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VwGH vom 09.09.2010, 2007/20/1040

VwGH vom 09.09.2010, 2007/20/1040

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofrätin Dr. Pollak, den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hahnl, über die Beschwerde der Z, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 307.658-3/2E-XII/37/07, betreffend §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine russische Staatsangehörige, reiste gemeinsam mit ihren beiden minderjährigen Kindern aus Polen kommend in Österreich ein und beantragte am in Österreich internationalen Schutz. Zuvor hatte sie bereits am in Polen einen Asylantrag gestellt. In Beantwortung des Wiederaufnahmegesuchs des Bundesasylamtes vom bestätigte Polen mit Fax vom seine Verpflichtung zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin (und ihrer Kinder) gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung des Rates (EG) Nr. 343/2003 (im Folgenden: Dublin-Verordnung). Das Bundesasylamt wies daraufhin mit Bescheid vom den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück, stellte fest, dass Polen für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 13 iVm Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung zuständig sei und wies die Beschwerdeführerin nach Polen aus.

Mit Bescheid vom behob der unabhängige Bundesasylsenat gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 diesen Bescheid aufgrund mangelhafter Ermittlungen zum psychischen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin, ohne der dagegen erhobenen Berufung aufschiebende Wirkung zuerkannt zu haben.

Am wies das Bundesasylamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz erneut gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurück, stellte fest, dass Polen für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 13 iVm Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung zuständig sei, und wies die Beschwerdeführerin nach Polen aus. Die dagegen erhobene Berufung rügte unter anderem, dass die Zuständigkeit zur Durchführung eines inhaltlichen Asylverfahrens infolge Ablaufs der Überstellungsfrist gemäß Art. 20 Abs. 2 Dublin-Verordnung mittlerweile auf Österreich übergegangen sei, weil seit der Zustimmung Polens zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin (und ihrer Kinder) mehr als sechs Monate verstrichen seien. Diese Berufung datiert vom .

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß "§ 5 iVm § 10 Abs. 1 Z 1" AsylG 2005 ab. Begründend führte sie aus, dass ihre Entscheidung (vom ) über die Berufung innerhalb der siebentägigen Frist erfolgt und der Berufung folglich aufschiebende Wirkung zugekommen sei. Deshalb sei die Überstellungsfrist "gemäß Art. 19 Abs. 3" Dublin-Verordnung noch nicht abgelaufen und kein Zuständigkeitsübergang auf Österreich eingetreten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:

Die Beschwerde wendet sich gegen die Rechtsauffassung der belangten Behörde, wonach einer innerhalb der siebentägigen Frist gemäß (richtig:) § 37 Abs. 1 iVm § 36 Abs. 1 AsylG 2005 erhobenen Berufung (jedenfalls) die aufschiebende Wirkung zukomme, und argumentiert, dass eine solche Wirkung der Berufung erst durch den unabhängigen Bundesasylsenat ausdrücklich zuerkannt werden müsse. Dies sei im Beschwerdefall durch die belangte Behörde aber nicht erfolgt. Ausgehend davon sei die Überstellungsfrist, die gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d Dublin - Verordnung im Fall der Berufungserhebung nur dann zu einem späteren Zeitpunkt zu laufen beginne, wenn der Berufung aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei, bereits abgelaufen und die Zuständigkeit Polens zur Durchführung des Asylverfahrens erloschen.

Damit ist die Beschwerde im Recht.

Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005 in der zum Entscheidungszeitpunkt anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 100/2005

lauten:

"§ 36

(1) Einer Berufung gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag zurückgewiesen wird, kommt eine aufschiebende Wirkung nicht zu. Einer Berufung gegen eine mit einer solchen Entscheidung verbundenen Ausweisung kommt die aufschiebende Wirkung nur zu, wenn sie vom unabhängigen Bundesasylsenat zuerkannt wird.

(...)

(4) Kommt einer Berufung gegen eine Ausweisung die aufschiebende Wirkung nicht zu, ist die Ausweisung durchsetzbar. Mit der Durchführung der diese Ausweisung umsetzenden Abschiebung oder Zurückschiebung ist bis zum Ende der Rechtsmittelfrist, wird ein Rechtsmittel ergriffen bis zum Ablauf des siebenten Tages ab Berufungsvorlage zuzuwarten. (...)

