VwGH vom 29.01.2014, 2012/08/0282
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten sowie Hofrat Dr. Strohmayer als Richter und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterin, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde des W D in V, vertreten durch Dr. Günther Retter, Rechtsanwalt in 2340 Mödling, Wehrgasse 3/1/top 8, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 2012 0566. 9. 001020, betreffend Einstellung der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am beantragte der Beschwerdeführer bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien (AMS) neuerlich die Zuerkennung von Notstandshilfe, die ihm folglich auch zugesprochen wurde. Im Antragsformular gab der Beschwerdeführer seine Wohnadresse in der K. Gasse in W an. In der Folge konnte ihm ein behördliches Schriftstück am mit dem Vermerk "verzogen" nicht zugestellt werden. Aktenkundig war lediglich ein Postfach des Beschwerdeführers. Im Zuge der Nachforschungen seitens des AMS am wurde mit Hilfe des Mieterverzeichnisses festgestellt, dass an der fraglichen Anschrift die dort gemeldete Familie A. wohnt. Herr A. wurde an dieser Adresse durch das AMS auch angetroffen und gab bekannt, dass der Beschwerdeführer jedenfalls seit März 2011 nicht mehr dort wohnhaft sei.
Im Rahmen einer am durchgeführten Niederschrift gab der Beschwerdeführer vor dem AMS an, seine aktuelle Wohnadresse sei nach wie vor die Wohnung in der K. Gasse. Er habe einen Nachsendeauftrag und habe mehrmals bei Wiener Wohnen um eine Wohnung angesucht. Er habe jedoch Absagen erhalten. In seiner Aussage erwähnte er seine Obdachlosigkeit.
Mit Bescheid vom stellte das AMS den Notstandshilfebezug für den Zeitraum ab mangels Zuständigkeit der regionalen Geschäftsstelle in Folge Fehlens eines Wohnsitzes bzw. gewöhnlichen Aufenthaltes gemäß §§ 44 iVm 58 AlVG ein. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer entgegen seinen niederschriftlichen Angaben vom nicht mehr in der K. Gasse wohne und wegen Fehlens eines Wohnsitzes bzw. gewöhnlichen Aufenthaltes die Zuständigkeit der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservices (in Folge AMS genannt) nicht festgestellt werden konnte.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung.
Im Berufungsverfahren kam der Beschwerdeführer einer im Mai 2012 schriftlich zugestellten Aufforderung zur Stellungnahme im Rahmen des Parteiengehörs und zur schriftlichen Übermittlung von Unterlagen, welche das Vorliegen eines Wohnsitzes von bis bestätigen sollte, nicht nach. Festgestellt wurde nach einer durchgeführten Abfrage beim Zentralen Melderegister, dass der Beschwerdeführer seit in der O. Straße in V. wohne. Er habe am bei der durch den neu begründeten Wohnsitz zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Mödling (AMS M) vorgesprochen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung teilweise Folge und änderte den erstinstanzlichen Bescheid dahin ab, dass der Notstandshilfebezug für die Zeit vom 1. Jänner bis zum eingestellt wurde. Ab bestehe ein Anspruch auf Notstandshilfe. Sie bezog sich auf die in diesem Erkenntnis vorangestellten, von der Erstbehörde festgestellten Ermittlungsergebnisse bezüglich seines Wohnsitzes bzw. gewöhnlichen Aufenthaltes und kam zum Ergebnis, dass die Einstellung des Notstandshilfebezuges im verfahrensgegenständlichen Zeitraum mangels Zuständigkeit infolge Fehlens eines Wohnsitzes bzw. eines gewöhnlichen Aufenthaltes zu Recht erfolgt sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie die Rechtswidrigkeit in Folge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstatte eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 24 Abs. 1 AlVG der gemäß § 38 AlVG auch auf die Notstandshilfe anzuwenden ist in der anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 82/2008 lautet wie folgt:
"§ 24. (1) Wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld wegfällt, ist es einzustellen; wenn sich eine für das Ausmaß des Arbeitslosengeldes maßgebende Voraussetzung ändert, ist es neu zu bemessen. Die bezugsberechtigte Person ist von der amtswegigen Einstellung oder Neubemessung unverzüglich durch Mitteilung an die zuletzt bekannt gegebene Zustelladresse in Kenntnis zu setzen. Die bezugsberechtigte Person hat das Recht, binnen vier Wochen nach Zustellung der Mitteilung einen Bescheid über die Einstellung oder Neubemessung zu begehren. Wird in diesem Fall nicht binnen vier Wochen nach Einlangen des Begehrens ein Bescheid erlassen, so tritt die Einstellung oder Neubemessung rückwirkend außer Kraft und die vorenthaltene Leistung ist nachzuzahlen. Ein späterer Widerruf gemäß Abs. 2 und eine spätere Rückforderung gemäß § 25 werden dadurch nicht ausgeschlossen."
