick auf den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich seit , angesichts der in der überwiegenden Zeit seit ausgeübten legalen Beschäftigung und wegen des Vorliegens einer Beschäftigungsbewilligung sei davon auszugehen, dass durch die Ausweisung in das Privatleben des Beschwerdeführers eingegriffen werde. Dem Beschwerdeführer sei jedoch eine neuerliche Einreise unter Einhaltung der fremdenrechtlichen Bestimmungen durch die verfügte Ausweisung nicht verwehrt. Auch die belangte Behörde betonte daran anschließend den hohen Stellenwert, den die Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung habe. Dieses maßgebliche öffentliche Interesse habe der Beschwerdeführer durch seinen unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet erheblich beeinträchtigt und die aus seinem Aufenthalt während des Asylverfahrens ableitbare Integration werde in ihrem Stellenwert dadurch maßgeblich relativiert, dass sie auf einen Asylantrag zurückzuführen sei, der sich letztlich als unbegründet erwiesen habe. Das persönliche Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich sei auch in Anbetracht dessen, dass seine Ehefrau und seine Kinder nicht hier, sondern im Libanon lebten, nicht so schwer zu gewichten, dass eine Ausweisung nicht im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten wäre. Unter Abwägung dieser Umstände sei die vorliegende Ausweisung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und daher zulässig. Daran vermöge die aufgrund einer entsprechenden Bewilligung ausgeübte Beschäftigung nichts zu ändern, weil die Erteilung einer Arbeitserlaubnis den Fremden nicht von der Verpflichtung enthebe, den jeweils geltenden Vorschriften über die Einreise und den Aufenthalt nachzukommen. Es seien auch keine Umstände ersichtlich, die für eine Ermessensübung zu Gunsten des Beschwerdeführers gesprochen hätten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Die Beschwerde gesteht zu, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig beendet ist. Ihr sind auch keine Behauptungen zu entnehmen, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG - insbesondere die Erteilung eines Aufenthaltstitels - beim Beschwerdeführer vorlägen. Dafür gibt es nach der Aktenlage auch keine Anhaltspunkte, sodass keine Bedenken gegen die behördliche Annahme bestehen, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei im vorliegenden Fall verwirklicht.
Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.
In dieser Hinsicht kritisiert die Beschwerde, die belangte Behörde habe die in der Berufung vorgebrachten Umstände nur unzureichend geprüft und demzufolge das Ermessen (zu Unrecht) zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgeübt. Die belangte Behörde habe vor allem nicht berücksichtigt, dass sich der Beschwerdeführer seit seiner Einreise wohl verhalten und sich keiner Gesetzesverstöße schuldig gemacht habe. Der Beschwerdeführer habe sich aktiv um eine Integration bemüht und diese auch erreicht. So habe er frühzeitig die deutsche Sprache gelernt und sich ehrenamtlich bei der Caritas und Rechtsanwälten im Rahmen der Klientenbetreuung als Dolmetsch betätigt und überdies unentgeltlich Deutschkurse für Anfänger im "Caritasheim" abgehalten. Er habe auch bestmöglich versucht, "sich auf eigene wirtschaftliche Beine zu stellen", sogar eine (wenn auch geringfügige) Pensionsvorsorge getroffen und eine Unfallversicherung abgeschlossen. Der Beschwerdeführer habe seine erfolgreiche Integration durch vorgelegte Empfehlungsschreiben untermauert, denen sich entnehmen lasse, dass der Beschwerdeführer als integrationswillig, arbeitsam und äußerst höflich mit hervorragenden Kenntnissen der deutschen Sprache beschrieben werde. Es werde ihm auch attestiert, dass er sich an die sozialen Strukturen der europäischen Kultur mit erstaunlicher Sensibilität angepasst habe und ein sympathisches Mitglied der Gesellschaft sei.
