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VwGH vom 22.07.2013, 2012/08/0140

VwGH vom 22.07.2013, 2012/08/0140

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde des B R in Wien, vertreten durch Mag. Christian Lackner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rudolfsplatz 4, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl 2012-0566-9-000200, betreffend Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde ein Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld vom mangels Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt gemäß § 7 AlVG abgewiesen.

Nach Darlegung des Verwaltungsgeschehens führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe erstmals am einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt. Davor sei er vom bis in einem Dienstverhältnis beim Wiener Roten Kreuz gestanden.

Der Beschwerdeführer sei tunesischer Staatsbürger, seit sei er mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, die derzeit in Deutschland lebe. Der Beschwerdeführer habe über einen Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" verfügt, der vom bis gültig gewesen sei. Unstrittig sei, dass der Beschwerdeführer erst am einen Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels gestellt habe.

Seit müssten Verlängerungsanträge für Aufenthaltstitel vor Ablauf des Aufenthaltstitels gestellt werden. Das Amt der Wiener Landesregierung/MA 35 habe dazu am mitgeteilt, dass der verspätete Antrag des Beschwerdeführers vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit Bescheid vom abgewiesen worden sei. Diese Angaben seien vom Beschwerdeführer nicht bestritten worden. Der Beschwerdeführer habe mitgeteilt, dass er gegen diesen Bescheid Berufung erhoben habe.

Die Entscheidung der Aufenthaltsbehörde über das Vorliegen eines Aufenthaltstitels sei konstitutiv und könne nicht durch eine Entscheidung des Arbeitsmarktservice in dieser Sache vorweggenommen werden. Unzweifelhaft habe der Beschwerdeführer den Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels verspätet gestellt, dazu liege eine Entscheidung der zuständigen Behörde vor. Eine rechtzeitig gegen diese Entscheidung eingebrachte Berufung vermöge aktuell nichts daran zu ändern, dass der Beschwerdeführer aufgrund des verspäteten Antrags seit über keinen Aufenthaltstitel in Österreich verfüge.

Da sein neuerlicher Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als Erstantrag zu beurteilen sei, könne der Beschwerdeführer entgegen seiner Ausführungen nicht die Rechtswirkungen eines rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrags für sich in Anspruch nehmen. Nur nach Stellung eines Verlängerungsantrags sei der Antragsteller gemäß § 24 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Dies treffe in seinem Fall jedoch nicht zu.

Der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 2 lit m AuslBG für Ehegatten von Österreichern sei erst bei Vorliegen eines Aufenthaltstitels gegeben. Der Beschwerdeführer besitze derzeit keinen Aufenthaltstitel und erfülle somit nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 lit m AuslBG. Auch für die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung müsse er gemäß § 4 Abs 1 Z 1 AuslBG über einen Aufenthaltstitel nach dem NAG bzw dem Fremdenpolizeigesetz verfügen.

Das Vorliegen einer entsprechenden Aufenthaltsberechtigung sei eine zwingende Voraussetzung für die Verfügbarkeit im Sinne des § 7 Abs 1 iVm § 7 Abs 3 Z 2 AlVG. Die gesetzlichen Bestimmungen des AlVG sähen eine eindeutige Verknüpfung zwischen der Berechtigung zum Aufenthalt mit dem Zweck der Aufnahme und Ausübung einer unselbständigen Beschäftigung und der Leistungsverpflichtung nach dem AlVG vor. Für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld müssten alle Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 7 erfüllt sein. Da der Beschwerdeführer seit keinen Aufenthaltstitel mehr besitze, erfülle er nicht die Voraussetzungen für die Verfügbarkeit gemäß § 7 Abs 3 Z 2 AlVG.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer (unter anderem) der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht.

Gemäß § 7 Abs 2 AlVG steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer (unter anderem) eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs 3).

Gemäß § 7 Abs 3 Z 2 AlVG kann und darf eine Person eine Beschäftigung aufnehmen, die sich berechtigt im Bundesgebiet aufhält, um eine unselbständige Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben.

Voraussetzung für die Verfügbarkeit iSd § 7 Abs 1 Z 1 iVm § 7 Abs 3 Z 2 AlVG ist das Vorliegen der aufenthaltsrechtlichen Berechtigung, eine unselbständige Beschäftigung im Bundesgebiet aufnehmen zu dürfen. Es kommt dabei nicht auf die subjektive Absicht des Betroffenen an, im Inland eine Beschäftigung aufnehmen zu wollen, sondern darauf, dass seine Berechtigung zum Aufenthalt die Möglichkeit einer Beschäftigungsaufnahme in rechtlicher Hinsicht abdeckt (vgl das hg Erkenntnis vom , Zl 2008/08/0211, mwN).

§ 24 NAG idF BGBl I Nr 122/2009 lautet (auszugsweise):

"Verlängerungsverfahren

§ 24. (1) Verlängerungsanträge (§ 2 Abs. 1 Z 11) sind vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, frühestens jedoch drei Monate vor diesem Zeitpunkt, bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen; § 23 gilt. Danach gelten Anträge als Erstanträge. Nach Stellung eines Verlängerungsantrages ist der Antragsteller, unbeschadet fremdenpolizeilicher Bestimmungen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Über die rechtzeitige Antragstellung kann dem Fremden auf begründeten Antrag eine einmalige Bestätigung im Reisedokument angebracht werden, die keine längere Gültigkeitsdauer als drei Monate aufweisen darf. Diese Bestätigung berechtigt zur sichtvermerksfreien Einreise in das Bundesgebiet. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, Form und Inhalt der Bestätigung durch Verordnung zu regeln.

