VwGH vom 22.08.2006, 2005/01/0643

VwGH vom 22.08.2006, 2005/01/0643

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):

2005/01/0644

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerden des A G in J, geboren 1971, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates jeweils vom , Zlen. 253.397/3-VII/19/05 und 253.397/2- VII/19/05, betreffend Zurückweisung einer Berufung und eines Wiedereinsetzungsantrages in einer Asylangelegenheit (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von je EUR 991,20, somit insgesamt EUR 1.982,40, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am in das Bundesgebiet ein und beantragte am Asyl.

Diesen Antrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 AslyG für zulässig. Der Bescheid wurde nach einem erfolglosen Zustellversuch an der aktenkundigen Wohnadresse des Beschwerdeführers (Mitteilung des Zustellers: "verzogen"; eine nachfolgend eingeholte Meldeauskunft bestätigte dieses Ergebnis) mit Wirksamkeit vom durch "Hinterlegung im Akt gemäß § 23 Abs. 2 ZustellG" zugestellt.

Mit Schriftsatz vom , beim Bundesasylamt eingelangt am , beantragte der Beschwerdeführer - mit näherer Begründung - die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und erhob gleichzeitig Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom .

Das Bundesasylamt wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Bescheid vom gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ab.

In Erledigung der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung änderte die belangte Behörde mit dem zu hg. Zl. 2005/01/0644 angefochtenen Bescheid den erstinstanzlichen Bescheid im Sinne einer Zurückweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 2 AVG als verspätet ab. Gleichzeitig wies sie mit dem zu hg. Zl. 2005/01/0643 angefochtenen Bescheid die Berufung des Beschwerdeführers "vom " gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurück.

Begründend führte die belangte Behörde dazu aus, der Beschwerdeführer habe als Wiedereinsetzungsgrund seine (angeblich unverschuldete) Unkenntnis von der erfolgten Zustellung des erstinstanzlichen Asylbescheides geltend gemacht. Dieses Hindernis sei nach der Aktenlage und dem Vorbringen des Beschwerdeführers - aus näher umschriebenen Gründen - spätestens am weggefallen. Die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist gemäß § 71 Abs. 2 AVG habe an diesem Tag zu laufen begonnen und sie sei am abgelaufen. Der erst am eingebrachte Wiedereinsetzungsantrag sei daher verspätet und die auf Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages lautende erstinstanzliche Entscheidung in diesem Sinne abzuändern gewesen. Damit stehe auch fest, dass die Berufung des Beschwerdeführers am verspätet eingebracht worden sei, weshalb sie zurückgewiesen werden müsse.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach ihrer Verbindung zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung - erwogen hat:

1. Zum Wiedereinsetzungsantrag:

Die belangte Behörde hat sich mit der inhaltlichen Berechtigung des Wiedereinsetzungsantrages nicht auseinandergesetzt, sondern in Erledigung der Berufung des Beschwerdeführers gegen den bezughabenden erstinstanzlichen Bescheid eine ihrer Ansicht nach vorliegende Fristversäumung gemäß § 71 Abs. 2 AVG wahrgenommen. Dabei legte sie zu Grunde, dass das die Versäumung der Berufungsfrist verursachende Hindernis für den Beschwerdeführer spätestens am weggefallen sei, womit die 14-tägige Wiedereinsetzungsfrist zu laufen begonnen habe, er jedoch seinen Wiedereinsetzungsantrag erst am , also mit eintägiger Verspätung, eingebracht habe. Dagegen wendet die Beschwerde unter Vorlage des Postaufgabescheines ein, der Wiedereinsetzungsantrag sei bereits am am Postamt 6010 Innsbruck aufgegeben worden und daher rechtzeitig. Die belangte Behörde habe es unterlassen, diesen Umstand durch ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren zu erheben. Dem hält die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift entgegen, nach dem Inhalt des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes sei der Wiedereinsetzungsantrag samt Berufung am beim Bundesasylamt eingelangt, "das heißt dort direkt eingebracht" worden. Im erstinstanzlichen Verwaltungsakt gebe es bzw. habe es keinerlei Hinweise darauf gegeben, dass der Wiedereinsetzungsantrag samt Berufung - wie vom Beschwerdeführer nun behauptet - bei der Post aufgegeben worden sei. Dementsprechend habe für die belangte Behörde auch kein Anlass bestanden, zum Datum der Postaufgabe ein Ermittlungsverfahren durchzuführen. Das diesbezügliche neue Vorbringen des Beschwerdeführers verstoße gegen das vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot.

Dem ist zunächst zu erwidern, dass die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vor Erlassung des angefochtenen Bescheides keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu der von ihr angenommenen Verspätung des Wiedereinsetzungsantrages gegeben hat, weshalb seinem diesbezüglichen Vorbringen das Neuerungsverbot gemäß § 41 Abs. 1 VwGG nicht entgegen gehalten werden kann.

Hätte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer jedoch in einem mängelfreien Verfahren Parteiengehör gemäß § 45 Abs. 3 AVG gewährt und ihm damit die Möglichkeit zur Vorlage des (mit datierten) Postaufgabescheines gegeben, könnte der angefochtene Bescheid nicht allein deshalb Bestand haben, weil auf dem betreffenden Aktenstück im erstinstanzlichen Verwaltungsakt ein Eingangsvermerk mit dem Datum "" angebracht ist, lässt sich diesem doch nicht entnehmen, wie das Schreiben an das Bundesasylamt übermittelt worden ist. Vielmehr hätte es bei fortbestehendem Zweifel an der Richtigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers zur Rechtzeitigkeit seines Antrages (wie er trotz Vorlage des Postaufgabescheines implizit in der Gegenschrift zum Ausdruck gebracht wird) jedenfalls weiterer Erhebungen zu dieser Frage bedurft.

Der zu hg. Zl. 2005/01/0644 angefochtene Bescheid, mit dem der Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers im Instanzenzug gemäß § 71 Abs. 2 AVG als verspätet zurückgewiesen worden ist, war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

2. Zur Zurückweisung der Berufung:

Die belangte Behörde hat dem Wiedereinsetzungsantrag - dessen letztinstanzliche Zurückweisung durch das vorliegende Erkenntnis rückwirkend aus dem Rechtsbestand beseitigt wird - mit Bescheid vom , Zl. 253.397/1-VII/19/04, aufschiebende Wirkung zuerkannt. Die Zurückweisung der verspäteten Berufung vor der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag durch die belangte Behörde entspricht unter diesen Umständen (auch nach dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Slg. Nr. 12.275/A) nicht dem Gesetz (vgl. dazu aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/20/0646) und schlägt die Mangelhaftigkeit des Verfahrens zum Wiedereinsetzungsantrag daher auch auf den zu Zl. 2005/01/0643 angefochtenen Bescheid durch, weshalb auch dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am