§ 37

(1) Wird gegen eine mit einer zurückweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz verbundene Ausweisung Berufung ergriffen, hat der unabhängige Bundesasylsenat dieser binnen sieben Tagen ab Berufungsvorlage die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die Ausweisung lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Bei der Entscheidung, ob einer Berufung gegen eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung nach § 5 verbunden ist, die aufschiebende Wirkung zuerkannt wird, ist auch auf die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der Art. 19 Abs. 2 und 20 Abs. 1 lit. e der Dublin-Verordnung und die Notwendigkeit der effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts Bedacht zu nehmen.

(3) Über eine Berufung gegen eine zurückweisende Entscheidung nach Abs. 1, der in Bezug auf die Ausweisung die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, hat der unabhängige Bundesasylsenat binnen zwei Wochen zu entscheiden."

Art. 20 der Dublin-Verordnung lautet:

"(1) Gemäß Artikel 4 Absatz 5 und Artikel 16 Absatz 1 Buchstaben c), d) und e) wird ein Asylbewerber nach folgenden Modalitäten wieder aufgenommen:

(...)

d) ein Mitgliedstaat, der die Wiederaufnahme akzeptiert, muss den Asylbewerber in seinem Hoheitsgebiet wieder aufnehmen. Die Überstellung erfolgt gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat;

e) der ersuchende Mitgliedstaat teilt dem Asylbewerber die Entscheidung des zuständigen Mitgliedstaats über seine Wiederaufnahme mit. Diese Entscheidung ist zu begründen. Die Frist für die Durchführung der Überstellung ist anzugeben und gegebenenfalls der Ort und der Zeitpunkt zu nennen, an dem bzw. zu dem sich der Asylbewerber zu melden hat, wenn er sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begibt. Gegen die Entscheidung kann ein Rechtsbehelf eingelegt werden. Ein gegen diese Entscheidung eingelegter Rechtsbehelf hat keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem innerstaatlichen Recht zulässig ist.

(...)

(2) Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, so geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung oder die Prüfung des Antrags auf Grund der Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn der Asylbewerber flüchtig ist.

(...)"

Aus dem Wortlaut der zitierten Stellen des AsylG 2005 und der Dublin-Verordnung ergibt sich eindeutig, dass ausgehend von den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, denen insbesondere §§ 36 Abs. 1 und 37 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 Rechnung tragen, einer Berufung gegen eine mit einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 verbundenen Ausweisung grundsätzlich ex lege keine aufschiebende Wirkung zukommt; erst bei ausdrücklicher (bescheidförmiger) Zuerkennung einer solchen durch den unabhängigen Bundesasylsenat ist vom Vorliegen einer aufschiebenden Wirkung auszugehen (vgl. dazu auch Feßl/Holzschuster , Asylgesetz 2005, 518 f. und 521). Sowohl die Dublin-Verordnung als auch die §§ 36 und 37 AsylG 2005 gehen davon aus, dass lediglich in geprüften Einzelfällen einer Berufung in solchen Verfahren aufschiebende Wirkung zuerkannt werden kann bzw. muss (vgl. dazu auch Filzwieser/Sprung , Dublin II-Verordnung, 3. Auflage, 2010, K 7 zu Art. 20 Abs. 1 lit. d Dublin-Verordnung, welcher auf K 26 ff. zu Art. 19 Abs. 3 leg. cit. verweist; Funke-Kaiser in: Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz 1992, Stand: April 2009, Rdn. 259 zu § 27a).

Dies wird auch durch die Gesetzesmaterialien zur Stammfassung des § 37 AsylG 2005 bestätigt (RV 952 BlgNR 22. GP 56):

(...) Handelt es sich andererseits um eine Entscheidung zur Umsetzung der Dublin-Verordnung ist - und das ist europarechtlich geboten - auf die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze, unter anderem, dass der Berufung nur in Ausnahmefällen die aufschiebende Wirkung zukommen soll, und der effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts, Bedacht zu nehmen. (...).

