VwGH vom 14.11.2012, 2012/08/0182

VwGH vom 14.11.2012, 2012/08/0182

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Peck, über die Beschwerde des JL in T, vertreten durch Mag. Peter A. Miklautz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/II, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-07/A/9/11771/2010-36 (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), betreffend Übertretungen des ASVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem auf Grund einer Berufung des Beschwerdeführers gegen ein Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt, ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener der G Handelsgesellschaft m.b.H. mit Sitz in Wien, zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Dienstgeberin drei näher bezeichnete Dienstnehmer in der Zeit vom bis (Dienstnehmer V.) vom bis (Dienstnehmer B.) und vom bis (Dienstnehmer M.) auf einer Baustelle in E beschäftigt und diese in der Krankenversicherung pflichtversicherten Dienstnehmer vor Arbeitsanritt nicht beim zuständigen Krankenversicherungsträger angemeldet habe. Der Beschwerdeführer habe dadurch § 33 Abs. 1 ASVG iVm § 111 Abs. 1 Z. 1 ASVG verletzt und es wurden über ihn gemäß § 111 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 2 zweiter Strafsatz ASVG drei Geldstrafen zu je EUR 2.300,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von je sechs Tagen und 10 Stunden) verhängt.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird - soweit für das verwaltungsgerichtliche Verfahren von Bedeutung - ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in der vor der belangten Behörde durchgeführten Berufungsverhandlung die Zuständigkeit der erstinstanzlichen Behörde in den Strafverfahren bestritten habe, zumal im Tatzeitraum außer dem Firmensitz in Wien eine Filiale in L bestanden habe und das Unternehmen im Wesentlichen von dieser Filiale aus geführt worden sei. In Wien sei lediglich der Sohn des Beschwerdeführers am Firmensitz tätig gewesen, der von Wien aus zusätzlich noch ein weiteres Unternehmen am Flughafen Wien leite und sich in erster Linie um dieses Unternehmen gekümmert habe.

In der rechtlichen Beurteilung führt die belangte Behörde aus, dass zu der in der Berufungsverhandlung bestrittenen Zuständigkeit der in erster Instanz tätig gewordenen Behörde auf die Bestimmung des § 111 Abs. 5 ASVG zu verweisen sei, wonach die Verwaltungsübertretung in dem Sprengel einer Bezirksverwaltungsbehörde als begangen gelte, in dem der Sitz des Betriebes des Dienstgebers liege. Der Sitz der Gesellschaft sei nach der unbestrittenen Aktenlage nach dem Firmenbuchstand in Wien. Die erstinstanzliche Behörde habe damit ausgehend vom zur Tatzeit maßgeblichen Firmenbuchstand als Behörde, in deren Sprengel der als Tatort anzusehende Sitz der vom Beschwerdeführer vertretenen Gesellschaft gelegen sei, die örtliche Zuständigkeit zu Recht in Anspruch nehmen können.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 459/12, abgelehnt und sie über nachträglichen Antrag des Beschwerdeführers mit Beschluss vom dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat. In der autragsgemäß ergänzten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdefall betrifft die Bestrafung des Beschwerdeführers wegen der nicht erfolgten Anmeldung von pflichtversicherten Dienstnehmern nach § 33 Abs. 1 ASVG. Vor dem Verwaltungsgerichtshof ist ausschließlich strittig, ob die erstinstanzliche Behörde zur Durchführung des Strafverfahrens örtlich zuständig war.

