VwGH vom 15.07.2013, 2012/08/0166
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde des W W in S, vertreten durch Mag. Karin Sonntag, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Imbergstraße 17, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Salzburg vom , Zl. LGSSbg/2/0566/2012, betreffend Verlust der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde den Verlust des Anspruchs des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe in der Zeit vom 23. Jänner bis aus, weil er die Teilnahme am Kurs "Qualifizierung und Aktivierung für Jugendliche" bei der I. GmbH vereitelt habe.
Das letzte längere Dienstverhältnis des Beschwerdeführers habe am geendet. Er beziehe seit dem Notstandshilfe. Um ihn bei der dauerhaften Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu unterstützen, habe die regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Salzburg (in der Folge: AMS) mit ihm am vereinbart, dass er ab dem an der Maßnahme "Qualifizierung und Aktivierung für Jugendliche" bei der I. GmbH teilnehmen solle. Diese Maßnahme habe eine fünfwöchige Seminarphase mit Berufsorientierung und Aktivierung, ein laufendes Bewerbungstraining, ein begleitendes Einzelcoaching und Gruppenarbeit sowie die Unterstützung bei der Arbeitssuche beinhaltet. Die Maßnahme habe sich an jugendliche arbeitssuchende Personen gerichtet, die schon länger arbeitslos seien.
Der Beschwerdeführer habe am bei der Informationsveranstaltung zum Kurs ein Erstgespräch geführt. Die Mitarbeiterin der I. GmbH, S. Ö., habe dem AMS am mitgeteilt, der Beschwerdeführer habe beim Auswahlgespräch gesagt, er würde derzeit den Führerschein machen. Die Zeiten des (von einem Sozialverein gezahlten) Führerscheinkurses würden sich teilweise mit denen der Maßnahme überschneiden. Zudem würde er sich Sorgen darüber machen, ob er zusätzlich zur Maßnahme auch noch die Führerscheinprüfung machen könne, weil er dafür viel lernen müsse. Freilich könne er auch den Abendführerscheinkurs besuchen, dann aber hätte er fast keine Zeit mehr für seine Familie. Er habe im Februar 2012 schon einige Fahrstunden gebucht, die sich mit den Kurszeiten bei der I. GmbH überschneiden würden. Diese Angaben des Beschwerdeführers seien der Grund dafür gewesen, dass er nicht in den Kurs aufgenommen worden sei. In der Niederschrift vor dem AMS vom habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er derzeit den Führerschein Klasse B mache und die Kurszeiten nicht mit denen für die Maßnahme vereinbar seien. Den Führerschein habe der Beschwerdeführer nicht im Interesse oder im Auftrag des AMS gemacht.
Die Maßnahme wäre geeignet gewesen, den Beschwerdeführer bei einer dauerhaften Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu unterstützen. Bei einer Teilnahme hätte er die Möglichkeit gehabt, durch intensive Bewerbung wieder einen dauerhaften Arbeitsplatz zu finden. Es wäre ihm auch möglich gewesen, den Kurs jederzeit zu verlassen, sobald er eine Stelle gefunden hätte.
Der Beschwerdeführer habe beim Auswahlgespräch erwähnt, dass sich die Kurszeiten für den Führerschein mit den Zeiten der Maßnahme teilweise überschneiden würden. Er habe zwar hinzugefügt, dass er auch den Führerscheinkurs für Berufstätige besuchen könnte, dies jedoch nur ungern, weil er dann für Frau und Kind keine Zeit mehr haben würde. Auch habe er sich Sorgen darüber gemacht, ob er "beides zusammen schaffen" könne, weil der Lernumfang für die Führerscheinprüfung so groß sei. Außerdem habe er erwähnt, dass er im Februar schon einige Fahrstunden fixiert habe, die auch in die Anwesenheitszeiten der Maßnahme fallen würden.
