VwGH vom 16.06.2011, 2007/18/0897
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des PK, vertreten durch Mag. Roland Schlegel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Platz 5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/339055/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 87 Abs. 1 iVm § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes - FPG ein auf zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe am einen Asylantrag gestellt, der am abgewiesen worden sei. Dennoch sei der Beschwerdeführer nicht ausgereist. Am habe er neuerlich einen Asylantrag gestellt, dem am negativ beschieden worden sei.
Der Beschwerdeführer habe am eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und sei am in den Genuss einer unbefristeten Niederlassungsbewilligung gekommen. Die Ehe sei inzwischen wieder geschieden worden.
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 und Abs. 3 Suchtmittelgesetz (SMG), des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 15, § 269 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs. 1, § 84 Abs. 2 Z. 4 StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Höhe von 24 Monaten (davon acht Monate unbedingt) rechtskräftig verurteilt worden.
Der Beschwerdeführer und ein Mittäter hätten (am ) den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs. 6 SMG) gewerbsmäßig in Verkehr gesetzt, wobei das vom Mittäter aus S eingeschmuggelte Heroin (600 Gramm) durch Vermittlung des Beschwerdeführers einem verdeckt ermittelnden Suchtgiftfahnder verkauft worden sei. Im Zuge des Verkaufes habe der Beschwerdeführer zwecks Hinderung an der Amtshandlung (Festnahme) ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niedergestoßen, wodurch es verletzt worden sei.
Am habe der Beschwerdeführer neuerlich eine österreichische Staatsbürgerin (M.), die die Mutter des am geborenen gemeinsamen Kindes sei, geheiratet.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, das Verhalten des Beschwerdeführers, am Verhandeln einer großen Menge Suchtgift maßgebend beteiligt gewesen zu sein und danach einen rechtmäßig einschreitenden Polizisten in der Absicht der Vereitelung der Festnahme am Körper verletzt zu haben, stelle eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr (im Sinne des § 86 Abs. 1 FPG) dar. Diese Gefahr berühre ein Grundinteresse der Gesellschaft, nämlich den Schutz der Bevölkerung vor gesundheitlichen Schäden durch Suchtgiftgenuss und den Schutz der die Staatsmacht verkörpernden und ihre Pflicht erfüllenden Polizisten vor körperlichen Attacken.
Angesichts des neunjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers und der starken familiären Bindungen im Bundesgebiet sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen beachtlichen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dennoch sei die Zulässigkeit dieser Maßnahme im Grund des § 66 FPG zu bejahen. Im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit) dringend geboten. Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers verdeutliche seine Gefährlichkeit für die Gesundheit im Bundesgebiet aufhältiger Menschen. Hinzu trete, dass Suchtgiftdelikten eine große Wiederholungsgefahr immanent sei.
Eine positive Verhaltensprognose sei für den Beschwerdeführer im Hinblick auf die Gewerbsmäßigkeit und den erheblichen Unrechtsgehalt der Taten, die große Menge des verhandelten Suchtgifts und den tätlichen Angriff auf ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes keinesfalls möglich, zumal erst ganz kurze Zeit seit der Verurteilung verstrichen sei.
Im Rahmen der gemäß § 66 Abs. 2 FPG durchgeführten Interessenabwägung vertrat die belangte Behörde die Ansicht, dass die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt werde. Die privaten Interessen des Beschwerdeführers hätten gegenüber den hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen in den Hintergrund zu treten.
Eine Ermessensübung (im Sinne einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes) sei im Hinblick auf § 55 Abs. 3 Z. 1 und § 56 Abs. 2 Z. 1 FPG von vornherein nicht in Betracht gekommen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , B 1927/07, an den Verwaltungsgerichtshof abgetretene und ergänzte Beschwerde mit dem Begehren, den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Der Beschwerdeführer behauptet die Unzuständigkeit der belangten Behörde zur Erlassung des angefochtenen Bescheides. Am sei ihm eine unbefristete Niederlassungsbewilligung erteilt worden, weil er mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet gewesen sei. Es komme ihm die Rechtsstellung eines "langfristig aufhältigen Drittstaatsangehörigen" im Sinn der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom betreffend die Rechtstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen zu. Eine gemeinschaftsrechtskonforme Interpretation erfordere, die ihm erteilte Niederlassungsbewilligung nach dem Inkrafttreten des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG entweder als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" oder als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - Familienangehöriger", jedoch mit denselben Rechten wie ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG", zu betrachten. Auf Grund gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen - die Beschwerde verweist auf Art. 12 Abs. 4 der genannten Richtlinie - seien auch langfristig aufhältige Drittstaatsangehörige im Sinne der Richtlinie von der Regelung des § 9 Abs. 1 Z. 1 FPG erfasst.
1.2. Dieses Vorbringen zeigt keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Die dem Beschwerdeführer zuletzt erteilte, für den Zeitraum vom bis gültige (unbefristete) Niederlassungsbewilligung "Familiengemeinschaft mit Österreicher" gilt gemäß § 81 Abs. 2 NAG iVm § 11 Abs. 3 Z. 2 lit. a der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung - NAG-DV als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - Familienangehöriger" weiter.