2. Der Beschwerdeführer bringt vor, dass der Sitz der Gesellschaft, als deren zur Vertretung nach außen Berufener er bestraft wurde, im Firmenbuch des Handelsgerichtes Wien mit einer Geschäftsanschrift in Wien eingetragen sei. Aus dem offenen Firmenbuch, dessen Inhalt die belangte Behörde auch zur Begründung der bejahten Zuständigkeit der erstinstanzlichen Behörde herangezogen habe, gehe jedoch ebenso hervor, dass seit Juli 2009 in L eine Zweigniederlassung der Gesellschaft geführt werde. Bei dieser Zweigniederlassung sei im Firmenbuch ausdrücklich deren Tätigkeitsumfang, nämlich "Bauträger, Baumeister, Zimmermeister" eingetragen. Dieser Tätigkeitsbereich umfasse sohin auch jene Tätigkeiten, welche dem gegenständlichen Verfahren zugrunde lägen, da die betroffenen Personen zum Zeitpunkt ihrer Übertretung durch die Kontrollorgane Renovierungsarbeiten an einem Gebäude durchgeführt hätten. Der für den Betrieb gemäß § 111 Abs. 5 ASVG maßgebliche Ort sei sohin am Sitz der Zweigniederlassung in L gelegen.

Bei der Begründung der örtlichen Zuständigkeit sei insbesondere in Frage zu stellen, vom welchem Ort aus Dispositionen und Anweisungen zur Vermeidung von Verstößen gegen Verwaltungsvorschriften zu setzen gewesen wären, wo also der Beschuldigte hätte handeln sollen. Werde - wie im Beschwerdefall in der Berufungsverhandlung vorgebracht - die tatsächliche Leitung eines Unternehmens an einem anderen Ort als dem im Firmenbuch eingetragenen Sitz des Unternehmens ausgeübt, so sei dieser tatsächliche Sitz der Unternehmensleitung als Tatort für die örtliche Zuständigkeit maßgeblich. Dafür spreche auch der Wortlaut des § 111 Abs. 5 ASVG, da dort auf den "Sitz des Betriebes" abgestellt werde, der vom gesellschaftsrechtlichen bzw. firmenbuchrechtlichen Sitz zu unterscheiden sei.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde lägen ausreichende Hinweise darauf vor, dass die für die gegenständlichen Übertretungen wesentlichen Dispositionen und Anweisungen von der Zweigniederlassung in L ausgegangen seien und auch die Meldungen zur Pflichtversicherung nach ASVG im Rahmen des Betriebes der Zweigniederlassung erfolgen hätten sollen. Gerade der Firmenbuchstand, auf den sich die belangte Behörde beziehe, ergäbe Anlass für Zweifel am Tatort und somit an der Zuständigkeit, da sich dort leicht erkennbar die Registrierung der Zweigniederlassung finde und die Behörde erster Instanz dies hätte erkennen müssen. Betretungsort sei eine Baustelle in E gewesen, woraus sich auch ein stärkerer örtlicher Bezug zum Sitz der Zweigniederlassung (in L) als zum Sitz der Gesellschaft selbst (in Wien) ableiten lasse.

Im Hinblick auf die zum Betretungsort örtlich nähere Zweigniederlassung sowie auch auf den im Firmenbuch ausgewiesenen Tätigkeitsbereich der Zweigniederlassung, welche zweifellos die Art der Tätigkeit der Dienstnehmer zum Zeitpunkt ihrer Betretung durch die Kontrollorgane umfasse, hätte die Behörde erster Instanz zumindest Zweifel am zuständigkeitsbegründenden Tatort haben müssen.

Zweifel am Tatort hätten der Behörde auch dadurch kommen müssen, dass die an die Behörde gerichteten Eingaben erkennbar jeweils als Unterfertigungsort L ausgewiesen hätten. Auch daran hätte die Behörde erkennen müssen, dass die gegenständlichen Agenden der Unternehmensleitung von der Zweigniederlassung in L ausgegangen seien. Im weiteren Sinne spreche auch der Wohnort des Beschwerdeführers in T für diesen Umstand. Entsprechende weitere Erhebungen wären für die Behörde erster Instanz auch ohne wesentlichen weiteren Aufwand geblieben, da eine schlichte Anfrage beim Beschwerdeführer kurzfristig eine diesbezügliche Aufklärung geschaffen hätte.

