VwGH vom 19.11.2010, 2007/19/1048
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2007/19/1050
2007/19/1049
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerden der beschwerdeführenden Parteien 1. H, 2. R und 3. J, alle vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates jeweils vom , Zlen. 314.786-1/4E-IV/11/07 (ad 1., protokolliert zur hg. Zl. 2007/19/1048), 314.785- 1/2E-IV/11/07 (ad 2., protokolliert zur hg. Zl. 2007/19/1049), und 314.787-1/2E-IV/11/07 (ad 3., protokolliert zur hg. Zl. 2007/19/1050), betreffend §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40, insgesamt somit EUR 3.319,20, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die beschwerdeführenden Parteien sind Mitglieder einer Familie (der Erstbeschwerdeführer ist der Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin, die Drittbeschwerdeführerin ist ihre minderjährige Tochter) und afghanische Staatsangehörige.
Im Mai 2007 reisten die erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien mit ihrer damals erst 3 1/2 Jahre alten gemeinsamen Tochter (der Drittbeschwerdeführerin) mit einem Segelboot über die türkisch-griechische Grenze in das Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein. Sie hielten sich ca. zwei Monate in Griechenland auf, ohne Asyl zu beantragen, und gelangten in weiterer Folge in das Bundesgebiet, wo sie am internationalen Schutz beantragten.
Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wies die belangte Behörde diese Anträge gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück, stellte fest, dass gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung Griechenland für die Prüfung der Anträge zuständig sei, und wies die beschwerdeführenden Parteien gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 dorthin aus; demzufolge sei deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Griechenland gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig.
Begründend verwies die belangte Behörde auf die Ausführungen des Bundesasylamtes in den erstinstanzlichen Bescheiden. Dem Berufungsvorbringen seien keine Umstände zu entnehmen, die darauf hindeuteten, dass Griechenland im Sinne der Dublin-Verordnung nicht zur Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz zuständig wäre. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die österreichischen Behörden hätten die beschwerdeführenden Parteien nicht ausreichend konkret aufgezeigt und verfüge auch die belangte Behörde über keinerlei Erkenntnisse, wonach die "Handhabung" des Selbsteintrittsrechtes in den vorliegenden Fällen geboten wäre. Im Hinblick auf die in den erstinstanzlichen Bescheiden getroffenen Feststellungen könne nicht erkannt werden, dass die beschwerdeführenden Parteien in Griechenland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Sinne des Art. 3 EMRK bedroht wären. Auch der globale Hinweis auf einen Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 2006 oder des Antifolter-Komitees des Europarates aus dem selben Jahr, sei nicht ausreichend, um besondere Gründe im Sinne des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 aufzuzeigen. Bereits das Bundesasylamt habe festgehalten, dass Personen, welche in Griechenland noch nie um Asyl angesucht hätten, nach der erfolgten Überstellung vollen Zugang zum Asylverfahren hätten, weshalb die von internationalen Organisationen aufgezeigten Problem bei Wiederaufnahmeverfahren in den vorliegenden Fällen ohne Bedeutung seien. Aus den Länderfeststellungen in den erstinstanzlichen Bescheiden sowie aus der Zustimmungserklärung der griechischen Behörden ergebe sich, dass die beschwerdeführenden Parteien ein entsprechendes Verfahren bekämen. Die von der belangten Behörde als vage und unsubstantiiert bezeichneten Misshandlungsvorwürfe gegen griechische Sicherheitsorgane wurden als unglaubwürdig angesehen, zumal sie in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt nicht erwähnt worden seien. Daran könnten auch die vorgelegten Berichte, wonach es in Griechenland immer