Diese Ausführungen sind unter dem Gesichtspunkt einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung und unzureichenden Bescheidbegründung im Ergebnis berechtigt:
Auszugehen ist zwar davon, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich (bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides im Jänner 2007) in der Dauer von etwa siebeneinhalb Jahren durch eine illegale Einreise erlangt wurde und (soweit er rechtmäßig war) auf einem unbegründeten Asylantrag beruhte. Für den Beschwerdeführer wäre es nach § 21 Abs. 1 NAG für die Erlangung eines Aufenthaltstitels erforderlich, einen Erstantrag vom Ausland aus zu stellen und dessen Erledigung dort abzuwarten. Die belangte Behörde ist daher insoweit im Recht, als sie in dem Verhalten des Beschwerdeführers (illegale Einreise und unrechtmäßiger Verbleib in Österreich trotz negativen Abschlusses des Asylverfahrens) eine maßgebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen gesehen hat. Es trifft auch zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2007/21/0317, 0318).
Diesem öffentlichen Interesse kommt aber kein absoluter Charakter zu (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/21/0214). Vielmehr ist schon zur Prüfung, ob eine Ausweisung im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten ist, eine gewichtende Gegenüberstellung des erwähnten öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen. Dieses Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist an Hand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des besagten persönlichen Interesses ist aber auch auf die Auswirkungen, die eine Ausweisung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen. Diese in § 66 Abs. 2 FPG genannten Gesichtspunkte sind nämlich auch bei der Beurteilung nach Abs. 1 zu beachten (vgl. in diesem Sinn auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/18/0455; siehe dazu auch die Erkenntnisse des , und B 328/07, in denen auf die vom EGMR in seiner Rechtsprechung zu Art. 8 Abs. 2 EMRK herangezogenen Kriterien verwiesen wurde und die auch in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - vgl. beispielsweise das Erkenntnis vom , Zl. 99/21/0156 - für maßgeblich erachtet wurden).
In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde zwar schon wiederholt der Standpunkt gebilligt, dass das private Interesse eines Fremden an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemildert ist, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt in Österreich auszugehen (vgl. etwa das schon zitierte Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0361). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die integrationsbegründenden Umstände während eines Aufenthaltes erworben wurden, der sich auf einen nicht berechtigten Asylantrag gründet. Eine solche Relativierung hat aber nicht zur Folge, dass diesen Umständen nie eine Bedeutung dahin zukommen könnte, eine Ausweisung sei nicht (mehr) dringend geboten. Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob wegen eines ausnahmsweise besonders stark ausgeprägten persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich akzeptiert werden muss, dass der Fremde mit seinem Verhalten (illegale Einreise und unrechtmäßiger Verbleib nach negativer Beendigung des Asylverfahrens) im Ergebnis versucht, vollendete Tatsachen ("fait accompli") zu schaffen (vgl. in diesem Zusammenhang das bereits erwähnte Erkenntnis vom , Zlen. 2007/21/0317, 0318).
Das scheint zunächst schon die BH verkannt zu haben, wenn sie im erstinstanzlichen Bescheid ausführte, "würde sich ein Fremder generell betrachtet in so einer Situation erfolgreich auf § 66 Abs. 1 FPG 2005 berufen können, so würde das den Intentionen des Gesetzes zuwiderlaufen, deren Ziel ein geordnetes Fremdenwesen und ein geordneter Zuzug von Fremden ist." Der erwähnten Prüfungspflicht entsprach aber auch die belangte Behörde nicht in ausreichender Weise. Sie hat zwar die Aufenthaltsdauer und die legale Beschäftigung des Beschwerdeführers in ihre Interessenabwägung einbezogen, sich aber nicht mit den weiteren, in der Berufung vorgebrachten und oben wiedergegebenen Umständen auseinandergesetzt, obwohl diesem Vorbringen unter dem Gesichtspunkt des erreichten Integrationsgrades bei der nach § 66 Abs. 1 FPG vorzunehmenden Interessenabwägung und der Ermessensübung maßgebliche Bedeutung zugekommen wäre. Hat doch auch der Verfassungsgerichtshof in den genannten Erkenntnissen vom dem Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiere, besonderes Gewicht beigemessen, wobei von der belangten Behörde in dieser Hinsicht im Übrigen auch noch die Einkommens- und Wohnverhältnisse des Beschwerdeführers zu klären gewesen wären.
Angesichts der aufgezeigten Feststellungs- und Ermittlungsmängel war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am