VwGH vom 21.10.2011, 2010/03/0148
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Handstanger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde der S B in B, vertreten durch Dr. Emelle Eglenceoglu, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Gilmstraße 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom , Zl E1/27915/09, betreffend Waffenverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde über die Beschwerdeführerin gemäß § 12 Abs 1 des Waffengesetzes 1996, BGBl I Nr 12/1997 (WaffG), ein Waffenverbot verhängt.
Dieser Entscheidung legte die belangte Behörde folgenden Sachverhalt zugrunde:
"Am vormittags rief die (Beschwerdeführerin) ihre Ärztin beim Landeskrankenhaus Rankweil an. (Sie) äußerte am Telefon einen Suizidversuch und machte einen äußerst labilen Eindruck … Die besorgte Ärztin verständigte unverzüglich telefonisch die örtlich zuständige Polizeidienststelle Bregenz. Zwei Polizeibeamte fuhren zur Wohnadresse der (Beschwerdeführerin), wo diese nach Klingeln die Wohnungstüre öffnete und den Beamten Eintritt gewährte. Gegenüber den Beamten machte die (Beschwerdeführerin) einen verzweifelten und völlig hilflosen Eindruck, sie weinte bitterlich und zitterte am ganzen Körper. Für die Beamten schien es, als wäre die (Beschwerdeführerin) augenscheinlich zeitlich desorientiert gewesen. Da (sie) kaum Deutsch sprechen konnte, wurde ein Dolmetscher hinzugezogen. Während der weiteren Sachverhaltserhebung verschlechterte sich der Zustand der Genannten zusehend, indem sie eine völlig verzweifelte Gestik an den Tag legte und ununterbrochen weinte. Deshalb zogen die Beamten den diensthabenden Stadtarzt von Bregenz hinzu. Über den Dometscher konnte eruiert werden, dass die (Beschwerdeführerin) von einem angeblich anstehenden Gerichtsverfahren gegen ihren Ehemann Angst hatte und deshalb nicht mehr weiter wusste. Dem Dolmetscher gegenüber erklärte sie, dass ihr Mann von der Sache erfahren könnte, und deshalb habe sie eine Suizidankündigung gegenüber der Ärztin gemacht. Die (Beschwerdeführerin) sprach selber aus, dass sie wegen dieser Sachlage an einer psychischen Erkrankung leide. Nach einem ausführlichen Gespräch konnte die (Beschwerdeführerin) freiwillig dazu bewogen werden, mit der Rettung ins Landeskrankenhaus Rankweil zu fahren und sich dort ärztlich behandeln zu lassen. Nur deshalb wurde vom Stadtarzt von der rechtlich zulässigen Zwangsweinweisung nach dem Unterbringungsgesetz abgesehen. Die Fahrt zum Landeskrankenhaus wurde durch die Polizei nicht begleitet.
Aufgrund des im Akt vorhandenen Arztbriefes des Landeskrankenhauses Rankweil befand sich die (Beschwerdeführerin) bis zu in stationärer Behandlung. Die Entlassungsdiagnose lautete schließlich auf eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion. Bereits am begab sich die (Beschwerdeführerin) in Begleitung ihres Mannes ohne ärztliche Einweisung erneut in das Landeskrankenhaus, da sich ihr Zustand seit der Entlassung verschlechtert hatte. (Sie) war bei ihrer zweiten stationären Aufnahme weinerlich, verzweifelt, schlaf- und appetitlos sowie todessehnsüchtig. Der behandelnde Arzt stellt somit eine latente Suizidalität fest. Die Entlassung aus der zweiten stationären Behandlung erfolgte am ."
Rechtlich folgerte die belangte Behörde aus diesem Sachverhalt, die Intention des WaffG sei es, die Allgemeinheit vor Gefahren durch die missbräuchliche Verwendung von Waffen zu schützen. Dabei sei ausschließlich auf die nach außen tretende Gefährdung abzustellen; die allfällige Vorwerfbarkeit des Handelns müsse ausgeblendet bleiben. Der Verwaltungsgerichtshof habe festgestellt, dass ernsthafte Selbstmordabsichten die Verhängung eines Waffenverbots rechtfertigten. Nach dem festgestellten Sachverhalt sei die erstinstanzliche Behörde zu Recht von einer ernsthaften Selbstmordabsicht der Beschwerdeführerin im Dezember 2009 ausgegangen. Damit sei jene Tatsache bewiesen, die die Annahme rechtfertige, dass die Beschwerdeführerin in Hinkunft durch die missbräuchliche Verwendung von Waffen ihr oder das Leben anderer, die Gesundheit oder Freiheit von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden könnte. Bereits durch dieses Sachverhaltselement allein sei die Verhängung des Waffenverbots gerechtfertigt.
Dem Einwand der Beschwerdeführerin, die stationären Spitalsaufenthalte hätten ausschließlich mit akuten persönlichen Problemen in ihrer damaligen verzweifelten Situation zu tun gehabt, könne die belangte Behörde nicht folgen. Die zweifelsohne vorhandenen Probleme hätten jedenfalls zu einer Situation geführt, in der die Beschwerdeführerin es ernsthaft in Betracht gezogen habe, Suizid zu begehen. Vermutlich habe nur durch das Einschreiten der Polizeikräfte verhindert werden können, dass sich die Beschwerdeführerin in ernsthafte Gefahr für ihr Leben begeben habe. Somit sei die Prüfung der Frage, ob eine ernsthafte Selbstmordabsicht vorgelegen habe, kein Gegenstand eines entsprechenden Gutachtens durch einen Mediziner. Denn es obliege ohnehin die rechtliche Beurteilung nur der Behörde und niemals einem Gutachter. Ein Sachverständiger müsse nur dann beigezogen werden, wenn der Sachverhalt unklar sei oder die Behörde über die nötige Sachkunde nicht verfüge. Im vorliegenden Sachverhalt seien die Absichten der Beschwerdeführerin dermaßen offenkundig und nachvollziehbar gewesen, dass ein Gutachten über ihren psychischen Zustand unterbleiben habe können.
