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VwGH vom 18.01.2017, Ra 2016/22/0055

VwGH vom 18.01.2017, Ra 2016/22/0055

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision des Bundesministers für Inneres gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom , LVwG 26.20-1604/2015-36, betreffend Aufenthaltsbewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Bezirkshauptmannschaft Weiz; mitbeteiligte Partei: B M L C in W, vertreten durch die Kocher & Bucher Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Friedrichgasse 31), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Spruchpunkte I und III des angefochtenen Erkenntnisses werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Weiz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht; im Folgenden: Behörde) vom wurde der (auf ein beabsichtigtes Au-pair-Verhältnis gestützte) Antrag der mitbeteiligten Partei, einer 1988 geborenen Staatsangehörigen von Guatemala, vom auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit" nach § 62 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen.

Begründend hielt die Behörde fest, sie bezweifle eine ernsthafte Tätigkeit als Au-pair-Kraft und vermute eine Umgehungshandlung. Die Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit, die - neben der Mithilfe im Haushalt und der Kinderbetreuung im Ausmaß von 20 Wochenstunden - auch den Zielen der Verbesserung der deutschen Sprache und des Kennenlernens der österreichischen Kultur durch Teilnahme an Sprachkursen und kulturellen Veranstaltungen diene, durch die mitbeteiligte Partei als Mutter eines Kindes von sieben Jahren und eines Kleinkindes von knapp sieben Monaten sei äußerst unwahrscheinlich. Da sich die mitbeteiligte Partei nach Ablauf der sichtvermerksfreien Zeit in Österreich aufgehalten habe, liege das Erteilungshindernis des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG vor. Die Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG ergebe ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom wurde der dagegen erhobenen Beschwerde Folge gegeben und der mitbeteiligten Partei eine Aufenthaltsbewilligung "Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit" gemäß § 62 NAG für zwölf Monate erteilt (Spruchpunkt I). Weiters wurden der mitbeteiligten Partei die Kosten des beigezogenen Dolmetschers in noch zu bestimmender Höhe auferlegt (Spruchpunkt II) und die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig erklärt (Spruchpunkt III).

Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die mitbeteiligte Partei einen Au-pair-Vertrag vom vorgelegt und dass die sichtvermerksfreie Zeit im Anschluss an das ausgestellte Visum D am geendet habe. Der Ehemann der mitbeteiligten Partei (und Vater ihrer Kinder) sei in Österreich mit einer Aufenthaltsbewilligung "Schüler" aufhältig. Weiters hielt das Verwaltungsgericht - gestützt auf eine als nachvollziehbar erachtete, eingeholte Stellungnahme des Referates für Sozialwesen der Behörde - fest, dass die Erfüllung eines 20- stündigen Au-pair-Vertrages durch die mitbeteiligte Partei angesichts der spezifischen Faktoren des konkreten Falles neben der Betreuung ihrer beiden eigenen Kinder möglich sei.

Das Verwaltungsgericht nahm ebenso wie die Behörde das Vorliegen des Erteilungshindernisses nach § 11 Abs. 1 Z 5 NAG an. Anders als die Behörde gelangte es im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG zum Ergebnis, dass die auf Seiten der mitbeteiligten Partei bestehenden ausgeprägten Integrationsparameter das öffentliche Interesse überwiegen würden.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Bundesministers für Inneres.

Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

4 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit vor, dass das Verwaltungsgericht das Vorliegen der besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 62 NAG nicht geprüft habe. Die Erteilungsvoraussetzung der Ausübung einer vom Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) ausgenommenen Tätigkeit (§ 62 Z 2 NAG) sei nicht gegeben. Eine (hier gegenständliche) Tätigkeit als Au-pair-Kraft gemäß § 1 Z 10 der Ausländerbeschäftigungsverordnung erfordere das Ausstellen einer Anzeigebestätigung durch das Arbeitsmarktservice. Für die mitbeteiligte Partei sei lediglich eine vom 1. März bis zum gültige Anzeigebestätigung ausgestellt worden. Die Ausstellung einer (weiteren) Anzeigebestätigung komme aktuell auf Grund des Alters der mitbeteiligten Partei nicht mehr in Frage.

