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VwGH vom 18.10.2011, 2010/02/0309

VwGH vom 18.10.2011, 2010/02/0309

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Beck und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zlen. UVS- 07/S/4/5215/2010-27 und UVS-07/SV/4/5297/2010, betreffend Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens in Angelegenheit der Verletzung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (Mitbeteiligter: W G in W, vertreten durch die Singer Fössl Rechtsanwälte OG, Prinz-Eugen-Straße 30, 1040 Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit einer Aufforderung zur Rechtfertigung vom (hinterlegt mit Beginn der Abholfrist am ) hat der Magistrat der Stadt Wien dem Mitbeteiligten die Möglichkeit gegeben, sich zum Vorwurf der Begehung folgender Verwaltungsübertretung zu rechtfertigen: Er habe es einer Anzeige des Arbeitsinspektorates für Bauarbeiten vom zufolge als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener der T GmbH zu verantworten, dass diese Gesellschaft mit Sitz in 1120 Wien, am in 2301 Franzensdorf gegen § 7 Abs. 1 BauKG,§ 7 Abs. 7 BauKG und § 6 Abs. 5 BauKG verstoßen habe, als er 1. nicht dafür Sorge getragen habe, dass vor Eröffnung der Baustelle der erforderliche Gesundheitsschutzplan gemäß § 7 BauKG erstellt worden sei, 2. der Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan gemäß § 7 BauKG den auf der Baustelle tätigen Arbeitnehmern der Unternehmen T, S, D und P nicht zugänglich gewesen sei und 3. die gemäß § 6 BauKG erforderliche Vorankündigung an der Fensterscheibe des Aufenthaltscontainers der Arbeitnehmer befestigt gewesen sei; diese sei nicht an erfolgte Änderungen angepasst worden; als beauftragte Unternehmen seien lediglich die Unternehmen JT und TU angegeben gewesen, obwohl auch die Unternehmen T, S, D und P auf der Baustelle beschäftigt gewesen seien.

Vorgeworfen wurden dem Mitbeteiligten Verwaltungsübertretungen zu 1. nach § 7 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 1 Z 1 BauKG, zu 2. nach § 7 Abs. 7 iVm § 10 Abs. 1 Z 1 BauKG und zu 3. nach § 6 Abs. 5 iVm § 10 Abs. 1 Z 1 BauKG.

Mit Straferkenntnis vom hat der Magistrat der Stadt Wien dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, er habe unter den in der Aufforderung zur Rechtfertigung genannten Voraussetzungen gegen § 7 Abs. 7 BauKG und § 6 Abs. 5 BauKG verstoßen, indem 1. der Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan gemäß § 7 Abs. 6 BauKG nicht den auf der Baustelle tätigen Arbeitnehmer der Unternehmen T, S, D und P zugänglich gewesen sei und 2. die gemäß § 6 Abs. 1 BauKG erforderliche Vorankündigung an der Fensterscheibe des Aufenthaltscontainers der Arbeitnehmer befestigt gewesen sei; diese sei nicht an erfolgte Änderungen angepasst gewesen; als beauftragte Unternehmen seien lediglich die Unternehmen JT und TU angegeben, obwohl auch die Unternehmen T, S, D und P auf der Baustelle beschäftigt gewesen seien. Das Unterlassen der Erstellung des erforderlichen Gesundheitsschutzplanes vor Eröffnung der Baustelle gemäß § 7 Abs. 1 BauKG (Punkt 1. der Aufforderung zur Rechtfertigung) wurde dem Mitbeteiligten nicht mehr vorgeworfen.

Der Mitbeteiligte habe dadurch zu 1. § 7 Abs. 7 iVm § 10 Abs. 1 Z 1 BauKG und zu 2. § 6 Abs. 5 iVm § 10 Abs. 1 Z 1 BauKG verletzt, weshalb über ihn eine Geldstrafe von je EUR 1.400,-- (Gesamtersatzfreiheitsstrafe 19 Tage und zehn Stunden) verhängt wurde. Zudem wurde gemäß § 9 Abs. 7 VStG die Haftung der T GmbH für die mit diesem Bescheid über den Mitbeteiligten verhängte Geldstrafe von insgesamt EUR 2.800,-- und für die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand ausgesprochen.