3. Gemäß § 27 Abs. 1 VStG ist örtlich zuständig die Behörde, in deren Sprengel die Verwaltungsübertretung begangen worden ist, auch wenn der zum Tatbestand gehörende Erfolg in einem anderen Sprengel eingetreten ist. Ist danach die Zuständigkeit mehrerer Behörden begründet oder ist es ungewiss, in welchem Sprengel die Übertretung begangen worden ist, so ist nach § 27 Abs. 2 VStG die Behörde zuständig, die zuerst eine Verfolgungshandlung vorgenommen hat.

Gemäß § 28 VStG ist die Behörde, die zuerst von einer Verwaltungsübertretung Kenntnis erlangt, zur Verfolgung zuständig, solange nicht ein Umstand hervorgekommen ist, der nach § 27 Abs. 1 die Zuständigkeit einer anderen Behörde begründet.

Für Verwaltungsübertretungen nach § 111 Abs. 1 Z. 1 wurde mit der zum in Kraft getretenen Novelle BGBl. I Nr. 150/2009 mit § 111 Abs. 5 AVG eine besondere Regelung der örtlichen Zuständigkeit getroffen. Demnach gilt die Verwaltungsübertretung als in dem Sprengel der Bezirksverwaltungsbehörde begangen, in dem der Sitz des Betriebes des Dienstgebers liegt.

4. Dem Beschwerdeführer ist einzuräumen, dass der Sitz des Betriebes im Sinne des § 111 Abs. 5 ASVG nicht zwingend mit dem gesellschaftsrechtlichen Sitz des Dienstgebers bzw. mit dem im Firmenbuch eingetragenen Sitz der Gesellschaft zusammenfallen muss, zumal ein Dienstgeber mehrere Betriebe an unterschiedlichen Standorten führen kann. Liegen jedoch keine Anhaltspunkte vor, aus denen sich für die einschreitende Behörde ein vom im Firmenbuch gemäß § 3 Abs 1 Z 4 Firmenbuchgesetz eingetragenen Sitz des Dienstgebers abweichender Sitz des Betriebes, in dem die anzumeldenden Dienstnehmer beschäftigt waren, ergibt, so kann die Behörde im Zweifel davon ausgehen, dass der Sitz des Betriebes im Sinne des § 111 Abs. 5 ASVG am Sitz des Dienstgebers gelegen ist.

Als Betrieb ist - im Sinne des auch hier heranzuziehenden Betriebsbegriffs nach § 34 ArbVG - nur eine Arbeitsstätte anzusehen, die eine organisatorische Einheit bildet, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolgt. Eine Baustelle wird daher in aller Regel schon deshalb nicht als Betrieb anzusehen sein, weil ihr das Merkmal der Dauerhaftigkeit fehlt (vgl. in diesem Sinne auch zum Begriff der Betriebsstätte in § 3 Abs. 3 ASVG und § 53 Abs. 3 lit. b ASVG das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/08/0165). Die Kontrollorgane, welche die ohne Anmeldung beschäftigten Dienstnehmer auf der Baustelle in E betreten haben, konnten daher davon ausgehen, dass am Betretungsort kein Betrieb vorlag (vgl. zu Baustellen das Erkenntnis vom , Zl. 2003/08/0183) und die Anzeige an die für den im Firmenbuch eingetragenen Sitz des Dienstgebers zuständige Behörde, hier also den Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt, richten. Unstrittig hat diese Behörde auch die erste Verfolgungshandlung gesetzt.

5. Der Beschwerdeführer behauptet nicht, bereits im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemacht zu haben, dass er einen (weiteren) Betrieb außerhalb des örtlichen Zuständigkeitsbereichs des Magistrats der Stadt Wien, etwa in Form einer Zweigniederlassung führe und dass die Dienstnehmer im Rahmen dieses Betriebes beschäftigt worden seien.

6. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers gaben auch die von ihm angeführten weiteren Umstände keinen Anlass dazu, einen vom (Haupt )Sitz der Gesellschaft abweichenden Tatort - an einem im erstinstanzlichen Verfahren vom Beschwerdeführer gar nicht behaupteten Sitz eines (weiteren) Betriebs der Gesellschaft - anzunehmen. Dass die Dienstnehmer auf einer Baustelle betreten wurden, die näher an der Zweigniederlassung in L als am eingetragenen Firmensitz in Wien gelegen war, stellt - selbst wenn man davon ausginge, dass die Eintragung einer Zweigniederlassung in L der Behörde bekannt war oder hätte bekannt sein müssen - keinen ausreichenden Zusammenhang mit der Zweigniederlassung her, zumal es im Baugewerbe nicht ungewöhnlich ist, dass auch auf Baustellen gearbeitet wird, die vom Betriebsstandort weit entfernt gelegen sind.

Auch dass bei der Zweigniederlassung im Firmenbuch ein Geschäftszweig eingetragen war, der die auf der Baustelle ausgeübten Tätigkeiten umfasste, stellt für sich keinen ausreichenden Grund dar, um - ohne dahingehendes Vorbringen im erstinstanzlichen Verwaltungsstrafverfahren - das Zusammenfallen des Betriebssitzes im Sinne des § 111 Abs. 5 ASVG mit dem Gesellschaftssitz in Zweifel zu ziehen.

Auch dass Stellungnahmen im Verwaltungsstrafverfahren vom Sitz der Zweigniederlassung in L aus erfolgten, oder dass der Beschwerdeführer seinen Wohnort in der Nähe der Zweigniederlassung hat, reicht nicht aus, um eine Nachforschungspflicht der erstinstanzlichen Behörde zu begründen, ob die nicht angemeldeten Dienstnehmer gegebenenfalls an einem allfälligen Betrieb am Ort der Zweigniederlassung beschäftigt wurden.

Da der Beschwerdeführer nicht behauptet, dass er bereits im Verwaltungsstrafverfahren erster Instanz darauf hingewiesen habe, dass die Beschäftigung der Dienstnehmer im Rahmen eines nicht am Sitz der Gesellschaft geführten Betriebs erfolgt sei, kann daher - ungeachtet der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anzeichen, die allenfalls auf eine größere Nähe zur Zweigniederlassung in L schließen ließen - nicht davon ausgegangen werden, dass die Erstbehörde verhalten gewesen wäre, von Amts wegen weitere Ermittlungen anzustellen (vgl. zum diesbezüglichen Sorgfaltsmaßstab das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/09/0099, zu einem Fall des Ausländerbeschäftigungsgesetzes).

7. Da damit aber jedenfalls bis zur Erlassung des Straferkenntnisses erster Instanz kein Umstand hervorgekommen ist, der die Zuständigkeit einer anderen Behörde begründet hätte, war die erstinstanzliche Behörde jedenfalls nach § 28 VStG für die Fällung des Straferkenntnisses zuständig. Erst im Berufungsverfahren hervorgekommene Umstände, welche die Zuständigkeit einer anderen erstinstanzlichen Behörde begründet hätten, vermögen nachträglich die auf § 28 VStG (hier in Verbindung mit § 111 Abs. 5 ASVG) gegründete Zuständigkeit der eingeschrittenen erstinstanzlichen Behörde nicht in Frage zu stellen (vgl - zu einer Verwaltungsstrafsache nach dem AuslBG - das hg. Erkenntnis vom . Zl. 2000/09/0147, mwN).

Das Vorbringen des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren war damit nicht mehr geeignet, eine Rechtswidrigkeit des erstinstanzlichen Straferkenntnisses wegen Unzuständigkeit der Behörde zu begründen. Damit fehlt es aber auch an der vom Beschwerdeführer behaupteten inhaltlichen Rechtswidrigkeit des hier angefochtenen Bescheides.

8. Die Beschwerde war daher, da bereits ihr Inhalt erkennen ließ, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am