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VwGH vom 17.11.2016, Ra 2016/21/0200

VwGH vom 17.11.2016, Ra 2016/21/0200

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des M S in L, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. G307 2119135-1/12E, betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein kosovarischer Staatsangehöriger, ist seit Jänner 2008 in Österreich aufhältig. Nachdem sein Antrag auf internationalen Schutz vom mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom rechtskräftig negativ abgewiesen worden war, erhielt er beginnend mit wiederholt Aufenthaltsberechtigungen "besonderer Schutz" gemäß (nunmehr) § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, zuletzt mit Gültigkeit bis zum . Am stellte er diesbezüglich einen Verlängerungsantrag.

2 Mit Bescheid vom erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen ihn - unter gleichzeitigem Ausspruch, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 AsylG 2005 nicht erteilt werde - gemäß § 52 Abs. 4 FPG eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.); unter einem wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Kosovo zulässig sei (Spruchpunkt II.), und es wurde gemäß § 55 FPG eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt (Spruchpunkt III.). Begründend nahm das BFA insbesondere auf drei strafgerichtliche Verurteilungen des Revisionswerbers Bezug (vom gemäß § 83 Abs. 1 StGB wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen, vom gemäß § 107 Abs. 1 und 2 StGB wegen gefährlicher Drohung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten und vom gemäß §§ 15, 269 Abs. 1 4. Fall, 107 Abs. 1, 83 Abs. 1 und 105 Abs. 1 StGB wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt, gefährlicher Drohung, Körperverletzung und Nötigung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 14 Monaten (davon zwölf Monate bedingt)). Der Rückkehrentscheidungstatbestand des § 52 Abs. 4 Z 4 FPG sei als erfüllt anzusehen: Der Revisionswerber habe am einen rechtzeitigen Antrag auf Verlängerung seiner "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 gestellt und halte sich daher rechtmäßig in Österreich auf. Auf Grund seiner strafgerichtlichen Verurteilungen könne aber zweifelsfrei davon ausgegangen werden, dass sein weiterer Aufenthalt öffentlichen Interessen widerstreite und der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels sohin ein "Versagungsgrund im Sinne des § 11 Abs. 2 NAG" entgegenstehe. Bei der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG kam das BFA zum Ergebnis, dass die für den Verbleib in Österreich sprechenden persönlichen Interessen des Revisionswerbers das durch sein Fehlverhalten nachhaltig beeinträchtigte Allgemeininteresse nicht überwiegen könnten; er habe in Österreich zwar eine Lebensgefährtin, gegen die bzw. gegen deren Sohn er aber körperliche Angriffe und gefährliche Drohungen gerichtet habe. Das Einreiseverbot in der Dauer von fünf Jahren sei (zusammengefasst) geboten, um die vom Revisionswerber ausgehende schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern.

3 Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis nur insoweit statt, als es die Dauer des Einreiseverbots auf ein Jahr herabsetzte (Spruchpunkt II.). Im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.). Das Bundesverwaltungsgericht führte dazu in rechtlicher Hinsicht aus, das BFA habe die Rückkehrentscheidung zutreffend auf § 52 Abs. 4 FPG gestützt, da der Revisionswerber auf Grund seines "aufrechten" Aufenthaltstitels "besonderer Schutz" zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sei. Unmittelbar daran anschließend erklärte das Bundesverwaltungsgericht, es sei zunächst zu prüfen, ob nach Maßgabe des § 53 Abs. 3 FPG die Annahme gerechtfertigt sei, dass der weitere Aufenthalt des Revisionswerbers eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen würde. Dies bejahte das Bundesverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die strafgerichtlichen Verurteilungen des Revisionswerbers, wobei es vor allem die mehrfache Straffälligkeit innerhalb von rund zehn Monaten, die geringe Hemmschwelle und das mangelnde Schuldbewusstsein hervorhob. Bei der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG kam das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis, dass durch die Rückkehrentscheidung keine Verletzung des Art. 8 EMRK erfolge. Es seien auch keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 46 FPG unzulässig wäre; derartiges sei in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung nicht behauptet worden. Zum Einreiseverbot meinte das Bundesverwaltungsgericht ergänzend, dass es im Hinblick auf die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Revisionswerber dem Grunde nach gerechtfertigt sei. Die Dauer von fünf Jahren hielt das Bundesverwaltungsgericht allerdings (mit näherer Begründung) für nicht angemessen; sie sei unter Berücksichtigung der auf Grund des Fehlverhaltens des Revisionswerbers und seiner sonstigen persönlichen Umstände getroffenen Gefährlichkeitsprognose auf ein Jahr herabzusetzen gewesen.

4 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen hat:

5 Vorauszuschicken ist, dass die Revision eine "Anfechtungserklärung" enthält, wonach das Erkenntnis insoweit bekämpft werde, als die Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III. (des Bescheides des BFA) als unbegründet abgewiesen worden sei. Ungeachtet dieser Erklärung ist aber jedenfalls das gesamte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes - also auch sein der Beschwerde teilweise stattgebender Spruchpunkt II. betreffend das Einreiseverbot - als angefochten anzusehen, weil es insoweit nicht teilbar ist, als ein Einreiseverbot ohne eine Rückkehrentscheidung keinen Bestand haben kann.

6 Der Revisionswerber ist der Ansicht, dass die Revision - entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Ausspruch nach § 25a Abs. 1 VwGG - von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG abhänge. Unter diesem Gesichtspunkt macht er der Sache nach unter anderem geltend, es stelle sich die Frage, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung ohne vorherige Entscheidung über einen Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 zulässig sei. Da zu dieser Frage bisher noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliegt, erweist sich die Revision als zulässig.