In der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung brachten der Mitbeteiligte und die T GmbH unter anderem vor, Voraussetzung für eine Bestrafung dafür, dass eine Vorankündigung nicht an erfolgte Änderungen angepasst und ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan nicht zugänglich sei, sei jedenfalls das Tatbestandsmerkmal, dass überhaupt eine Vorankündigung erforderlich sei. Diese in § 6 Abs. 1 BauKG geregelten Voraussetzungen für eine Vorankündigung seien dem Mitbeteiligten nicht vorgehalten worden, sodass innerhalb der in § 31 Abs. 2 VStG normierten Frist keine hinreichende Verfolgungshandlung gesetzt worden sei. Es sei daher Verfolgungsverjährung eingetreten, weshalb das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung des Mitbeteiligten und der T GmbH gemäß § 66 Abs. 4 AVG Folge gegeben, das Straferkenntnis vom behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG eingestellt. Zudem hat sie ausgesprochen, dass der Mitbeteiligte gemäß § 65 VStG keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten habe.

In der Begründung folgte die belangte Behörde im Wesentlichen den vom Mitbeteiligten in der Berufung vorgetragenen Argumenten und führte aus, die Verpflichtung, eine Vorankündigung an Änderungen anzupassen, könne nur dann bestehen, wenn überhaupt eine Vorankündigung zu erstellen sei. Im Rahmen einer Verfolgungshandlung seien daher die Voraussetzungen, unter denen eine Vorankündigung zu erfolgen habe, festzuhalten. Dem Mitbeteiligten sei dies während der Verfolgungsverjährungsfrist nicht vorgehalten worden. Auch die Beantwortung der Frage, ob ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan überhaupt zu erstellen und zugänglich zu machen sei, sei davon abhängig, ob eine Vorankündigung erforderlich sei. Hinsichtlich dieses Vorwurfs sei mittlerweile ebenfalls Verfolgungsverjährung eingetreten. Der Umfang der Baustelle sei weder in der Anzeige vom noch in der Aufforderung zur Rechtfertigung vom enthalten. Auch innerhalb der sechsmonatigen Verfolgungsverjährungsfrist sei keine andere entsprechende Verfolgungshandlung vorgenommen worden. Somit sei im Beschwerdefall gemäß § 31 Abs. 2 VStG Verfolgungsverjährung eingetreten, weshalb das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG einzustellen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt, auf die Erstattung einer Gegenschrift hat sie verzichtet.

Der Mitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet, in der er die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Folgende Bestimmungen des BauKG sind im Beschwerdefall von

Bedeutung:

"§ 6. (1) Der Bauherr hat eine Vorankündigung zu erstellen für Baustellen, bei denen voraussichtlich

1. die Dauer der Arbeiten mehr als 30 Arbeitstage beträgt und auf denen mehr als 20 Arbeitnehmer gleichzeitig beschäftigt werden, oder

2. deren Umfang 500 Personentage übersteigt.

(3) Die Vorankündigung ist sichtbar auf der Baustelle auszuhängen.

(5) Die Vorankündigung ist bei Änderungen anzupassen.

§ 7. (1) Der Bauherr hat dafür zu sorgen, dass vor Eröffnung der Baustelle ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan erstellt wird für Baustellen, für die eine Vorankündigung gemäß § 6 erforderlich ist und für Baustellen, auf denen Arbeiten zu verrichten sind, die mit besonderen Gefahren für Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer verbunden sind.

(6) Der Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan ist in der Vorbereitungs- und in der Ausführungsphase zu berücksichtigen.

(7) Der Bauherr hat dafür zu sorgen, dass die betroffenen Arbeitgeber, deren Präventivfachkräfte und Arbeitnehmer sowie die auf der Baustelle tätigen Selbständigen Zugang zum Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan haben.

§ 10. (1) Eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 145 EUR bis 7 260 EUR, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von 290 EUR bis 14 530 EUR zu bestrafen ist, begeht, wer

1. als Bauherr die Verpflichtungen nach § 3, § 4 Abs. 1, § 6, § 7 oder § 8 dieses Bundesgesetzes verletzt, …"

Gemäß § 31 Abs. 1 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist von der Behörde keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2 und 3 VStG) vorgenommen worden ist. Nach Abs. 2 leg. cit. beträgt die Verjährungsfrist sechs Monate und ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat; ist der zum Tatbestand gehörende Erfolg erst später eingetreten, so läuft die Frist erst von diesem Zeitpunkt.

