VwGH 02.09.2010, 2007/19/1347
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Ausführungen, dass die belangte Behörde bei Behandlung der Berufung gegen die Ablehnung eines nach § 71 Abs. 1 Z 1 AVG gestellten Wiedereinsetzungsantrages des Beschwerdeführers, eines Heimbewohners, gehalten gewesen wäre, sich mit den Modalitäten, unter denen die Postsendungen bzw. Hinterlegungsanzeigen von den Angestellten des Wohnheimes verwaltet und an die Bewohner ausgefolgt werden, inhaltlich auseinander zu setzen (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/20/0077); davon ausgehend wäre näher zu klären gewesen, ob bzw. aus welchen Gründen der Beschwerdeführer im konkreten Fall von der Hinterlegungsanzeige bzw. der Zustellung durch Hinterlegung keine Kenntnis erlangte. |
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RS 2 | Die belangte Behörde hat dem Wiedereinsetzungsantrag - dessen letztinstanzliche Abweisung durch das vorliegende Erkenntnis rückwirkend aus dem Rechtsbeistand beseitigt wird - aufschiebende Wirkung zuerkannt. Die Zurückweisung der verspäteten Berufung vor der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag durch die belangte Behörde entspricht unter diesen Umständen nicht dem Gesetz (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/19/0515). |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2007/19/1348
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke, den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Rehak sowie die Hofräte Dr. Fasching und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde des C auch C C in W, geboren am , vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates je vom , 1.) Zl. 256.921/0/4E-XII/37/05-v71, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (protokolliert zur hg. Zl. 2007/19/1347) und 2.) Zl. 256.921/0/5E-XII/37/05, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Asylsache (protokolliert zur hg. Zl. 2007/19/1348), (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der erstangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der zweitangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von je EUR 1.106,40 somit insgesamt EUR 2.212,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, beantragte am Asyl. Diesen Antrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, erklärte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach "Russland" für zulässig und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus. Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer an die von ihm dem Bundesasylamt mitgeteilte Adresse, an welcher er auch aufrecht gemeldet war, am durch Hinterlegung zugestellt. Laut dem im vorgelegten Verwaltungsakt erliegenden Rückschein waren der Hinterlegung zwei Zustellversuche vorangegangen. Die Verständigung von der erfolgten Hinterlegung wurde laut Rückschein "in den Briefkasten eingelegt". Der Bescheid wurde nach Ende der Abholfrist vom Zustellpostamt mit dem Vermerk "nicht behoben" an das Bundesasylamt zurückgesandt.
Mit Schriftsatz vom beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gegen diesen Bescheid und führte unter einem die Berufung aus. Den Antrag auf Wiedereinsetzung begründete er damit, keine Kenntnis über die Zustellung des Bescheides erhalten zu haben. Erst im Zuge einer Beratung bei der Caritas Wien sei er darüber informiert worden. Er wohne seit Frühjahr 2004 an der von ihm angegebenen Adresse, einem vom Österreichischen Roten Kreuz geführten Wohnheim. Dort werde auch ein Akt über ihn geführt, in welchem die Zustellvorgänge - auch Postzustellungen - betreffend den Beschwerdeführer dokumentiert seien. Im Akt befänden sich auch allfällige Bescheide und im Fall von Hinterlegungsanzeigen eine Kopie des gelben Hinterlegungszettels. Diese Information würde dann an ihn als Bewohner weitergegeben. Der Eingang des erwähnten Bescheides des Bundesasylamtes sei in diesem Akt ebenso wenig dokumentiert wie die diesbezügliche Hinterlegungsanzeige. Auch seiner Beraterin bei der Caritas Wien sei anlässlich eines Telefongespräches von zwei - namentlich genannten - Betreuern des erwähnten Wohnheimes mitgeteilt worden, dass es keine internen Aufzeichnungen über die Zustellung eines Bescheides des Bundesasylamtes an den Beschwerdeführer gebe. Da offensichtlich nicht einmal die Mitarbeiter des Wohnheimes von der Zustellung erfahren hätten, sei es dem Beschwerdeführer gänzlich unmöglich gewesen, von der Hinterlegung des Bescheides Kenntnis zu erlangen.
Zum Beweis für dieses Vorbringen wurde die Einvernahme des Beschwerdeführers und des "Teamleaders" des Wohnheimes beantragt; weiters legte der Beschwerdeführer ein an die Caritas Wien gerichtetes Schreiben des "Teamleaders" vor, in welchem dieser bestätigte, dass keine "Postsendung" betreffend den Beschwerdeführer eingetroffen sei und weiters ausführte, dass alle Kuverts der eingehenden Postsendungen kopiert und bei Übergabe an den Bewohner von diesem mit Datum unterschrieben und sodann in dessen Akt abgelegt würden.
