VwGH vom 23.07.2014, 2012/08/0171
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Beschwerde der L K in Wien, vertreten durch Dr. Karin Metz, Rechtsanwältin in 1020 Wien, Praterstraße 25A/19, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 2012-0566-9-000492, betreffend Verlust der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin ihren Anspruch auf Notstandshilfe für die Zeit vom 9. Jänner bis zum verliere, weil sie eine von der regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien (AMS) vermittelte, zumutbare Beschäftigung bei der I. GmbH nicht angenommen habe.
Die Beschwerdeführerin habe bereits öfter an (vom AMS geförderten) Deutsch- bzw. Alphabetisierungskursen teilgenommen. Sie habe an der Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt "Vorbereitungsmaßnahme für I." der I. GmbH teilgenommen. Im Zuge dieser Maßnahme seien der Beschwerdeführerin von ihrem dortigen Berater zwei Stellen als Reinigungskraft angeboten worden, und zwar am und nochmals am . Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführerin die Stellen nicht angeboten worden seien. Es lägen entsprechende schriftliche Unterlagen vor, und zwar E-Mails vom und vom samt einer (handschriftlichen) namentlichen Zuordnung des Ausdrucks.
Die Beschwerdeführerin habe am bekannt gegeben, man habe von ihr lediglich wissen wollen, ob sie über eine Praxis als Reinigungskraft verfüge. Dies sei von ihr wahrheitsgemäß verneint worden.
Diese Angaben würde die belangte Behörde als reine Schutzbehauptung werten. Die Beschwerdeführerin sei über 30 Jahre lang im österreichischen Arbeitsmarkt integriert, habe mehrere Deutschkurse absolviert und spreche ein verständigungsfähiges Deutsch. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso sie im Zuge eines Einzelgespräches diese auch in einfachen Worten darzustellende Thematik hätte missverstehen sollen. Es erscheine plausibel, dass der Beschwerdeführerin die beiden Stellen tatsächlich angeboten worden seien und sie diese abgelehnt habe. Daraufhin habe die I. GmbH ihre Bemühungen um eine Integration in den Arbeitsmarkt eingestellt und der Beschwerdeführerin am mitgeteilt, es würde ihr kein Dienstverhältnis angeboten werden.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe die Annahme einer Beschäftigung vereitelt. Sie habe die Bewerbung als Reinigungskraft in zwei Fällen abgelehnt und durch dieses Verhalten die I. GmbH dazu veranlasst, ihr gar keinen Dienstvertrag mehr anzubieten. Die Beschwerdeführerin habe dadurch das Zustandekommen eines Dienstverhältnisses bei der I. GmbH vereitelt. Die Beschwerdeführerin habe ihre Deutschkenntnisse während der drei Dekaden ihrer Beschäftigungen "augenscheinlich" angewendet. Sie habe "daher selber bereits mehrfach unter Beweis gestellt, dass Ihnen eine Bewerbung mit nachfolgender Beschäftigungsaufnahme grundsätzlich möglich ist". Die Beschwerdeführerin sei volljährig, stehe nicht unter Sachwalterschaft und verfüge über ein verständigungsfähiges Deutsch. Es sei ihr möglich, sich zumindest persönlich oder telefonisch vorzustellen, weil sie jedenfalls verbal kommunizieren könne und ihr das Ablesen einer Telefonnummer (im Unterschied zu reinen Texten) keine Schwierigkeiten bereite. Sie hätte jedenfalls ihren Berater bei der I. GmbH um Hilfestellung ersuchen können. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht iSd § 10 Abs. 3 AlVG lägen nicht vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie sei vom AMS einem Kurs bei der I. GmbH zugewiesen worden, der bis zum hätte dauern sollen. Am sei ihr mitgeteilt worden, der Kurs sei beendet, weil er für sie (als Analphabetin) nicht nützlich sei. Sie habe dies am folgenden Tag dem AMS mitgeteilt, das ihr daraufhin ungerechtfertigt die Notstandshilfe entzogen habe. Ihr sei keine zumutbare Beschäftigung vorgeschlagen worden. Die Behörde stütze sich nur auf zwei Mails, deren Zustellung an sie nicht nachgewiesen sei. Die belangte Behörde hätte sie, ihre Tochter, J. A. (den Betreuer der I. GmbH) und M. (den Betreuer des AMS) vernehmen müssen, dann hätte sich herausgestellt, dass keine Verweigerung der Annahme zumutbarer Stellen vorliege.
Die Beschwerde ist berechtigt.
Die Behörde darf sich nur in Fällen, die nicht weiter strittig sind, mit einer formlosen Befragung (oder mit schriftlichen Stellungnahmen) als Beweismittel begnügen. Die Beschwerdeführerin hat im Verwaltungsverfahren jedoch bestritten, dass sie zwei Stellenangebote als Reinigungskraft abgelehnt hätte. In Fällen, in denen widersprechende Beweisergebnisse vorliegen und in denen der Glaubwürdigkeit von Personen für die Beweiswürdigung besondere Bedeutung zukommt, ist es im Interesse der Erforschung der materiellen Wahrheit erforderlich, die in Frage kommenden Personen förmlich als Zeugen bzw. als Parteien niederschriftlich zu vernehmen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/08/0164, mwN).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, idF BGBl. II Nr. 8/2014, auf "Altfälle" weiter anzuwendenden Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
NAAAE-71399