Die belangte Behörde begründete die Verfahrenseinstellung im Wesentlichen mit dem Argument, dem Mitbeteiligten seien während der Verfolgungsverjährungsfrist die Voraussetzungen, unter denen eine Vorankündigung zu erstellen sei (§ 6 Abs. 1 BauKG), nicht im Rahmen einer Verfolgungshandlung vorgehalten worden. Das dem Mitbeteiligten angelastete Unterlassen der Anpassung der Vorankündigung an Änderungen (§ 6 Abs. 5 BauKG) und der Zugänglichmachung des Sicherheits- und Gesundheitsschutzplanes (§ 7 Abs. 7 BauKG) setze nämlich die Verpflichtung voraus, eine Vorankündigung zu erstellen.

Der beschwerdeführende Bundesminister hält dieser Rechtsansicht in der Beschwerde entgegen, es handle sich bei den in § 6 Abs. 1 BauKG und § 7 Abs. 1 BauKG genannten Voraussetzungen nicht um Tatbestandsmerkmale der Übertretungen nach § 6 Abs. 5 BauKG und nach § 7 Abs. 7 BauKG, sondern um Vorfragen bzw. um Elemente eines Vorfragentatbestands. Auf solche muss sich eine Verfolgungshandlung jedoch nicht beziehen. Zudem sei der Mitbeteiligte durch die konkrete Verfolgungshandlung in die Lage versetzt worden, auf den konkreten Tatvorwurf zu reagieren. Die belangte Behörde hätte daher das Verwaltungsstrafverfahren nicht gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG einstellen dürfen.

Der Mitbeteiligte hat auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht bestritten, dass im Beschwerdefall die Voraussetzungen für die Erstellung einer Vorankündigung gemäß § 6 Abs. 1 BauKG vorgelegen sind und eine solche auch erstellt worden ist. In der innerhalb der Frist des § 31 Abs. 2 VStG dem Mitbeteiligten zugekommenen Aufforderung zur Rechtfertigung vom wurde ihm - hier noch relevant - vorgeworfen, der Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan gemäß § 7 BauKG sei den auf der Baustelle tätigen Arbeitnehmern der Unternehmen T, S, D und P nicht zugänglich gewesen und die gemäß § 6 BauKG erforderliche Vorankündigung sei nicht an erfolgte Änderungen angepasst worden.

Diese Vorwürfe setzten demnach voraus, dass die Vorankündigung und der Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan erstellt worden waren. Anders als die belangte Behörde meint, sind bei der konkreten Tatanlastung nach § 6 Abs. 5 BauKG und nach § 7 Abs. 7 BauKG (vgl. § 44a Z 1 VStG) nicht auch die Voraussetzungen, unter denen eine Vorankündigung bzw. ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan zu erstellen ist, anzuführen. Das Unterlassen des Erstellens einer Vorankündigung und eines Sicherheits- und Gesundheitsschutzplanes sind selbstständige Delikte, deren Verwirklichung die Anlastung der in Rede stehenden Delikte ausschließt, weil eine nicht erstellte Vorankündigung nicht angepasst und ein nicht erstellter Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan nicht zugänglich gemacht werden können. Die Voraussetzungen, unter denen Vorankündigung und Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan zu erstellen sind, sind nicht Tatbestandselemente der konkret vorgeworfenen Delikte. § 6 Abs. 5 BauKG ("Die Vorankündigung ist bei Änderungen anzupassen") und § 7 Abs. 7 BauKG ("Zugang zum Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan") setzen vielmehr voraus, dass eine Vorankündigung und ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan erstellt worden sind.

Auch ist keine Einschränkung der Verteidigungsrechte zu sehen, weil die konkreten Vorwürfe selbstredend beinhalten, dass die Behörde die Voraussetzungen für die Erstellung von Vorankündigung und Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan als gegeben erachtet hat. Wären diese Voraussetzungen nicht vorgelegen, wäre das Tatbestandselement "Vorankündigung" nicht erfüllt gewesen.

Daraus folgt, dass die von der erstinstanzlichen Behörde der Bestrafung zu Grunde gelegten Tatbestandselemente der § 6 Abs. 5 und § 7 Abs. 7 BauKG dem Mitbeteiligten in der Aufforderung zur Rechtfertigung vom vollständig vorgehalten worden sind, weshalb die von der belangten Behörde angenommene Verfolgungsverjährung nicht eingetreten ist. Da die belangte Behörde das Verwaltungsstrafverfahren demnach zu Unrecht eingestellt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Wien, am