VwGH vom 09.09.2010, 2007/20/1091

VwGH vom 09.09.2010, 2007/20/1091

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2007/20/1310

2007/20/1092

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofrätin Dr. Pollak, den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hahnl, über die Beschwerden von 1. R, 2. N und 3. B, alle in K und vertreten durch Mag. Gerald Kurt Wallner, Rechtsanwalt in 7400 Oberwart, Hauptplatz 14, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zlen. 268.076/0/8E-XVIII/59/06 (ad 1. protokolliert zu hg. Zl. 2007/20/1091) und 268.079/0/8E-XVIII/59/06 (ad 2. protokolliert zu hg. Zl. 2007/20/1092), jeweils betreffend § 7 Asylgesetz 1997, sowie vom , Zl. 313.451-1/2E-XVIII/59/07 (ad 3. protokolliert zu hg. Zl. 2007/20/1310), betreffend § 3 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden hinsichtlich der erst- und der zweitbeschwerdeführenden Partei in ihrem jeweiligen Spruchpunkt I., hinsichtlich der Drittbeschwerdeführerin zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40, insgesamt somit EUR 3.319,20, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Eheleute und syrische Staatsangehörige. Sie reisten am in das Bundesgebiet ein und beantragten am folgenden Tag Asyl. Die Drittbeschwerdeführerin ist ihre in Österreich geborene Tochter; für sie wurde am ein Antrag auf internationalen Schutz eingebracht.

Zu ihren Fluchtgründen gaben die erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien im Wesentlichen an, sie hätten gegen den Willen der Familie der Zweitbeschwerdeführerin, die bereits ihrem Cousin versprochen gewesen sei, geheiratet. Die Familie der Zweitbeschwerdeführerin habe das als Schande empfunden und die Eheleute mit dem Tod bedroht. Als diese sich aus Furcht vor der Familie der Zweitbeschwerdeführerin versteckt hätten, sei der Bruder des Erstbeschwerdeführers krankenhausreif geschlagen worden, damit er den Aufenthaltsort der Eheleute preisgebe. Im Fall einer Rückkehr nach Syrien befürchteten sie, von den Verwandten der Zweitbeschwerdeführerin getötet zu werden. Für die Drittbeschwerdeführerin wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

Mit den erst- und zweitangefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Instanzenzug die Asylanträge der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) ab, gewährte ihnen jedoch - anders als das Bundesasylamt - gemäß § 8 Abs. 1 AsylG Refoulementschutz und gemäß § 8 Abs. 2 AsylG befristete Aufenthaltsberechtigungen. Mit dem drittangefochtenen Bescheid wurde lediglich der Antrag auf internationalen Schutz im Instanzenzug gemäß § 3 Asylgesetz 2005 (BGBl. I Nr. 100/2005; AsylG 2005) abgewiesen, nachdem bereits das Bundesasylamt der Drittbeschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 den Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt hatte.

In den nahezu wortgleichen Begründungen der erst- und zweitangefochtenen Bescheide legte die belangte Behörde das von ihr als glaubwürdig bezeichnete Fluchtvorbringen ihrer rechtlichen Beurteilung zugrunde. Sie traf ausführliche Feststellungen zur Lage in Syrien; unter anderem führte sie aus, Frauen würden nach wie vor in vielen Bereichen diskriminiert und es komme in Syrien weiterhin zu Ehrenmorden. Diese würden durch den syrischen Staat zwar bekämpft, seien jedoch nicht zu verhindern. Von einer Schutzfähigkeit des Staates könne nicht ausgegangen werden und Frauen hätten auch keine Zufluchtsstätten wie etwa Frauenhäuser, Beratungs- oder Rehabilitationszentren.