Die Richtlinie 2003/109/EG - soweit hier relevant - wurde durch § 56 FPG im innerstaatlichen Recht umgesetzt. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Judikatur in Fällen einer - durch § 56 Abs. 1 FPG bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ermöglichten - Aufenthaltsbeendigung sowohl bei Fremden, die über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" verfügen, als auch bei Fremden, die einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - Familienangehöriger" innehaben, keine Bedenken hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit der Sicherheitsdirektion als Berufungsbehörde erkannt (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/21/0603, und vom , Zl. 2007/18/0868). Es besteht im vorliegenden Fall keine Veranlassung, sich dem entgegenstehend zu äußern. Ferner ist allein aus der langjährigen Dauer des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers keine Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates abzuleiten (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0299, mwN).
Da schließlich auch keine Hinweise dafür vorliegen, dass die nunmehrige österreichische Ehefrau des Beschwerdeführers, die dieser vor Erlassung des angefochtenen Bescheides geheiratet hat, von ihrem im Gemeinschaftsrecht (Unionsrecht) begründeten Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätte und dem Beschwerdeführer deshalb die Rechtsstellung eines begünstigten Drittstaatsangehörigen zukäme, hat die belangte Behörde gemäß § 9 Abs. 1 Z. 2 FPG zu Recht ihre Zuständigkeit zur Erlassung des angefochtenen Bescheides in Anspruch genommen.
2. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die Feststellungen des angefochtenen Bescheides, wonach er auf Grund der unter I.1. beschriebenen Straftaten mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 und Abs. 3 SMG, des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt und des Vergehens der schweren Körperverletzung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 24 Monaten rechtskräftig verurteilt wurde.
Dem Beschwerdeführer ist daher insbesondere als gravierendes Fehlverhalten vorzuwerfen, Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs. 6 SMG) gewerbsmäßig in Verkehr gesetzt zu haben. An der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität besteht ein überaus bedeutendes öffentliches Interesse. Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers lag bei Erlassung des angefochtenen Bescheides erst einen kurzen Zeitraum zurück, den er überdies in Haft verbracht hat, sodass nicht auf einen Wegfall oder eine entscheidungswesentliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr geschlossen werden kann. Die Auffassung der belangten Behörde, dass die in § 87 iVm § 86 Abs. 1 (erster bis vierter Satz) FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, begegnet somit auch dann keinen Bedenken, wenn man im Sinne des Beschwerdevorbringens berücksichtigt, dass der Großteil der vom Strafgericht verhängten Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen und von der belangten Behörde nicht festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer selbst suchtmittelabhängig ist.
3.1. Im Zusammenhang mit der gemäß § 66 FPG durchgeführten Interessenabwägung verweist der Beschwerdeführer auf seinen seit 1998 überwiegend rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet und auf die ihm erteilte unbefristete Aufenthaltsberechtigung. Er sei mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und Vater eines Kindes, das ebenfalls die österreichische Staatsbürgerschaft besitze. Der Staat müsse die Entscheidung von Zuwanderern hinsichtlich der Wahl des Aufenthaltsstaates anerkennen und in seinem Staatsgebiet die Familienzusammenführung gewähren. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) habe die Wichtigkeit des Kontaktes eines minderjährigen Kindes zu seinem Vater betont. Diesem Kontakt komme im Kleinkindalter eine besondere Bedeutung zu, das Kind des Beschwerdeführers sei 18 Monate alt.
3.2. Dazu ist zunächst auf die Judikatur des EGMR zu verweisen (vgl. dazu etwa das Urteil vom , Nr. 50.435/99, Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande, sowie die Entscheidung vom , Nr. 61.292/00, Useinov gegen die Niederlande), wonach Art. 8 EMRK keine generelle Pflicht für die Vertragsstaaten enthalte, die Wohnortwahl von Immigranten zu respektieren und auf ihrem Staatsgebiet Familienzusammenführungen zuzulassen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0593, mwN, betreffend eine Ausweisung gemäß § 53 FPG).
Darüber hinaus stehen nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei Verbrechen gegen das SMG in der Regel weder ein langjähriger Aufenthalt in Österreich noch eine vollkommene soziale Integration im Inland einem Aufenthaltsverbot entgegen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0335, mwN).
Die belangte Behörde hat bei ihrer Beurteilung sowohl die Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers als auch dessen starke familiäre Bindungen im Bundesgebiet berücksichtigt und zutreffend darauf verwiesen, dass die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt worden sei. Die Bindungen zu seiner späteren Ehefrau und dem im Juli 2006 geborenen gemeinsamen Kind haben den Beschwerdeführer nicht von der Begehung seiner gravierenden Straftaten abgehalten.
Angesichts seiner Delinquenz und der daraus abzuleitenden Gefährdung (insbesondere) des großen öffentlichen Interesses an der Unterbindung der Suchtgiftkriminalität muss das Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet zurücktreten. Eine allfällige aus dem Aufenthaltsverbot resultierende Trennung von seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind hat der Beschwerdeführer somit im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen.
Im Hinblick darauf begegnet das Ergebnis der Interessenabwägung der belangten Behörde keinen Bedenken.
4. Auf dem Boden des Gesagten liegt auch die behauptete, in einem Begründungsmangel der belangten Behörde liegende Verletzung von Verfahrensvorschriften nicht vor.
5. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
IAAAE-71327