Wenn die Beschwerdeführerin moniere, man könne ihr keine psychische Erkrankung ohne ein entsprechendes Gutachten attestieren, sei sie zwar im Recht; dieser Einwand sei aber unbeachtlich, weil die Verhängung des Waffenverbots bereits aus der ernsthaften Suizidabsicht abgeleitet werden konnte und deshalb die Frage, ob die Beschwerdeführerin an einer psychischen Krankheit leidet, unbeantwortet bleiben könne.
Es spiele keine Rolle, ob die ernsthafte Suizidabsicht in einem Zusammenhang mit der Androhung oder versuchten Verwendung von Waffen gestanden habe. Für die Verhängung eines Waffenverbotes sei nämlich keine bereits erfolgte missbräuchliche Verwendung von Waffen mitsamt Gefährdung von Personen oder Sachen erforderlich.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, hilfsweise wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. Gemäß § 12 Abs 1 Waffengesetz 1996 (WaffG) hat die Behörde einem Menschen den Besitz von Waffen und Munition zu verbieten (Waffenverbot), wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dieser Mensch durch missbräuchliches Verwenden von Waffen Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden könnte.
Die Verhängung eines Waffenverbotes dient der Verhütung von Gefährdungen der im § 12 Abs 1 WaffG bezeichneten Art und setzt nicht voraus, dass es schon zu einem missbräuchlichen Verwenden von Waffen durch den Betroffenen gekommen ist. Dabei genügt es, wenn konkrete Umstände vorliegen, die die Besorgnis erwecken, dass von der Waffe ein gesetz- oder zweckwidriger Gebrauch gemacht werden könnte. Dabei ist nach dem dem WaffG allgemein innewohnenden Schutzzweck ein strenger Maßstab anzulegen. Der Verbotstatbestand des § 12 Abs 1 WaffG setzt lediglich voraus, dass auf Grund objektiver Sachverhaltsmerkmale eine qualifiziert rechtswidrige Verwendung von Waffen zu befürchten ist. Liegt diese Voraussetzung vor, so hat die Behörde nach § 12 Abs 1 WaffG vorzugehen und ein Waffenverbot auszusprechen, ohne dass ein bisher untadeliges Vorleben dem entgegenstünde. Wesentlich ist, dass dem Betroffenen die missbräuchliche Verwendung von Waffen zuzutrauen ist (vgl etwa das hg Erkenntnis vom , Zl 2005/03/0214).
2. Der belangten Behörde ist zwar zuzustimmen, dass ernsthafte Selbstmordabsichten die Verhängung eines Waffenverbots rechtfertigen (vgl etwa die hg Erkenntnisse vom , Zl 2008/03/0029 und vom , Zl 2006/03/0087, mwN). Derartige Absichten müssten sich aber nicht nur bezogen auf einen bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit, sondern auch noch bei Erlassung des Waffenverbots durch die belangte Behörde feststellen lassen, um die Gefährdungsprognose im Sinne des § 12 Abs 1 WaffG nachvollziehbar zu machen.
Die belangte Behörde begründet ihre Entscheidung nur damit, dass aufgrund ihres festgestellten Sachverhalts von einer ernsthaften Selbstmordabsicht der Beschwerdeführerin "im Dezember 2009" auszugehen gewesen sei. Warum allein dieser Umstand die Annahme rechtfertigen soll, die Beschwerdeführerin könne auch noch im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheids (mehr als sieben Monate später) und "in Hinkunft" Waffen missbräuchlich verwenden und dadurch die in § 12 Abs 1 WaffG genannten Gefahren verwirklichen, lässt sich daraus nicht nachvollziehen. Insofern erweist sich das Beschwerdevorbringen, die belangte Behörde habe keine ausreichenden Feststellungen über den Sachverhalt und die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin, unter denen die damalige Suizidgefahr bestand, getroffen und den Beweisantrag auf Einholung eines medizinischen Gutachtens (zum Beweis dafür, dass bei der Beschwerdeführerin keine derart schwere psychische oder medizinische Störung vorliege, welche die Erteilung eines Waffenverbots rechtfertige) zu Unrecht übergangen, im Ergebnis als berechtigt. Wären die von der belangten Behörde festgestellten Selbstmordabsichten der Beschwerdeführerin nämlich nur auf ihre damalige (psychische) Ausnahmesituation zurückzuführen und könnte daraus (aus medizinischer Sicht) keine Gefährdungsprognose im Sinne des § 12 Abs 1 WaffG abgeleitet werden, so käme die Verhängung eines Waffenverbots über die Beschwerdeführerin gestützt auf diesen Sachverhalt nicht (mehr) in Betracht. Zudem liegen nach den behördlichen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beschwerdeführerin aufgrund der Nähe zu Waffen in besonderer Weise gefährdet wäre.
Der angefochtene Bescheid ist daher mit relevanten Verfahrensmängeln belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl II Nr 455.
Wien, am