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VwGH vom 19.11.2010, 2007/19/0289

VwGH vom 19.11.2010, 2007/19/0289

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2007/19/0291

2007/19/0290

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke, den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Rehak sowie die Hofräte Dr. Fasching und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerden der beschwerdeführenden Parteien 1. F, 2. M und

3. A, alle vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates jeweils vom ,

1.) Zl. 310.276-1/5E-X/47/07 (protokolliert zu hg. Zl. 2007/19/0289), 2.) Zl. 310.278-1/3E-X/47/07 (protokolliert zu hg. Zl. 2007/19/0290), 3.) Zl. 310.280-1/3E-X/47/07 (protokolliert zu hg. Zl. 2007/19/0291), betreffend §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40, insgesamt somit EUR 3.319,20, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführenden Parteien sind Mitglieder einer Familie (die Zweit- und der Drittbeschwerdeführer sind Ehegatten, die Erstbeschwerdeführerin ist ihre minderjährige Tochter) und afghanische Staatsangehörige.

Im Sommer 2006 reiste der Drittbeschwerdeführer mit seiner damals noch minderjährigen Ehefrau (der Zweitbeschwerdeführerin) und der erst 2 1/2 Jahre alten gemeinsamen Tochter (der Erstbeschwerdeführerin) mit einem Schlauchboot über die türkischgriechische Grenze in das Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein. In der Folgezeit hielten sie sich in Griechenland auf, ohne Asyl zu beantragen, und gelangten schließlich über Italien in das Bundesgebiet, wo sie am um internationalen Schutz ansuchten.

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wies die belangte Behörde diese Anträge gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005)

als unzulässig zurück. Für ihre Prüfung erklärte sie gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung Griechenland für zuständig und sie wies die beschwerdeführenden Parteien gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 dorthin aus. Demzufolge sei die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien nach Griechenland gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, es sei unstrittig, dass die beschwerdeführenden Parteien aus einem Drittstaat kommend die Grenze Griechenlands illegal überschritten hätten und damit in das Hoheitsgebiet der "Dublin-Staaten" eingereist seien. Nach den Kriterien der Dublin-Verordnung sei deshalb Griechenland für die Prüfung der Asylanträge zuständig; die griechischen Behörden hätten ihre Zuständigkeit auch bejaht. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die österreichischen Behörden lägen nicht vor. Die Berufungsbehörde hege keine Zweifel daran, dass die beschwerdeführenden Parteien in Griechenland Asylanträge stellen könnten, die auch ordnungsgemäß geprüft würden. Es habe zwar in früheren Bescheiden der belangten Behörde Bedenken in Bezug auf die Behandlung von Asylwerbern durch die griechischen Behörden gegeben, die nach Antragstellung in Griechenland und Weiterreise in einen anderen Mitgliedstaat zurückgestellt worden seien. Griechenland habe jedoch mittlerweile mitgeteilt, dass es in näher umschriebener Weise von der früheren - bedenklichen - Asylpraxis abgegangen sei. Hinzu komme, dass die beschwerdeführenden Parteien in Griechenland noch keine Anträge gestellt hätten und daher dem zuvor beschriebenen Personenkreis nicht angehörten. Nach den Länderfeststellungen in den erstinstanzlichen Bescheiden würden die beschwerdeführenden Parteien als Asylwerber auch eine ausreichende Unterkunft erhalten. Soweit sie in der Berufung Misshandlungsvorwürfe gegen die griechischen Sicherheitsbehörden erheben würden, genüge der Hinweis, dass damit kein konkretes Risiko aufgezeigt werde, einer solchen Behandlung ausgesetzt zu werden, da es sich bei solchen Vorfällen offensichtlich um Exzesse einzelner Organwalter handle. Sie selbst hätten auch nicht behauptet, Opfer solcher Vorfälle gewesen zu sein.

Gegen diese Bescheide wenden sich die vorliegenden, wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden. Sie machen in Bezug auf die angefochtenen Bescheide Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragen, die Bescheide "gem. § 42 Abs. 2 VwGG" aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte, die Beschwerden als unbegründet kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerden machen geltend, die österreichischen Asylbehörden hätten aus näher dargestellten Gründen von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müssen, um eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung der beschwerdeführenden Parteien bei Überstellung nach Griechenland zu verhindern.

2. Mit diesem Vorbringen zeigen die Beschwerden - zumindest im Ergebnis - eine unrichtige rechtliche Beurteilung auf.

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 (in der im vorliegenden Fall noch maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 100/2005) ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist gemäß § 5 Abs. 3 AsylG 2005 davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

2.2. Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass die griechischen Asylbehörden nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin-Verordnung das Asylverfahren der beschwerdeführenden Parteien führen müssten. Zu klären bleibt lediglich, ob Österreich auf Grund einer den beschwerdeführenden Parteien bei Überstellung nach Griechenland drohenden Verletzung des Art. 3 EMRK von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung Gebrauch hätte machen müssen.