In ihrer rechtlichen Beurteilung ging die belangte Behörde jeweils davon aus, die festgestellten Verfolgungshandlungen seien als "eigenständiger krimineller Akt" zu qualifizieren, der keinen Anknüpfungspunkt in der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonV) habe, sondern "rein im Zuge von innerfamiliären Problemen" bzw. als "familiäre Gewaltbereitschaft zu sehen" sei. Es könne nicht angenommen werden, dass es eine systematische Verfolgung von syrischen Männern und Frauen gebe, welche trotz Ablehnung durch die Familie des künftigen Ehepartners die Heirat vollzögen, weshalb auch nicht von einer diesbezüglichen homogenen Gruppe gesprochen werden könne. Eine solch extensive Interpretation würde die in der FlKonv getroffene Beschränkung der für die Asylgewährung erforderlichen Verfolgungsgründe unterlaufen und dazu führen, dass sämtlichen Männern und Frauen, welche aufgrund ihrer Eheschließung Probleme mit der Familie "der Gattin" zu gewärtigen hätten, Asyl zu gewähren wäre, "was zweifelsfrei mit dem Charakter der sozialen Gruppe als Auffangtatbestand nicht vereinbar wäre und diesen in weiterer Folge ad absurdum führen würde". Aus diesen Gründen sei es "für die Frage der Asylrelevanz" auch nicht von Bedeutung, ob der syrische Staat schutzwillig sei; dies sei "ausschließlich im Rahmen von § 8 AsylG" 2005 zu prüfen. In diesem Rahmen bejahte die belangte Behörde das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gefährdungssituation.

Der drittangefochtene Bescheid erschöpft sich im Wesentlichen in einer Bezugnahme auf die erst- und zweitangefochtenen Bescheide.

Gegen diese Bescheide, soweit mit ihnen die Anträge auf Gewährung von Asyl bzw. internationalem Schutz abgewiesen wurden, wenden sich die vorliegenden, wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:

1. In den Beschwerden wird unter anderem geltend gemacht, die erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien würden vom "Familienclan" der Zweitbeschwerdeführerin verfolgt und könnten keinen staatlichen Schutz erwarten. Der Asylgrund der sozialen Gruppe liege daher vor.

Mit diesem Vorbringen sind die Beschwerden - jedenfalls betreffend die Zweitbeschwerdeführerin - im Ergebnis im Recht.

2. Fälle wie die vorliegenden stehen - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgeführt hat (vgl. das Erkenntnis vom , Zlen. 2008/19/1027, 1028, und die darin zitierte Vorjudikatur, sowie ihm folgend das Erkenntnis vom , Zl. 2008/23/0366, mwN) - im Spannungsfeld zwischen einer Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten "sozialen Gruppe" einerseits und rein kriminellen, keinem Konventionsgrund zuordenbaren Bedrohungen andererseits.

Im Fall der Zweitbeschwerdeführerin ging die belangte Behörde davon aus, dass ihre Verwandten ihr nach dem Leben trachteten, weil sie dem Willen der Familie nicht entsprochen und dadurch Schande über die Familie gebracht habe. Gleichzeitig stellte sie fest, dass Frauen in Syrien nach wie vor Opfer von Ehrenmorden würden und der Staat sie nicht schütze (und gewährte der Zweitbeschwerdeführerin vor diesem Hintergrund Refoulementschutz).

Droht der Zweitbeschwerdeführerin wegen Missachtung der Wertvorstellungen ihrer Familie aber als weibliches Familienmitglied die Ermordung, vor der sie der Staat nicht schützt, so kommt sowohl eine Verfolgung wegen des Geschlechts als auch wegen der Zugehörigkeit zur Familie der Verfolger in Betracht; dies ließ die belangte Behörde bei ihren oben zitierten Ausführungen zum Konventionsgrund der "sozialen Gruppe" trotz Vorliegens zahlreicher diesbezüglicher Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs (s. etwa die Nachweise im Erkenntnis vom , Zlen. 2008/19/1027, 1028, oder im Erkenntnis vom , Zlen. 2006/20/0832, 0833; vgl. auch das Erkenntnis vom , Zl. 2003/01/0504) außer Acht.

3. Der zweitangefochtene Bescheid beruht daher auf einer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht und vermag deshalb keinen Bestand zu haben.

Dieser Umstand schlägt im Familienverfahren auch auf den erst-

(§ 10 Abs. 5 AsylG) und den drittangefochtenen (§ 34 Abs. 4 AsylG 2005) Bescheid durch.

Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Wien, am