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VwGH vom 21.02.2017, Ra 2016/22/0095

VwGH vom 21.02.2017, Ra 2016/22/0095

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision des Bundesministers für Inneres gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , VGW-151/016/6095/2016- 7, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien; mitbeteiligte Partei: M A, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid vom wies der Landeshauptmann von Wien (im Folgenden: Behörde) den Antrag der Mitbeteiligten, einer mazedonischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

2 In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde brachte die Mitbeteiligte vor, ihr Ehegatte (Zusammenführender) beziehe ein Monatseinkommen in der Höhe von EUR 1.336,-- (inkl. Sonderzahlungen). Darüber hinaus seien ein wöchentliches Trinkgeld des Ehegatten in der Höhe von EUR 100,-- und ein monatlicher Wohnungskostenbeitrag des im gemeinsamen Haushalt lebenden Sohnes von EUR 200,-- zu berücksichtigen.

3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien (VwG) der Beschwerde statt und erteilte der Mitbeteiligten den beantragten Aufenthaltstitel für die Dauer von 12 Monaten. Begründend führte das VwG aus, im vorliegenden Fall seien Einkünfte in der Höhe von mindestens EUR 1.707,29 pro Monat erforderlich (Richtsatz für Ehegatten nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG in der Höhe von EUR 1.323,58, zuzüglich EUR 136,21 als Richtsatz für Kinder gemäß § 252 Abs. 1 Z 1 iVm § 293 Abs. 1 letzter Satz ASVG, zuzüglich EUR 497,16 als monatlicher Mietzins und EUR 32,40 für monatliche Betriebskosten, abzüglich EUR 282,06 als "Wert der freien Station").

Der Familie stehe ein Einkommen in der Höhe von insgesamt EUR 2.026,29 zur Verfügung. Dies ergebe sich aus dem Einkommen des Ehegatten (EUR 1.336,29) und dem Einkommen des Sohnes (EUR 690,--). Damit erfülle die Mitbeteiligte die Voraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG.

Die ordentliche Revision wurde für unzulässig erklärt. 4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende

Amtsrevision.

5 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Der Revisionwerber bringt in der Zulässigkeitsbegründung vor, das VwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es das Einkommen des volljährigen Sohnes bei der Berechnung des Haushaltseinkommens miteinbezogen habe (Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom , 2008/22/0711, und vom , 2009/22/0241).

7 Im Hinblick auf dieses Vorbringen erweist sich die Revision als zulässig und aus den nachstehenden Gründen auch als berechtigt:

8 Gemäß § 47 Abs. 2 NAG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 68/2013, ist Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden (gemäß § 47 Abs. 1 NAG) sind, ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen.

Der - im 1. Teil des NAG enthaltene - § 11 NAG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 70/2015, lautet auszugsweise:

"Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§ 11. (1) ...

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden,

wenn

1. ...

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen

Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5. ...

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 15), ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. ...

(6) ..."

§ 252 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955 idF BGBl. I Nr. 56/2014, lautet (auszugsweise):

"Kinder

§ 252. (1) Als Kinder gelten bis zum vollendeten 18. Lebensjahr:

1. die Kinder und die Wahlkinder der versicherten Person;

...

(2) Die Kindeseigenschaft besteht auch nach der Vollendung

des 18. Lebensjahres, wenn und solange das Kind

1. sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die

seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres; ..."

Gemäß § 292 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955 idF BGBl. II Nr. 417/2015, beträgt der Wert der vollen freien Station EUR 282,06.

§ 293 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955 idF BGBl. II Nr. 417/2015,

lautete (auszugsweise):

"Richtsätze

§ 293. (1) Der Richtsatz beträgt unbeschadet des Abs. 2

a) für Pensionsberechtigte aus eigener Pensionsversicherung,

aa) wenn sie mit dem Ehegatten (der Ehegattin) oder dem/der

eingetragenen PartnerIn im gemeinsamen Haushalt leben 1.323,58 EUR,

bb) wenn die Voraussetzungen nach aa) nicht zutreffen

882,78 EUR,

b) für Pensionsberechtigte auf Witwen(Witwer)pension oder

Pension nach § 259 882,78 EUR,

c) für Pensionsberechtigte auf Waisenpension:

aa) bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres 324,69 EUR,

falls beide Elternteile verstorben sind 487,53 EUR,

bb) nach Vollendung des 24. Lebensjahres 576,98 EUR,

falls beide Elternteile verstorben sind 882,78 EUR.