(2) Anträge, die nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels gestellt werden, gelten nur dann als Verlängerungsanträge, wenn

1. der Antragsteller gleichzeitig mit dem Antrag glaubhaft macht, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert war, rechtzeitig den Verlängerungsantrag zu stellen, und ihn kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, und

2. der Antrag binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses gestellt wird; § 71 Abs. 5 AVG gilt.

Der Zeitraum zwischen Ablauf der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels und der Stellung des Antrages, der die Voraussetzungen der Z 1 und 2 erfüllt, gilt nach Maßgabe des bisher innegehabten Aufenthaltstitels als rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt.

(…)"

2. Im Beschwerdefall ging die belangte Behörde hinsichtlich der Berechtigung des Beschwerdeführers zum Aufenthalt im Inland davon aus, dass der vom Beschwerdeführer am gestellte Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels verspätet und daher gemäß § 24 NAG als Erstantrag zu beurteilen sei. Der verspätete Antrag des Beschwerdeführers sei von der zuständigen Behörde abgewiesen worden. Eine rechtzeitig gegen die Entscheidung eingebrachte Berufung vermöge nichts daran zu ändern, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines verspäteten Antrags seit über keinen Aufenthaltstitel in Österreich verfüge.

3. Der Beschwerdeführer bringt vor, über die Rechtsfrage, ob sein Antrag vom ein Verlängerungsantrag sei, sei "bis dato" nicht rechtskräftig abgesprochen werden, sodass kein Rechtsakt vorliege, nach welchem eine Bindungswirkung für die Behörde erster Instanz und die belangte Behörde bestehen würde. Demnach wäre es an der belangten Behörde gelegen, ihrer Entscheidung ihre über die maßgebenden Verhältnisse gewonnene eigene Anschauung zu Grunde zu legen. Die belangte Behörde hätte somit Feststellungen über den Verlauf und den Stand des Verfahrens des Beschwerdeführers zur Verlängerung seines Aufenthaltstitels treffen und rechtlich beurteilen müssen, ob dem Beschwerdeführer das genannte Aufenthaltsrecht zukomme.

4. Zunächst ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer zwar - worauf die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid hinweist - unstrittig erst am einen Antrag auf Verlängerung des bereits mit abgelaufenen Aufenthaltstitels gestellt hat. Über die Frage, ob dieser Antrag jedoch nach § 24 Abs 2 NAG als Verlängerungsantrag zu beurteilen wäre (was zur Folge hätte, dass der Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs 1 NAG bis zur rechtskräftigen Entscheidung weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig wäre), lag aber zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides erst eine erstinstanzliche, vom Beschwerdeführer mit Berufung bekämpfte und damit nicht rechtskräftige Entscheidung der zuständigen Behörde vor.

Der Begründung des angefochtenen Bescheids lässt sich nicht eindeutig entnehmen, ob die belangte Behörde von einer Bindung an den erstinstanzlichen - nicht rechtskräftigen - Bescheid über die Verlängerung des Aufenthaltstitels ausgegangen ist (in diese Richtung deutet die Formulierung, wonach die Entscheidung der Aufenthaltsbehörde "konstitutiv" sei) oder das Vorliegen eines Erst- oder Verlängerungsantrags und davon ausgehend den rechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gemäß § 38 AVG selbst als Vorfrage beurteilt hat (in diese Richtung könnte die Formulierung zu verstehen sein, dass der "neuerliche Antrag … als Erstantrag zu beurteilen ist").

Welche dieser beiden Varianten die belangte Behörde ihrer Entscheidung tatsächlich zugrunde gelegt hat, kann im Beschwerdefall jedoch dahingestellt bleiben, da sich die Entscheidung in beiden Fällen als rechtswidrig erweist:

Eine Bindung an die von der belangten Behörde zitierte erstinstanzliche Entscheidung über den Aufenthaltstitel des Beschwerdeführers kommt nämlich schon deshalb nicht in Betracht, da nach den Feststellungen gegen diesen erstinstanzlichen Bescheid Berufung erhoben wurde und zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheids noch keine rechtskräftige Erledigung dieses Berufungsverfahrens vorlag. Eine Bindungswirkung kommt im Allgemeinen jedoch nur rechtskräftigen Bescheiden zu (vgl das hg Erkenntnis vom , Zl 2008/08/0210).

Geht man hingegen davon aus, dass die belangte Behörde das Vorliegen eines Erst- oder Verlängerungsantrags selbst beurteilt hat, erweist sich diese Beurteilung als unzureichend. Die belangte Behörde hat sich im angefochtenen Bescheid nämlich mit dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 24 Abs 2 NAG - zu denen der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren umfangreiches Vorbringen erstattet hat - nicht auseinandergesetzt, sondern hat pauschal angenommen, dass ein nach Ablauf des Aufenthaltstitels gestellter Verlängerungsantrag als Erstantrag zu werten sei.

5. Die Begründung des angefochtenen Bescheids vermag daher die Annahme, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels vom als Erst- und nicht als Verlängerungsantrag zu werten sei, nicht zu tragen. Bei Vorliegen eines Verlängerungsantrages würde sich der Beschwerdeführer jedoch gemäß § 24 Abs 1 NAG bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; die Verfügbarkeit im Sinne des § 7 Abs 3 Z 2 AlVG wäre dann - in Verbindung mit § 1 Abs 2 lit m AuslBG (vgl dazu das hg Erkenntnis vom , Zl 2007/08/0028) - gegeben.

6. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl II Nr 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
IAAAE-71285