Die Behörde folge den glaubhaften Angaben der Trainerin. Sie gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer ihr gegenüber nicht sofort angegeben habe, dass er den (mit der Maßnahme kompatiblen) Führerscheinkurs um 19.00 Uhr besuchen wolle, sondern nur für den Fall, dass es gar nicht anders gehe. Auch in der Niederschrift vom habe der Beschwerdeführer angegeben, dass sich die Kurszeiten für den Führerschein und die der Maßnahme überschneiden und daher nicht vereinbar seien. Durch seine Angaben beim Auswahlgespräch habe der Beschwerdeführer in Kauf genommen, dass nicht er, sondern ein anderer Arbeitsloser, der ohne Zeitkollisionen den Kurs besuchen könne, in die Maßnahme aufgenommen werde. Damit habe er jedoch iSd § 10 Abs. 1 Z 3 AlVG die Aufnahme in die Maßnahme und damit auch deren Erfolg vereitelt. Berücksichtigungswürdige Gründe, wie z.B. nachträgliche Beschäftigungsaufnahme innerhalb der verhängten Ausschlussfrist, die eine Nachsicht gemäß § 10 Abs. 3 AlVG hätten bewirken können, lägen nicht vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
1.1. Die Beschwerde macht geltend, der Beschwerdeführer habe im Zuge des Auswahlgespräches für die Teilnahme an der Maßnahme mitgeteilt, einen Führerscheinkurs belegt zu haben, um seine Chancen am Arbeitsmarkt zu erhöhen. Ihm sei im Auswahlgespräch mitgeteilt worden, dass für die Maßnahme die Zahl der Bewerber die der freien Plätze übersteige. In der Folge sei ihm mitgeteilt worden, dass er an der Maßnahme nicht teilnehmen könne, weil diese bereits ausgebucht sei. Es sei nicht richtig, dass er zur vereinbarten Maßnahme nicht erschienen sei. Er habe der Mitarbeiterin der I. GmbH mitgeteilt, dass er vom Sozialverein S. einen Führerscheinkurs bezahlt bekomme. Die Kurszeiten seien von 16.00 bis 18.00 Uhr (oder von 19.00 bis 21.00 Uhr). Er habe deponiert, lieber den Kurs um 16.00 Uhr machen zu wollen, weil er am Abend sonst zu wenig Zeit mit seiner Frau und seinem Kind verbringen könne. Das könne ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden. Weiters habe er angemerkt, dass er im Februar 2012 einige Fahrstunden habe, die während der Kurszeiten erfolgen würden. Auch seine Befürchtung, dass ihm bei Absolvierung von beiden Kursen samt enormem Lernpensum keine Zeit mehr für seine Familie, insbesondere für sein kleines Kind sowie zur Unterstützung seiner Frau bleibe, sei nachvollziehbar. Es dürfe nicht übersehen werden, dass der Führerscheinkurs vom Sozialverein S. bezahlt worden sei, sodass es nicht in seinem alleinigen Ermessen gestanden sei, ob er überhaupt in den Kurs um 19.00 Uhr wechseln könne bzw. ob dort noch freie Plätze zur Verfügung stünden. Es könne ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, den ihm vom Sozialverein ermöglichten Führerscheinkurs sehr ernst genommen zu haben, um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Aus der Stellungnahme der I. GmbH gehe hervor, dass der Grund für seine Nichtaufnahme in die Maßnahme die eingeschränkte Anzahl an Plätzen gewesen sei. Wenn die belangte Behörde angenommen habe, er habe in Kauf genommen, dass nicht er, sondern ein anderer Arbeitsloser in die Maßnahme aufgenommen werde, indem er nicht sofort angegeben habe, dass er den Führerscheinkurs um 19.00 Uhr besuchen wolle, beruhe das auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung.
1.2. Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (u.a.) bereit ist, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen.
Nach § 10 Abs. 1 Z 3 AlVG verliert ein Arbeitsloser, der ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung folgenden sechs (unter näher umschriebenen Voraussetzungen: acht) Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld (bzw. Notstandshilfe).