Damit habe sich das Verwaltungsgericht nicht auseinandergesetzt.

Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig

und auch berechtigt.

5 § 62 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG),

BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, lautet:

"Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit

§ 62. Drittstaatsangehörigen kann eine

Aufenthaltsbewilligung zur Ausübung einer unselbständigen

Erwerbstätigkeit bei einem bestimmten Arbeitgeber ausgestellt

werden, wenn

1. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

2. eine Tätigkeit, die vom sachlichen Geltungsbereich des

Ausländerbeschäftigungsgesetzes ausgenommen ist (§ 1 Abs. 2

bis 4 AuslBG), ausüben und

3. die zuständige regionale Geschäftsstelle des

Arbeitsmarktservice bei begründeten Zweifeln auf Anfrage der Behörde das Vorliegen einer Tätigkeit gemäß Z 2 festgestellt hat."

§ 8 der Niederlassung- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV), BGBl. II Nr. 451/2005 in der Fassung BGBl. II Nr. 481/2013, bestimmt in seiner Z 5, dass einem Antrag auf Erteilung einer "Aufenthaltsbewilligung - Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit" der dieser Tätigkeit zugrunde liegende Dienstvertrag sowie erforderlichenfalls die Anzeigebestätigung des Arbeitsmarktservice nach dem AuslBG anzuschließen sind.

6 § 1 der auf § 1 Abs. 4 AuslBG gestützten Ausländerbeschäftigungsverordnung (AuslBVO), BGBl. Nr. 609/1990 in der Fassung BGBl. II Nr. 367/2014, lautet auszugsweise:

"§ 1. Vom Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes sind ausgenommen:

...

10. Ausländer zwischen 18 und 28 Jahren für eine längstens zwölf Monate dauernde Beschäftigung als Au-pair-Kraft, welche die Gastfamilie zwei Wochen vor Beginn der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice angezeigt und für die das Arbeitmarktservice eine Anzeigebestätigung ausgestellt hat. Die Bestätigung ist binnen zwei Wochen mit einer Geltungsdauer von sechs Monaten auszustellen und kann um weitere sechs Monate verlängert werden, wenn die Au-pair-Kraft nicht unerlaubt vermittelt wurde, in den letzten fünf Jahren insgesamt nicht länger als ein Jahr als Au-pair-Kraft in Österreich beschäftigt war und weiterhin gewährleistet ist, dass das Ausmaß und der wirtschaftliche Gehalt der Tätigkeit dem eines Au-pair-Verhältnisses entspricht und insbesondere der Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache nachgewiesen wird;

..."

7 Vorauszuschicken ist zunächst, dass das Vorbringen des Revisionswerbers, wonach das Verwaltungsgericht keine Prüfung nach Art. 8 EMRK vorzunehmen gehabt hätte, weil eine derartige Abwägung eine fehlende besondere Erteilungsvoraussetzung nicht ersetzen könne, insofern ins Leere geht, als das Verwaltungsgericht die Interessenabwägung (nach § 11 Abs. 3 NAG) deshalb vorgenommen hat, weil es vom Fehlen des allgemeinen Erteilungshindernisses des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG ausgegangen ist.

8 Der Revisionswerber weist aber zutreffend darauf hin, dass für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des (hier) § 62 Z 2 NAG zu prüfen sind - somit, ob die Drittstaatsangehörige eine vom sachlichen Geltungsbereich des AuslBG ausgenommene Tätigkeit ausübt.

9 Nach § 1 Z 10 AuslBVO sind Ausländer für eine Beschäftigung als Au-pair-Kraft, welche die Gastfamilie zwei Wochen vor Beginn dem Arbeitsmarktservice (AMS) angezeigt und für die das AMS eine Anzeigebestätigung ausgestellt hat, vom Geltungsbereich des AuslBG ausgenommen. Bei Nichterfüllung der Voraussetzungen für die Ausstellung einer Anzeigebestätigung ist vom AMS mit Abweisung vorzugehen (vgl. den hg. Beschluss vom , 2013/09/0102, und das hg. Erkenntnis vom , 2014/09/0004).