2.3. Eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK garantierten Rechte könnte einem Asylwerber dadurch drohen, dass er bei Überstellung nach Griechenland trotz Berechtigung seines Schutzbegehrens der Gefahr einer - direkten oder indirekten - Abschiebung in den Herkunftsstaat ausgesetzt wäre (Kettenabschiebung; vgl. etwa Punkt 2.2. der Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom , Zl. 2006/19/0673, mwN), dass er dort (schutzlos) körperlichen Misshandlungen insbesondere durch Sicherheitskräfte ausgesetzt wäre (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/01/0317) oder dass ihm Unterkunft und Versorgung nicht (rechtzeitig) zur Verfügung gestellt würde und er deshalb keine Lebensgrundlage vorfindet (vgl. dazu allgemein etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/19/0174, und im Besonderen zur Lage in Griechenland jüngst das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , U 694/10).

3. In diesem Zusammenhang hatte die Zweitbeschwerdeführerin schon in ihrer erstinstanzlichen Einvernahme u.a. ausgesagt, die Familie habe nach ihrer Ankunft in Griechenland mehrere Nächte im Park geschlafen. Sie hätten keine Asylanträge gestellt, weil man in Griechenland auch als Asylwerber nicht versorgt werde.

Demgegenüber stellte das Bundesasylamt in den erstinstanzlichen Bescheiden betreffend die beschwerdeführenden Parteien auf der Grundlage eines griechischen Berichtes vom März 2005 fest, dass die Unterbringung und Versorgung von Asylwerbern in Griechenland - zusammengefasst - gesichert sei.

In den (gleichlautenden) Berufungen gegen diese Entscheidungen traten die beschwerdeführenden Parteien insbesondere auch den zuletzt erwähnten behördlichen Feststellungen entgegen und erneuerten ihr Vorbringen, in Griechenland keine Versorgung zu erhalten. Sie liefen Gefahr, unmenschlich behandelt und allenfalls auch misshandelt zu werden, und zitierten zum Beleg dafür u.a. Berichte von Amnesty International vom Dezember 2004 bzw. Oktober 2005.

4. Mit diesem Berufungsvorbringen setzte sich die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden wie zuvor beschriebenen auseinander. Sie gestand zu, dass es in Bezug auf die Behandlung von Asylwerbern in Griechenland bei der belangten Behörde - näher beschriebene - Bedenken gegeben habe, die sie jedoch hinsichtlich der beschwerdeführenden Parteien nicht teile. Auf die kritischen Berichte, die in den Berufungen der beschwerdeführenden Parteien erwähnt wurden, ging sie nicht näher ein.

§ 5 Abs. 3 AsylG 2005 enthält zwar eine Beweisregel, die es - im Hinblick auf die vom Rat der Europäischen Union vorgenommene normative Vergewisserung - grundsätzlich nicht notwendig macht, die Sicherheit des Asylwerbers vor "Verfolgung" in dem nach der Dublin-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat (insbesondere gemeint im Sinne der Achtung der Grundsätze des Non-Refoulements durch diesen Staat) von Amts wegen in Zweifel zu ziehen. Die damit aufgestellte Sicherheitsvermutung ist jedoch widerlegt, wenn besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in diesem Mitgliedstaat sprechen (vgl. dazu grundlegend bereits das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/01/0949, und zu Griechenland im Besonderen das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2008/19/0593, mwN).

Angesichts der Bedenken, die seit vielen Jahren wiederholt und von namhaften internationalen Stellen (wie etwa dem UNHCR) an der griechischen Asylpraxis geäußert werden, und in Kenntnis um die allgemeine Situation von Asylsuchenden in Griechenland, durfte die belangte Behörde jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem sie die Rückkehrsituation einer Familie mit einer noch minderjährigen Mutter und einem Kleinkind zu beurteilen hatte, nicht von der zuvor beschriebenen Sicherheitsvermutung ausgehen. Vielmehr wären ergänzende Erhebungen vorzunehmen gewesen, insbesondere um sicher sein zu können, dass die beschwerdeführenden Parteien im Falle ihrer Rücküberstellung nach Griechenland durch eine mangelnde Versorgung nicht in ihren nach Art. 3 EMRK garantierten Rechten verletzt werden. In diesem Sinn hat auch der Verfassungsgerichtshof erkannt, dass es bei Rücküberstellung schutzwürdiger Personen nach Griechenland zur Durchführung der Asylverfahren einer fallbezogenen individuellen Zusicherung der zuständigen griechischen Behörden (im Hinblick auf die Versorgung der betreffenden Asylwerber) bedarf, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK ausschließen zu können (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , U 694/10). Eine solche individuelle Versorgungszusicherung seitens der griechischen Behörden lag der belangten Behörde nach der Aktenlage nicht vor.

Da die belangte Behörde weitere Erhebungen auch ausgehend von ihrer unzutreffenden Annahme, den Erfordernissen des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 in ausreichendem Maße entsprochen zu haben, nicht vornahm, hat sie die angefochtenen Bescheide mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Sie waren deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG Abstand genommen werden.

Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
MAAAE-71505