7 § 52 Abs. 3 und 4 FPG in der Fassung des FNG, BGBl. I Nr. 87/2012, lautet auszugsweise:

"(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,

...

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein

Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder ...

...

..."

8 Der Inhalt des § 52 Abs. 3 FPG findet sich auch in § 10 Abs. 3 AsylG 2005 in der Fassung des FNG wieder. Diese Bestimmung lautet wie folgt:

"(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt."

9 Das BFA hat die Rückkehrentscheidung auf § 52 Abs. 4 Z 4 FPG gestützt. (Das Bundesverwaltungsgericht hat die Heranziehung des § 52 Abs. 4 FPG durch das BFA zwar als "zutreffend" bezeichnet und die Bestimmung auch im Spruch seines Erkenntnisses genannt, ist in weiterer Folge aber nicht mehr auf diesen Tatbestand eingegangen.) Dabei ist das BFA an sich richtig davon ausgegangen, dass sich der Revisionswerber auf Grund seines rechtzeitigen Verlängerungsantrages rechtmäßig in Österreich aufgehalten hat (vgl. § 59 Abs. 1 AsylG 2005). § 52 Abs. 4 Z 4 FPG ist aber ausschließlich auf Verlängerungsverfahren nach dem NAG zugeschnitten, wird doch nur auf die Versagungsgründe nach § 11 Abs. 1 und 2 NAG, nicht aber auch auf jene nach § 60 AsylG 2005 verwiesen, die für Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 allein maßgeblich sind. Das ist insofern folgerichtig, als § 52 Abs. 4 Z 4 FPG auch im Zusammenhang mit § 25 NAG zu sehen ist: Nach Abs. 1 dieser Bestimmung hat die Niederlassungsbehörde dann, wenn in einem Verlängerungsverfahren Erteilungsvoraussetzungen nach § 11 Abs. 1 und 2 NAG fehlen, das BFA zu verständigen; während eines (dann vom BFA nach § 52 Abs. 4 Z 4 FPG einzuleitenden) Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Entscheidungsfrist gehemmt; erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist das Verfahren über den Verlängerungsantrag gemäß § 25 Abs. 2 NAG formlos einzustellen, im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung ist es auf Antrag des Fremden fortzusetzen; ist eine Aufenthaltsbeendigung unzulässig, hat die Niederlassungsbehörde einen Aufenthaltstitel mit dem gleichen Zweckumfang zu erteilen. § 25 NAG trägt damit dem Umstand Rechnung, dass über den Verlängerungsantrag nach dem NAG und über die Aufenthaltsbeendigung zwei verschiedene Behörden - einerseits die Niederlassungsbehörde (gemäß § 3 Abs. 1 NAG der Landeshauptmann oder die von diesem betraute Bezirksverwaltungsbehörde) und andererseits das BFA - zu entscheiden haben.

10 Das ist im Fall eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 anders, weil das BFA auch für dessen Erteilung und Verlängerung zuständig ist und daher eine gemeinsame Entscheidung über den Verlängerungsantrag und die Aufenthaltsbeendigung möglich ist. Eine solche gemeinsame Entscheidung sieht § 52 Abs. 3 FPG (in Verbindung mit § 10 Abs. 3 AsylG 2005) vor (vgl. dazu auch schon das hg. Erkenntnis vom , Ra 2016/21/0077, Rz 27):

Nach dieser Bestimmung hat das BFA unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird. Auf (nur bei Aufenthaltstiteln nach § 57 AsylG 2005 mögliche) Verlängerungsanträge wird zwar nicht ausdrücklich Bezug genommen, es handelt sich dabei aber um Unterfälle von Anträgen auf Erteilung von Aufenthaltstiteln. Die Entscheidung über den Verlängerungsantrag und die Erlassung der Rückkehrentscheidung "unter einem" (wobei allerdings über den Verlängerungsantrag vorrangig zu entscheiden ist - vgl. in diesem Sinn schon das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/21/0023, 0024) stellt auch sicher, dass der Antrag nicht unerledigt bleibt (während in § 25 Abs. 2 NAG - für Aufenthaltstitel nach dem NAG - vorgesehen ist, dass das Verlängerungsverfahren im Fall einer rechtskräftigen Aufenthaltsbeendigung einzustellen, sonst aber auf Antrag des Fremden fortzusetzen ist). In diesem Sinn gibt es in § 59 AsylG 2005 auch eigenständige Regelungen über das Verlängerungsverfahren des Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005, die allenfalls - so ausdrücklich die ErlRV zur Schaffung des § 59 AsylG 2005 (1803 BlgNR 24. GP 51) - darauf hinauslaufen, dass "das Bundesamt den Antrag abzuweisen und gegebenenfalls ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme einzuleiten" hat.

11 Das BFA hätte also nicht eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 Z 4 FPG erlassen dürfen, sondern über den Verlängerungsantrag des Revisionswerbers absprechen müssen und erst im Fall einer negativen Entscheidung unter einem eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG (bzw. § 10 Abs. 3 AsylG 2005) erlassen dürfen. Die Rückkehrentscheidung samt den darauf aufbauenden Aussprüchen wäre daher vom Bundesverwaltungsgericht ersatzlos zu beheben gewesen. Da das Bundesverwaltungsgericht dies verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

12 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am