wieder zu tätlichen Übergriffen von Sicherheitsorganen gekommen sei, nichts ändern. Die beschwerdeführenden Parteien hätten sich rund zwei Monate in Griechenland aufgehalten, ohne dass für diesen Zeitraum Übergriffe oder Misshandlungen behauptet worden seien; zudem hätten die erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien in Griechenland auch "schwarz" gearbeitet, weshalb ihre Behauptung, es sei ihnen sehr schlecht gegangen, nicht nachvollziehbar sei. Unglaubwürdig sei auch die Behauptung, die beschwerdeführenden Parteien seien in Griechenland unzureichend mit Nahrungsmitteln und Wasser versorgt worden, da sie sich dort illegal aufgehalten hätten, weshalb auch kein Anspruch auf entsprechende Versorgung bestanden habe. Der Erstbeschwerdeführer leide unbestritten an einer krankheitswertigen psychischen Störung. Zum Gesundheitszustand der Zweitbeschwerdeführerin lägen zwei unterschiedliche Stellungnahmen vor, die das Bestehen einer "PTBS" bejahen bzw. verneinen würden. Dass diese Erkrankungen in Griechenland nicht behandelt werden könnten, wie dies in der Berufung ohne schlüssige Begründung behauptet worden sei, könne nicht nachvollzogen werden. Zudem ergebe sich kein Hinweis darauf, dass der Erstbeschwerdeführer "einer aufwendigen - gar stationären - psychiatrischen Behandlung" bedürfe. Im Hinblick auf die nicht geglaubten Misshandlungsvorwürfe bestehe auch keinerlei Gefahr einer "Retraumatisierung" der Zweitbeschwerdeführerin durch Kontakt mit griechischen Sicherheitsbehörden.
Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Beschwerde macht geltend, die belangte Behörde habe sich in Verkennung der Rechtslage mit dem Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien zur Verletzung von Art. 3 EMRK im Fall ihrer Ausweisung nach Griechenland, insbesondere mit der von ihnen behaupteten Gefahr einer Kettenabschiebung und der Gefahr, in einem griechischen Flüchtlingslager misshandelt und mangels existenzerhaltender Versorgung - insbesondere unter Berücksichtigung der psychischen Situation der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien - in eine ausweglose Situation gedrängt zu werden, nicht inhaltlich auseinander gesetzt.
Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide auf.
Nach den Ausführungen der belangten Behörde leidet der Erstbeschwerdeführer an einer krankheitswertigen psychischen Störung. In Bezug auf die von einander abweichenden Stellungnahmen zum psychischen Gesundheitszustand der Zweitbeschwerdeführerin unterließ die belangte Behörde eine nähere Abklärung, weil sich daraus kein Hinweis darauf ergäbe, dass eine Überstellung nach Griechenland ihren Gesundheitszustand in einer ihre Rechte nach Art. 3 EMRK verletzenden Weise beeinträchtigen könnte.
Die beschwerdeführenden Parteien hatten sowohl in ihren Einvernahmen vor dem Bundesasylamt als auch in ihrer Berufung auf die ihrer Ansicht nach menschenrechtswidrige Behandlung von Fremden bzw. Asylwerbern in Griechenland hingewiesen, traten in ihrer Berufung der Einschätzung des Bundesasylamtes, die Unterbringung und Versorgung sei in Griechenland gesichert, unter Hinweis auf eine Auskunft der "NGO Greek Refugee Council" konkret entgegen, und hatten überdies auf Ungereimtheiten in den erstinstanzlichen Länderfeststellungen verwiesen, zumal dort auch ein Bericht des US Department of State vom März 2007 zitiert worden sei, wonach unzureichend ausgestattete Aufnahmelager und das mangelhaft entwickelte System der Flüchtlingsversorgung und Wohlfahrt kritisiert würden.
Insofern gleichen die vorliegenden Beschwerdefälle jenen, die mit hg. Erkenntnissen vom heutigen Tag, Zlen. 2008/19/0603-0606 und Zlen. 2007/19/0289-0291, entschieden wurden, weshalb gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die dortigen Entscheidungsgründe verwiesen wird. Aus den in diesem Erkenntnis angeführten Gründen waren auch die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG Abstand genommen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
KAAAE-71562