Das Bundesasylamt wies den Wiedereinsetzungsantrag, ohne die beantragten Einvernahmen durchzuführen, mit Bescheid vom 17. Jänner "2004" (richtig wohl: 2005) gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) ab. Begründend wurde ausgeführt, dass es "logisch" sei, dass beim Österreichischen Roten Kreuz weder ein kopierter und unterschriebener RSa-Rückschein noch ein Bescheid vorliege, da dieser nur an den Empfänger persönlich ausgefolgt werden könne, weil keine Zustellvollmacht für den Unterkunftgeber vorliege. Mit der Argumentation, der Beschwerdeführer habe den Bescheid nicht persönlich erhalten, habe der Beschwerdeführer nicht darzutun vermocht, dass ein minderer Grad des Versehens vorliege oder er durch ein unvorhersehbares bzw. ein unabwendbares Ereignis verhindert gewesen sei, die Berufungsfrist einzuhalten.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer aus, dass er auf die ordnungsgemäße Abwicklung der Zustellung an die Heimbewohner durch die Angestellten des Wohnheimes habe vertrauen können. Auf eine Zustellvollmacht komme es nicht an, die Hinterlegungsanzeige würde im Normalfall durch die Angestellten an den Beschwerdeführer weitergegeben und die Zustellvorgänge regelmäßig dokumentiert. In der Dokumentation liege keine Hinterlegungsanzeige für ihn vor.
Mit dem erstangefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ab. In der Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Behauptungen des Beschwerdeführers stellten keine taugliche Begründung für einen Wiedereinsetzungsantrag dar, da diese auf die Gültigkeit des Zustellvorganges abstellten. Im Übrigen habe der Beschwerdeführer nicht einmal behauptet, die nötige Sorgfalt aufgebracht zu haben, indem er regelmäßig bei den Mitarbeitern im Quartier nachgefragt habe. Auch habe er das Vorliegen eines Versehens nicht konkret dargetan. Mit der Berufung seien weitere Wiedereinsetzungsgründe "nachgeschoben" worden, was nicht zulässig sei. Gleichzeitig wies sie mit dem zweitangefochtenen Bescheid die Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurück.
Gegen diese Bescheide wendet sich die vorliegende Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
1. Zur Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages:
Zunächst ist dem Beschwerdevorbringen darin beizupflichten, dass - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - dem Wiedereinsetzungsantrag nicht entnommen werden kann, der Beschwerdeführer habe die Gültigkeit des Zustellvorganges angezweifelt; den Ausführungen des Beschwerdeführers im Wiedereinsetzungsantrag ist vielmehr zu entnehmen, dass er von der Zustellung des erstinstanzlichen Asylbescheides durch Hinterlegung ausging, dass er hierüber - infolge mangelnder Information durch die Heimangestellten - jedoch nicht (fristgerecht) Kenntnis erlangt habe.
Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer den Wiedereinsetzungsantrag auf seine Unkenntnis von der erfolgten Zustellung des erstinstanzlichen Asylbescheides gegründet. Unkenntnis von der ordnungsgemäßen Hinterlegung eines Schriftstückes - sofern sie nicht auf eigenem Verschulden beruht, welches den minderen Grad des Versehens übersteigt - ist geeignet, einen Wiedereinsetzungsgrund zu begründen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/20/0425, mwN, sowie die bei Hengstschläger/Leeb, AVG (2009) § 71, Rz 73, wiedergegebene hg. Rechtsprechung).
Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (vgl. etwa das bereits zitierte Erkenntnis vom ).
Die belangte Behörde ist im vorliegenden Fall davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer ein Versehen nicht dargelegt habe und begründet dies damit, dass er die Einhaltung der nötigen Sorgfalt, nämlich die regelmäßige Nachfrage bei den Mitarbeitern des Wohnheimes, nicht behauptet habe. Dabei unterlässt die belangte Behörde jedoch darzulegen, welche Umstände ihres Erachtens den Schluss zuließen, der Beschwerdeführer habe - entgegen seinem Vorbringen, in seinem von den Mitarbeitern geführten Akt seien Zustellungen bzw. Hinterlegungsanzeigen dokumentiert und er habe auf die ordnungsgemäße Weitergabe der Postsendungen vertrauen können - schon vor dem Zeitpunkt der Bescheidzustellung begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit der Mitarbeiter des Wohnheimes hegen müssen.
Bei der gegenständlichen Sachlage konnte die belangte Behörde nicht davon ausgehen, dass im Unterbleiben von Erkundigungen bei den Angestellten des Wohnheimes eine auffallende, die Wiedereinsetzung hindernde Sorglosigkeit des Beschwerdeführers gelegen wäre (vgl. in diesem Sinne abermals das bereits zitierte Erkenntnis vom zum Fall einer dem Empfänger nicht bekannt gewordenen Zustellung in den nur dem Unterkunftgeber zugänglichen Briefkasten, mwN). Die belangte Behörde wäre vielmehr gehalten gewesen, sich mit den Modalitäten, unter denen die Postsendungen bzw. Hinterlegungsanzeigen von den Angestellten des Wohnheimes verwaltet und an die Bewohner ausgefolgt werden, inhaltlich auseinander zu setzen (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/20/0077); davon ausgehend wäre näher zu klären gewesen, ob bzw. aus welchen Gründen der Beschwerdeführer im konkreten Fall von der Hinterlegungsanzeige bzw. der Zustellung durch Hinterlegung keine Kenntnis erlangte.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
2. Zur Zurückweisung der Berufung:
Die belangte Behörde hat dem Wiedereinsetzungsantrag - dessen letztinstanzliche Abweisung durch das vorliegende Erkenntnis rückwirkend aus dem Rechtsbeistand beseitigt wird - mit Bescheid vom , Zl. 256.921/1-XII/37/05, aufschiebende Wirkung zuerkannt. Die Zurückweisung der verspäteten Berufung vor der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag durch die belangte Behörde entspricht unter diesen Umständen nicht dem Gesetz (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/19/0515, mwN).
Der zweitangefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2010:2007191347.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
DAAAE-71599