VwGH vom 04.08.2016, Ra 2016/21/0162

VwGH vom 04.08.2016, Ra 2016/21/0162

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag.a Ortner, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. L520 2123983-1/6E, betreffend ersatzlose Behebung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot (mitbeteiligte Partei: B K, geboren am , zuletzt in S), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom wurde dem Mitbeteiligten, einem türkischen Staatsangehörigen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 1 Z 1 FPG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen, und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei. Im Hinblick auf eine rechtskräftige Verurteilung nach dem Suchtmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren wurde außerdem gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt, und gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde aberkannt.

2 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte mit Schriftsatz vom Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und brachte unter anderem vor, dass bei einer Abschiebung in die Türkei eine Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK erfolgen würde.

3 Dementsprechend hatte er schon mit Antrag vom , beim BFA eingelangt am , die Zuerkennung von internationalem Schutz begehrt.

4 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten statt und behob den Bescheid des BFA vom "gem. § 28 Abs. 5 VwGVG". Begründend führte es aus, dass im vorliegenden Fall - wie aus § 10 Abs. 1 AsylG 2005 und § 52 Abs. 2 FPG hervorgehe - eine Rückkehrentscheidung nur gemeinsam mit dem den Antrag auf internationalen Schutz erledigenden Bescheid zulässig sei. Der Mitbeteiligte habe am einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Damit sei das Verfahren über die Erlassung einer Rückkehrentscheidung im Nachhinein unzulässig geworden. Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung sei erst zusammen mit dem über den Antrag auf internationalen Schutz ergehenden Bescheid zu entscheiden. Da die weiteren Spruchpunkte das Vorhandensein einer Rückkehrentscheidung voraussetzten, sei der Bescheid des BFA zur Gänze zu beheben gewesen.

5 Zur Heranziehung des § 28 Abs. 5 VwGVG als verfahrensrechtliche Grundlage für die Aufhebung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, diese Bestimmung stelle einen eigenen Tatbestand dar, welcher das Gericht ermächtige, angefochtene Bescheide durch Erkenntnis zu beheben. Bei einer Aufhebung gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG handle es sich um eine materielle Erledigung der Rechtssache durch ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides. Die Regelung entspreche im Wesentlichen dem bisherigen § 66 Abs. 4 AVG.

6 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

7 1. Entgegen dem - den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden - Ausspruch nach § 25a Abs. 1 VwGG sieht das BFA eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG insbesondere darin, dass es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Auswirkungen eines Antrages auf internationalen Schutz auf ein anhängiges Rückkehrentscheidungsverfahren fehle.

8 Dies trifft zu, weshalb sich die Revision als zulässig erweist.

9 2. § 10 Abs. 1 AsylG 2005 (in der Fassung des Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetzes - FNG, BGBl. I Nr. 87/2012) lautet auszugsweise:

"Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,


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4.
...
5.
...
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt."
10 § 52 Abs. 1 und 2 FPG (ebenfalls in der Fassung des FNG) lautet auszugsweise:
"Rückkehrentscheidung

§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich


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1.
nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder
2.
...