Ausgehend davon kann entgegen der Annahme der belangten Behörde nicht gegen den Wortlaut und den Telos der zitierten Normen aus der siebentägigen Frist des § 37 Abs. 1 AsylG 2005 eine ex lege bestehende (siebentägige) aufschiebende Wirkung einer Berufung im Verfahren nach § 5 AsylG 2005, gerechnet ab Vorlage der Berufung an den unabhängigen Bundesasylsenat, abgeleitet werden.

Auch im Erkenntnis vom , Zl. 2007/19/0730, hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass eine Entscheidung der Berufungsbehörde, die binnen sieben Tagen ab Berufungsvorlage erfolgt, nicht zu einer (weiteren) Unterbrechung der Überstellungsfrist führt. Die siebentägige Frist, die gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 dem unabhängigen Bundesasylsenat zugestanden wird, um (bescheidförmig) einer Berufung gegen eine mit einer zurückweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz verbundenen Ausweisung aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, dient somit lediglich dazu, (erst) über die Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung zu entscheiden. Sie kann daher nicht per se einer (explizit zuerkannten) aufschiebenden Wirkung im Sinne des Art. 20 Abs. 1 lit. d Dublin-Verordnung gleichgehalten werden. Die in einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 getroffene Ausweisungsentscheidung ist im Zeitraum der siebentägigen Frist vielmehr formell durchsetzbar, nur nicht durchführbar. Die siebentägige Frist, binnen derer bei Erhebung eines Rechtsmittels mit der Ergreifung fremdenpolizeilicher Maßnahmen zuzuwarten ist, ändert nichts an der formellen Durchsetzbarkeit der Ausweisung im Sinne des § 36 Abs. 4 AsylG 2005 (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2010/21/0016, und vom , Zl. 2008/21/0617).

Die Annahme der belangten Behörde, dass die siebentägige Frist des § 37 Abs. 1 AsylG 2005 als aufschiebende Wirkung im Sinne der Dublin-Verordnung zu interpretieren sei, wäre auch gemeinschaftsrechtswidrig, weil sie der praktischen Wirksamkeit (effet utile) der Verordnung entgegenstünde. Wortlaut und Regelungszweck der Verordnung sehen nämlich einen grundsätzlichen Ausschluss einer aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen und lediglich die Möglichkeit zur nationalen Regelung der Zuerkennung in Einzelfällen vor. Aus dem Gebot einer gemeinschaftrechtskonformen Interpretation der nationalen Normen mit gemeinschaftsrechtsrelevantem Regelungsinhalt (vgl. bspw. , Leichtle , Randnr. 58, oder , Hendrix , Randnr. 57 und 58) folgt, dass die Frist des § 37 Abs. 1 iVm § 36 Abs. 1 AsylG 2005 nicht als gesetzlich normierte generelle aufschiebende Wirkung verstanden werden kann; sie stellt lediglich ein (temporäres) Durchführbarkeitshindernis der Ausweisung dar und ist deutlich abgegrenzt von einem behördlichen Akt der Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung (vgl. auch Fahrner/Premiszl , das Fristensystem im "Dublin-Verfahren" nach dem Asylgesetz 2005, migralex, 2006, 62 (69)). In diesem Sinne nimmt auch der EuGH in der Frage der Überstellungsfrist als fristauslösendes Moment die Entscheidung über einen Rechtsbehelf nur dann an, wenn diesem aufschiebende Wirkung ausdrücklich ("durch das Gericht dieses Mitgliedstaats") beigelegt wurde (vgl. C- 19/08, Petrosian , Randnr. 42).

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde nicht die ihr gemäß § 37 Abs. 1 AsylG zustehende Möglichkeit in Anspruch genommen, der gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, sondern hat binnen der siebentägigen Frist des § 37 Abs. 1 AsylG 2005 über die Berufung entschieden. Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass in diesem Fall die Frist für die Überstellung gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d Dublin-Verordnung ab der Annahme des Antrages auf Wiederaufnahme durch Polen, somit dem , zu laufen begann und in Ermangelung des Vorliegens eines Rechtsbehelfs mit (explizit zuerkannter) aufschiebender Wirkung am endete. Zu diesem Zeitpunkt ging die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrages gemäß Art. 20 Abs. 2 Dublin-Verordnung auf Österreich über.

Aus den dargestellten Gründen war der angefochtene Bescheid vom gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff. VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Wien, am