Die Ausstellung einer Anzeigebestätigung durch das AMS ist somit ein Bestandteil der Umschreibung des nach dieser Ziffer vom AuslBG ausgenommenen Personenkreises. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat in seinem Erkenntnis vom , V 67/2013, V 30/2014, V 71/2014, festgehalten, dass der (oben wiedergegebene) Relativsatz der näheren Bestimmung des Kreises der vom Geltungsbereich des AuslBG ausgenommenen Personen dient bzw. dass das Erfordernis einer Anzeige und Anzeigebestätigung eine Präzisierung der Ausnahme für die in Au-pair-Verhältnissen beschäftigten Personen vom Geltungsbereich des AuslBG darstellt (Rz. 38 und 40). Auch der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit einer Bestrafung nach dem AuslBG (unter anderem) darauf abgestellt, dass dem (dortigen) Beschwerdeführer vom AMS keine Anzeigebestätigungen ausgestellt worden seien (siehe das Erkenntnis vom , 2005/09/0019).

10 Demnach liegt eine vom sachlichen Geltungsbereich des AuslBG im Sinn des § 62 Z 2 NAG ausgenommene Tätigkeit hinsichtlich eines Au-pair-Verhältnisses nach § 1 Z 10 AuslBVO nur vor, wenn und soweit eine Anzeigebestätigung ausgestellt wurde. Da eine Anzeigebestätigung mit einer Geltungsdauer von sechs Monaten und somit zeitlich befristet ausgestellt wird, kommt auch dem Zeitraum, für den eine Anzeigebestätigung ausgestellt wurde, Bedeutung zu, weil nur hinsichtlich dieses Zeitraumes eine vom Geltungsbereich des AuslBG ausgenommene Tätigkeit vorliegt.

11 Im angefochtenen Erkenntnis finden sich keine Feststellungen betreffend das Vorliegen einer Anzeigebestätigung durch das AMS. Der insoweit mit den vorgelegten Verwaltungsakten in Einklang stehenden Revision lässt sich entnehmen, dass die mitbeteiligte Partei über eine Anzeigebestätigung für den Zeitraum 1. März bis verfügt (und diese im Verfahren vor der Behörde vorgelegt) hat. Dass die mitbeteiligte Partei eine aktualisierte Anzeigebestätigung vorgelegt hat, ergibt sich weder aus dem angefochtenen Erkenntnis noch wurde dies von ihr behauptet (siehe zur Vorlage einer aktualisierten Anzeigebestätigung das hg. Erkenntnis vom , 2013/22/0016).

Entgegen der in der Revisionsbeantwortung zum Ausdruck kommenden Auffassung der mitbeteiligten Partei ist diesbezüglich nicht auf die "Verhältnisse zum Antragszeitpunkt" abzustellen. Das Verwaltungsgericht hat nämlich zu prüfen, ob die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zur Ausübung einer vom Geltungsbereich des AuslBG ausgenommenen Tätigkeit geboten ist. Wenn sich eine Anzeigebestätigung auf einen bereits in der Vergangenheit liegenden Zeitraum erstreckt, dann ist die Ausübung einer vom AuslBG ausgenommenen Tätigkeit im zeitlichen Rahmen der beantragten Aufenthaltsbewilligung nicht nachgewiesen. Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass die Ausnahme des § 1 Z 10 AuslBVO nur für Ausländer zwischen 18 und 28 Jahren gilt, die mitbeteiligte Partei aber am Tag der Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses das 28. Lebensjahr vollendet hat.

12 Indem das Verwaltungsgericht das Vorliegen der besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 62 NAG nicht in einer dem Gesetz entsprechenden Weise geprüft hat, hat es seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

13 Die angefochtenen Spruchpunkte I und III (zur Aufhebung des Ausspruches über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision siehe das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/03/0063) des Erkenntnisses waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

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