§ 44 AlVG in der hier maßgebenden Fassung BGBl. Nr. 122/2011 lautet wie folgt:
"§ 44. (1) Die Zuständigkeit der regionalen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice (in den übrigen Bestimmungen 'regionale Geschäftsstellen' genannt) und der Landesgeschäftsstellen des Arbeitsmarktservice (in den übrigen Bestimmungen 'Landesgeschäftsstellen' genannt) richtet sich
1. soweit Rechte und Pflichten des Arbeitgebers betroffen sind, nach dem Sitz des Betriebes;
2. soweit Rechte und Pflichten der arbeitslosen Person betroffen sind, nach deren Wohnsitz, mangels eines solchen nach deren gewöhnlichem Aufenthaltsort; nach Beendigung des Bezuges einer Leistung nach diesem Bundesgesetz bleibt die bisherige Zuständigkeit auch bei Wechsel des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltsortes, insbesondere betreffend den Widerruf oder auch die Rückforderung von Leistungen, so lange aufrecht, bis ein neuer Anspruch geltend gemacht wird."
Gemäß § 58 AlVG ist die letztgenannte Bestimmung auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
Die belangte Behörde stützt die Einstellung des Notstandshilfebezuges auf den Umstand, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum 1. Jänner bis über keinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt verfügt habe und folge dessen die bisherige Zuständigkeit der bisherigen regionalen Geschäftsstelle nicht mehr gegeben sei.
Der Beschwerdeführer rügt, dass die Begründung im angefochtenen Bescheid keine ausreichenden Sachverhaltsfeststellungen enthalte, an die sich die Rechtsfolge schließe, über die im Bescheid abzusprechen gewesen sei.
Dieser Einwand führt die Beschwerde zum Erfolg.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Übersiedlung eines Leistungsempfängers aus dem Sprengel einer regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice in den Sprengel einer anderen regionalen Geschäftsstelle die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung jedenfalls dann, wenn die Übersiedelung angezeigt wird, nicht berührt und sich in Bezug auf die wenn auch nur mit Mitteilung bereits zuerkannte Leistung eine neuerliche Antragstellung erübrigt.
Ein Wohnortwechsel während des Bezuges hingegen erfordert lediglich die (unverzüglich zu erstattende) Anzeige an die bisher zuständige regionale Geschäftsstelle gemäß § 50 Abs. 1 zweiter Satz AlVG, nicht aber auch eine neuerliche persönliche Geltendmachung eines laufenden Leistungsanspruchs bei der nunmehr zuständig gewordenen regionalen Geschäftsstelle (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0031).
Da die Zuständigkeit an den Wohnsitz anknüpft, ändert sich diese grundsätzlich mit der Übersiedlung, selbst wenn der Wohnsitzwechsel vom Arbeitslosen nicht gemeldet wird.
Den Feststellungen der belangten Behörde folgend, meldete sich der Beschwerdeführer im März 2012 beim AMS M und gab seine neue Wohnadresse bekannt. Wo er sich im verfahrensgegenständlichen Zeitraum tatsächlich aufgehalten hat, stellte die Behörde nicht fest.
Die belangte Behörde unternimmt eine Zuständigkeitsprüfung, setzt sich dabei aber nur mit dem Wohnsitz des Beschwerdeführers auseinander, ohne auf seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort im Sinne des § 44 Abs. 1 Z 2 AlVG einzugehen. Beim gewöhnlichen Aufenthalt handelt es sich um einen räumlich-personalen Bezug, für den einerseits der Wille, seine Lebensbeziehungen bis auf weiteres mit einem bestimmten Ort zu verbinden und andererseits der Umstand charakteristisch ist, dass diese Beziehungen auch tatsächlich mit dem Aufenthaltsort verknüpft werden (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/08/0115). Weshalb die belangte Behörde auch diesen verneint, lässt sie unbegründet bzw. setzt sie sich mit diesem Tatbestandsmerkmal nicht auseinander.
Letztlich ist festzuhalten, dass es die belangte Behörde unterlässt darzulegen, weshalb das Fehlen eines Wohnsitzes (und gegebenenfalls des gewöhnlichen Aufenthaltsortes) zu einer Einstellung des Leistungsbezugs führt.
Aus dem Gesetz lässt sich diese Rechtsfolge nämlich nicht ableiten und macht den angefochtenen Bescheid damit rechtswidrig.
Es könnte (§ 7 Abs. 2 und Abs. 3 AlVG iVm § 50 AlVG) freilich bedeuten, dass der Beschwerdeführer im Sinne des § 7 Abs. 3 Z 1 AlVG mangels Erreichbarkeit durch die regionale Geschäftsstelle vorübergehend nicht verfügbar gewesen ist. Dies wäre aber eine andere Sache als jene der Einstellung der Notstandshilfe wegen fehlendem Wohnsitz bzw. gewöhnlichem Aufenthaltsort und ist daher im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht näher zu prüfen.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
IAAAE-71768