VwGH vom 24.02.2012, 2010/02/0226
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Beck und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde des AH in O, vertreten durch Dr. Hermann Aflenzer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Lessingstraße 40, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-164955/2/Sch/Th, betreffend Übertretungen des FSG und des KFG 1967, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er habe am um 16.35 Uhr an einem näher genannten Ort ein dem Kennzeichen nach näher bestimmtes Kraftfahrzeug 1. auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr gelenkt, obwohl er nicht im Besitz einer von der Behörde erteilten gültigen Lenkberechtigung für Motorräder gewesen sei, und 2. als Lenker das angeführte Kraftrad verwendet, obwohl mit dem als Motorfahrrad zugelassenen Fahrzeug eine Geschwindigkeit von 76 km/h habe erreicht werden können. Die entsprechende Messtoleranz sei bereits abgezogen worden. Die Geschwindigkeit sei mittels Rolltester festgestellt worden. Gegenständliches Fahrzeug gelte daher nicht mehr als Motorfahrrad, sondern als Kleinmotorrad und sei daher nicht richtig zum Verkehr zugelassen.
Er habe dadurch 1. § 37 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 3 und § 2 Abs. 1 Z. 1 FSG und 2. § 102 Abs. 1 i.V.m. § 36 lit. a KFG 1967 verletzt, weshalb über ihn zu 1. eine Geldstrafe in Höhe von EUR 182.-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 120 Stunden) und zu 2. eine Geldstrafe von EUR 70.-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 36 Stunden) verhängt wurde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschiften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der Beschwerde wird u.a. gerügt, die belangte Behörde habe zu Unrecht vermeint, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht erforderlich sei. Der Beschwerdeführer habe bereits in der Berufung den Antrag gestellt, die physikalischen Einflüsse, welche bei einer Fahrtbewegung eine beträchtliche Reduzierung der am Rollprüfstand gemessenen Geschwindigkeit bewirkten, zu berücksichtigen. Er habe damit als juristischer Laie faktisch die Einholung eines ergänzenden technischen Gutachtens beabsichtigt. Die belangte Behörde habe jedoch ohne nähere Begründung diesen Beweisantrag einfach fallen gelassen und de facto die unschlüssigen Ausführungen der Erstbehörde übernommen. Angesichts des Beweisantrages in der Berufung hätte die belangte Behörde weitere Erhebungen (z.B. Einholung eines technischen Gutachtens) pflegen müssen.
Bereits mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer das Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels auf.
§ 51e VStG lautet auszugsweise:
"(1) Der unabhängige Verwaltungssenat hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
…..
(3) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von einer Berufungsverhandlung absehen, wenn
1. in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird oder
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2. | sich die Berufung nur gegen die Höhe der Strafe richtet oder |
3. | im angefochtenen Bescheid eine 500 EUR nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde oder |
4. | sich die Berufung gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid richtet |
und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der Berufungswerber hat die Durchführung einer Verhandlung in der Berufung zu beantragen. Etwaigen Berufungsgegnern ist Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. | |
….. |
(5) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
….."
Es kann dahin gestellt bleiben, ob die vom Beschwerdeführer formulierte Berufung, die lediglich einen Antrag auf Berücksichtigung der physikalischen Einflüsse, welche nach Ansicht des Beschwerdeführers bei einer Fahrbewegung eine beträchtliche Reduzierung der am Rollenprüfstand gemessenen Geschwindigkeit bewirke, enthielt, tatsächlich als Antrag auf Einholung eines ergänzenden kfz-technischen Gutachtens zu werten ist.
Es ist im vorliegenden Beschwerdefall zwar die Voraussetzung einer jeweils EUR 500.-- nicht übersteigenden Geldstrafe nach § 51e Abs. 3 Z. 3 VStG erfüllt, jedoch ist das - kumulativ zu erfüllende - Tatbestandsmerkmal gemäß § 51e Abs. 3 VStG, dass "keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat" (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/02/0242), nicht erfüllt. Die Unterlassung eines Antrages auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird vom Gesetzgeber zwar als (schlüssiger) Verzicht auf eine solche gewertet, vom Vorliegen eines schlüssigen Verzichts kann aber insbesondere dann nicht ausgegangen werden, wenn eine unvertretene Partei weder über die Möglichkeit einer Antragstellung belehrt wurde, noch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von dieser Möglichkeit hätte wissen müssen (vgl. das vorzitierte hg. Erkenntnis vom m.w.N.).
Nach der Aktenlage wurde der Beschwerdeführer nicht (weder mit der Rechtsmittelbelehrung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses, noch durch die belangte Behörde) über die Möglichkeit einer derartigen Antragstellung belehrt. Dafür, dass er sonst von dieser Möglichkeit hätte wissen müssen, ergeben sich keine Anhaltspunkte.
Die belangte Behörde hat daher zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen näher einzugehen war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Der Antrag auf Erstattung der Eingabegebühr war abzuweisen, weil der Beschwerdeführer mit hg. Beschluss vom , Zl. VH 2010/02/0035, von der Entrichtung der Eingabegebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG befreit wurde.
Wien, am
Fundstelle(n):
HAAAE-71255