Der Richtsatz nach lit. a erhöht sich um 136,21 EUR für jedes Kind (§ 252), dessen Nettoeinkommen den Richtsatz für einfach verwaiste Kinder bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres nicht erreicht.

(2) ..."

9 Bei der Beurteilung nach § 11 Abs. 5 NAG ist auf das vorhandene Haushaltsnettoeinkommen und die in § 293 Abs. 1 ASVG enthaltenen Richtsätze abzustellen, sofern der Anspruchsberechtigte mit einem Ehepartner im gemeinsamen Haushalt lebt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0637).

10 Im vorliegenden Fall verfügt die Mitbeteiligte über keine eigenen Einkünfte. Sie kann jedoch den Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel auch durch das Bestehen von Unterhaltsansprüchen erbringen. Für die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 NAG ist die Vorlage einer Haftungserklärung zum Nachweis der erforderlichen Unterhaltsmittel nicht vorgesehen; sohin können fallbezogen als Unterhaltsansprüche gemäß § 11 Abs. 5 NAG lediglich gesetzliche Unterhaltsansprüche zum Tragen kommen (vgl. dazu die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom , 2007/21/0091, mwN).

11 Vorliegend setzte sich das VwG nicht mit der Frage auseinander, ob die Mitbeteiligte ihrem Sohn gegenüber einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch hat. Angesichts dessen durfte es das Einkommen des volljährigen Sohnes nicht zum Haushaltseinkommen hinzurechnen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2009/22/0241).

12 Darüber hinaus erhöhte das VwG bei der Beurteilung gemäß § 11 Abs. 5 NAG das vom Zusammenführenden nachzuweisende Einkommen um den Richtsatz für Kinder gemäß § 293 Abs. 1 letzter Satz ASVG um EUR 136,21 für den im gemeinsamen Haushalt lebenden Sohn. Dabei ließ das VwG unberücksichtigt, dass es gemäß § 293 Abs. 1 letzter Satz ASVG nur dann zu einer Erhöhung für ein Kind kommt, wenn dessen Einkommen den Richtsatz von EUR 324,69 (§ 293 Abs. 1 lit. c sublit. aa ASVG) für einfach verwaiste Kinder bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres nicht erreicht. Aus den Verwaltungsakten geht hervor, dass der Sohn der Mitbeteiligten, der im Zeitpunkt der Entscheidung des VwG das 18. Lebensjahr bereits vollendet hatte, aus einem Lehrverhältnis EUR 690,-- bezog, was deutlich über dem Richtsatz für einfach verwaiste Kinder von EUR 324,69 liegt. Ausgehend davon ist das vom Zusammenführenden nachzuweisende Einkommen nicht um EUR 136,21 zu erhöhen.

13 Das VwG setzte sich jedoch nicht mit dem Vorbringen der Mitbeteiligten sowohl im Verfahren vor der Behörde als auch in der Beschwerde auseinander (und traf dazu keine Feststellungen), der Zusammenführende erhalte ein wöchentliches Trinkgeld in der Höhe von EUR 100,--; diesbezüglich liegt eine Bestätigung des Arbeitsgebers den Verfahrensakten bei. Trifft es zu, dass der Zusammenführende ein Trinkgeld in der Höhe von ca. EUR 100,-- wöchentlich erhält, stünden ihm monatlich Mittel in der Höhe von mindestens EUR 1.488,79 zur Verfügung (Einkommen von EUR 1.336,29, abzüglich der Miete plus Betriebskosten vermindert um den Wert der freien Station, zuzüglich mindestens EUR 400,-- Trinkgeld, wobei aus den in den Verfahrensakten enthaltenen Kontoauszügen nicht ersichtlich ist, dass die Betriebskosten von EUR 32,40 zusätzlich zur Miete entrichtet werden).

Bereits damit wären fallbezogen die Anforderungen des § 11 Abs. 5 NAG iVm § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG von EUR 1.323,58 erfüllt, ohne dass es dabei auf einen allfälligen gesetzlichen Unterhaltsanspruch der Mitbeteiligten gegenüber ihrem Sohn ankäme.

14 Letztlich ließ das VwG ausgehend von seiner rechtlichen Beurteilung das Vorbringen, wonach der Sohn der Mitbeteiligten monatlich einen Mietkostenbeitrag in der Höhe von EUR 200,-- an den Zusammenführenden leiste, und daraus allenfalls resultierende rechtliche Konsequenzen außer Betracht.

15 Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

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