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,


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3.
...
4.
...
und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige."
11 In den Fällen einer Abweisung oder Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz (mit Ausnahme von Zurückweisungen gemäß § 4a oder § 5 AsylG 2005, die gemäß § 61 Abs. 1 FPG mit Anordnungen zur Außerlandesbringung einherzugehen haben) ist die Entscheidung also - wenn (wie hier) keiner der in § 10 Abs. 1 aE AsylG 2005 bzw. in § 52 Abs. 2 aE FPG genannten Fälle vorliegt - mit einer Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG bzw. gegebenenfalls mit einem Ausspruch nach § 9 Abs. 3 BFA-VG über die dauernde Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden. Eine Ausnahme ist in § 59 Abs. 5 FPG normiert: Demnach "bedarf es" bei "Verfahrenshandlungen" (u.a.) nach dem AsylG 2005 keiner neuerlichen Rückkehrentscheidung, wenn gegen einen Drittstaatsangehörigen bereits eine aufrechte rechtskräftige (und - wie der Verwaltungsgerichtshof klargestellt hat - mit einem Einreiseverbot verbundene) Rückkehrentscheidung besteht, es sei denn, es sind neue Tatsachen gemäß § 53 Abs. 2 und 3 FPG hervorgekommen (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom , Ra 2015/20/0082 bis 0087, und vom , Ro 2015/21/0037, Punkt 4).
12 Bevor über den Antrag auf internationalen Schutz abgesprochen wurde, ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht zulässig: Nach § 10 Abs. 1 AsylG 2005 ist die Rückkehrentscheidung mit der negativen Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz "zu verbinden", nach § 52 Abs. 2 FPG hat sie "unter einem" zu ergehen; sie setzt also die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz voraus. Auch dann, wenn ein Rückkehrentscheidungsverfahren - unabhängig vom Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz - bereits anhängig ist, darf die Rückkehrentscheidung (unbeschadet eines allenfalls weiter bestehenden unrechtmäßigen Aufenthalts des Fremden) grundsätzlich nicht vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergehen. Zugleich mit der Rückkehrentscheidung ist nämlich die Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG zu treffen, dass die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist; dies würde aber - jedenfalls in Bezug auf den Herkunftsstaat - bedeuten, das Ergebnis des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz, in dem diese Frage erst zu klären ist, vorwegzunehmen (vgl. zum Verhältnis der Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG zu einem Abspruch nach §§ 3 und 8 AsylG 2005 das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/21/0119). Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung ohne eine Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG kommt hingegen - außer im Fall, dass die Feststellung aus vom Fremden zu vertretenden Gründen nicht möglich ist - auf Grund des vom Gesetzgeber seit geschaffenen Systems nicht in Betracht (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom , Ra 2016/21/0101).
13 Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz war daher nicht zulässig. In einem solchen Fall ist ein anhängiges Rückkehrentscheidungsverfahren einzustellen, und eine - wie hier - bereits erlassene erstinstanzliche, mit Beschwerde bekämpfte Rückkehrentscheidung ist vom Bundesverwaltungsgericht ersatzlos zu beheben. Eine Aussetzung des Rückkehrentscheidungsverfahrens bis zur Beendigung des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz kommt nicht in Betracht, weil es nach der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz jedenfalls einzustellen wäre: sei es, weil Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt wurde, sei es, weil eine negative Entscheidung und damit einhergehend eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 FPG bzw. ein Ausspruch über die dauerhafte Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder ein Ausspruch nach § 8 Abs. 3a AsylG 2005 ergangen ist.
14 Das Bundesverwaltungsgericht ist daher rechtskonform vorgegangen, indem es die vom BFA erlassene Rückkehrentscheidung samt dem gemäß § 53 Abs. 1 FPG darauf aufbauenden Einreiseverbot und die weiteren damit verbundenen Aussprüche ersatzlos behoben hat. Darüber wird im Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz - dann zeitaktuell - zu entscheiden sein.
15 3. Die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides ist eine Entscheidung in der Sache selbst (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ro 2015/12/0003). Als verfahrensrechtliche Grundlage für eine solche Entscheidung ist im Spruch daher § 28 Abs. 1 und Abs. 2 (bzw. Abs. 3 Satz 1) VwGVG zu nennen. § 28 Abs. 5 VwGVG regelt hingegen nur die Rechtsfolgen von Bescheidaufhebungen durch das Verwaltungsgericht und bietet keine eigenständige Rechtsgrundlage für die Aufhebung selbst, sei es - wie der Verwaltungsgerichtshof schon im soeben zitierten Erkenntnis vom ausgeführt hat - nach § 28 Abs. 3 Satz 2 und 3 (oder Abs. 4) VwGVG, sei es nach § 28 Abs. 1 und 2 oder Abs. 3 Satz 1 VwGVG.
16 Der Umstand, dass das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall dennoch nur § 28 Abs. 5 VwGVG als verfahrensrechtliche Grundlage für seine Entscheidung angegeben hat, führt jedoch - entgegen dem Standpunkt in der Revision - nicht zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses. Aus der Begründung geht nämlich in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise hervor, dass eine ersatzlose Behebung intendiert war, wobei das Bundesverwaltungsgericht den § 28 Abs. 5 VwGVG - unter Berufung auf eine Kommentarmeinung - entgegen den Ausführungen unter Rz 15 als Tatbestand gewertet hat, der das Gericht zur erkenntnismäßigen Behebung von Bescheiden ermächtigt.
17 4. Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt die Revision schließlich noch, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis unter dem Punkt "Feststellungen" lediglich auf die Darstellung des Verfahrensgangs und unter dem Punkt "Beweiswürdigung" nur auf den Akteninhalt verwiesen habe. Damit wird schon deswegen kein wesentlicher Begründungsmangel aufgezeigt, weil für die vorgenommene ersatzlose Behebung allein die Anhängigkeit des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz ausschlaggebend war; dafür war die Darstellung des - unstrittigen - Verfahrensgangs ausreichend.
18 5. Da somit bereits der Inhalt der Revision erkennen lässt, dass die behauptete Rechtswidrigkeit nicht vorliegt, war sie gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung abzuweisen.
Wien, am