Die Zumutbarkeitserwägungen im Zusammenhang mit der Beurteilung, ob ein "wichtiger Grund" für den Beschwerdeführer bei einem Verhalten iSd § 10 Abs. 1 Z 3 AlVG vorliegt, lassen sich dahin gehend verallgemeinern, dass sich diese nicht auf die für Beschäftigungsverhältnisse iSd § 9 Abs. 2 bis 5 AlVG genannten Kriterien (vor allem diejenigen einer möglichen Gesundheitsgefährdung und der Entfernung vom Wohnort) beschränken, sondern zB auch eine verstärkte Bedachtnahme auf familiäre Gesichtspunkte erfolgen kann. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass es sich bei Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt um Vorkehrungen handelt, die nicht die Chance einer sofortigen Beendigung der Arbeitslosigkeit in sich tragen. Die Teilnahme an solchen Maßnahmen ist - in der Regel - nach Belieben nachholbar, wodurch sie sich von der Annahme der vom AMS vermittelten Beschäftigungen - wiederum in der Regel - sehr wesentlich unterscheidet. Geht es nur um die Frage, zu welchem Termin an der Maßnahme teilgenommen werden soll (also nicht um das Ob, sondern nur um das Wann), so wird an das Kriterium des "wichtigen Grundes" - je nach Lage des Falles und Dringlichkeit der Maßnahme - kein allzu strenger Maßstab anzulegen sein (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 99/08/0027, und vom , Zl. 98/08/0304, mwN).
Nach den Feststellungen hatte der Beschwerdeführer in dem vor Beginn der Maßnahme geführten Auswahlgespräch deponiert, dass er einen Führerscheinkurs mache und sich dessen Kurszeiten teilweise mit denen der Maßnahme überschneiden würden. Er würde sich Sorgen darüber machen, ob er zusätzlich zur Maßnahme auch noch die Führerscheinprüfung machen könne. Freilich könne er auch den Abendkurs besuchen, aber dann hätte er fast keine Zeit mehr für seine Familie. Er habe außerdem für Februar 2012 schon einige Fahrstunden gebucht, die sich mit den Kurszeiten der Maßnahme überschneiden würden. Diese Angaben seien der Grund dafür gewesen, dass sich die I. GmbH dafür entschieden habe, den Beschwerdeführer nicht in den Kurs aufzunehmen (wobei die Anzahl der der Maßnahme zugewiesenen Arbeitslosen die Kursplätze überstiegen hat).
Anders als § 10 Abs. 1 Z 1 stellt der Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z 3 AlVG nicht darauf ab, dass die Aufnahme in die Maßnahme vereitelt wird, sondern nur darauf, dass - nach Aufnahme - der Erfolg der Maßnahme durch das Verhalten des Arbeitslosen vereitelt wird.
Es kann im vorliegenden Fall aber dahinstehen, ob der Beschwerdeführer bereits die Aufnahme verweigert hat (worauf der von der belangten Behörde nicht übernommene Inhalt der mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschrift vom hindeutet) oder ob er den Erfolg einer Maßnahme vereitelt hat, weil im Ergebnis ein wichtiger Grund iSd § 10 Abs. 1 Z 3 AlVG vorliegt.
Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass der Beschwerdeführer die Teilnahme an diesem Kurs gänzlich ablehnen bzw. vereiteln wollte. Es ging bloß um eine vorübergehende Terminkollision mit seinem Führerscheinkurs. Die belangte Behörde hat nicht festgestellt, dass die Absolvierung dieses von einem Sozialverein finanzierten Führerscheinkurses unter dem Aspekt der Verbesserung der Chancen auf Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes völlig bedeutungslos wäre bzw. dass sich diese Chancen maßgeblich erhöht hätten, wenn er an der ihm vom AMS angebotenen Maßnahme sogleich (und nicht etwa zu einem Zeitpunkt, zu dem keine Kollision mehr bestand) teilgenommen hätte. Schließlich ist auch von Bedeutung, dass die Zahl der dieser Maßnahme zugeteilten Arbeitslosen die Zahl der freien Kursplätze überstiegen hat, sodass ohnehin eine Auswahl der Kursteilnehmer nach Zweckmäßigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten unausweichlich war. Unter Anwendung des beschriebenen, bei bloßen Terminfragen nicht allzu strengen Maßstabes, sind die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Gründe daher als wichtig iSd § 10 Abs. 1 Z 3 AlVG einzustufen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
XAAAE-71374