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VwGH vom 22.02.2005, 2004/21/0242

VwGH vom 22.02.2005, 2004/21/0242

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des M, geboren am , vertreten durch Mag. Wolfgang Auner, Rechtsanwalt in 8700 Leoben, Parkstraße 1/I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom , Zl. FR 744/98, betreffend ein befristetes Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Pakistan, gemäß § 36 Abs. 1 Z 1 und 2 iVm den §§ 37 bis 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Nach den Feststellungen der belangten Behörde sei der Beschwerdeführer am unter Zuhilfenahme eines Schleppers in das Bundesgebiet eingereist und habe (unter dem genannten Zweitnamen) um Asyl ersucht. Beim Bundesasylamt habe er angegeben, verheiratet zu sein. Am habe der Beschwerdeführer unter seinem Zweitnamen mit der österreichischen Staatsangehörigen D.K. die Ehe geschlossen, in der Folge sei ihm deshalb eine Niederlassungsbewilligung erteilt worden.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Leoben vom sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der mehrfachen Ehe nach § 192 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden, die das Strafgericht unter Bestimmung einer Probezeit bedingt nachgesehen habe. Unter Bezugnahme auf die Begründung dieses Urteils stellte die belangte Behörde fest, dass die Verantwortung des Beschwerdeführers im Strafprozess, er habe seinen Namen in Pakistan offiziell auf den genannten Zweitnamen geändert und er sei von seiner in Pakistan lebenden (ersten) Ehefrau geschieden worden, nicht den Tatsachen entspreche. Die vom Beschwerdeführer am in Österreich geschlossene (zweite) Ehe sei vom Bezirksgericht Bruck an der Mur gemäß § 24 Ehegesetz für nichtig erklärt worden.

In ihrer rechtlichen Beurteilung ging die belangte Behörde davon aus, der Beschwerdeführer habe zwar im Hinblick auf das Ausmaß der bedingten Freiheitsstrafe keinen der in § 36 Abs. 2 FrG genannten Tatbestände verwirklicht. Ein Aufenthaltsverbot könne aber auch ausschließlich auf § 36 Abs. 1 FrG gestützt werden, wenn triftige Gründe dafür vorlägen. Solche Gründen seien beim Beschwerdeführer auf Grund des geschilderten Fehlverhaltens gegeben. Zur genannten Doppelehe komme hinzu, dass sich der Beschwerdeführer bei seiner Reisebewegung vom Heimatland nach Österreich eines Schleppers bedient habe, was die Notwendigkeit der Erlassung eines gegen ihn gerichteten Aufenthaltsverbotes verstärke. "Das Vergehen - Verbrechen - der Schlepperei", so die belangte Behörde unter Bezugnahme auf § 104 FrG weiter, gehöre zu den schwer wiegendsten strafbaren Tatbeständen, da diese Art der "organisierten Kriminalität" bereits Formen angenommen habe, die ein rigoroses Vorgehen mit allen zu Gebote stehenden gesetzlichen Mitteln erfordere. Auch habe die mit der Schlepperei einhergehende Begleitkriminalität bereits lebens- und gesundheitsgefährdende Maße angenommen, sodass ein Gegensteuern aus sicherheitspolitischer Sicht unerlässlich sei. Im Lichte der geschilderten Tatsachen sei es im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens unumgänglich, dass auch gegen jene Personen vorgegangen werde, die bei ihrer Einreise die Dienste von Schlepperorganisationen bloß in Anspruch nähmen, da diese Personen gerade die Basis für das kriminelle Handeln von Schlepperorganisationen bildeten. Auf Grund der Art und Weise der vom Beschwerdeführer begangenen "Straftaten" sei zu schließen, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde bzw. anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwider laufe. Da beim Beschwerdeführer keine "soziale bzw. private Integration" anzunehmen sei, und seine Ehe lediglich dazu gedient habe, in Österreich arbeiten zu können, stehe § 37 FrG dem gegenständlichen Aufenthaltsverbot nicht entgegen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:

In der Beschwerde bleibt unbestritten, dass der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der mehrfachen Ehe nach § 192 StGB strafgerichtlich verurteilt wurde. Der Beschwerdeführer wendet sich vielmehr gegen die Gefährlichkeitsprognose der belangten Behörde und führt an, er habe sich seit der Einreise in das Bundesgebiet, abgesehen vom genannten Vergehen, keines weiteren strafbaren Verhaltens schuldig gemacht.

Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß der von der belangten Behörde herangezogenen Bestimmung des § 36 Abs. 1 FrG ist die auf bestimmte Tatsachen gegründete Prognose, dass der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit erheblich gefährdet (Z 1) oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwider läuft (Z 2). Daraus folgt, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nur dann in Betracht kommt, wenn ein solches erforderlich ist, um die festgestellte vom Fremden ausgehende Gefahr im Bundesgebiet abzuwenden. In § 36 Abs. 2 FrG sind (demonstrativ) Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 gelten und bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann.

Auch die belangte Behörde ist davon ausgegangen, dass angesichts der über den Beschwerdeführer verhängten Strafe der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 1 FrG nicht verwirklicht sei. Sie vertrat aber in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zunächst zutreffend die Auffassung, dass ein Aufenthaltsverbot rechtens auch direkt auf § 36 Abs. 1 FrG gestützt werden könne, wenn zwar keiner der Tatbestände des § 36 Abs. 2 FrG erfüllt sei, wohl aber triftige Gründe vorlägen, die in ihrer Gesamtheit die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme rechtfertigten. Die in Abs. 2 genannten Sachverhalte sind dabei als Maßstab für die Schwere jener Tatsachen heranzuziehen, die bei der Verhängung eines bloß auf § 36 Abs. 1 FrG gegründeten Aufenthaltsverbotes vorliegen müssen (vgl. zum Ganzen das Erkenntnis vom , Zl. 2000/21/0012, mwN).

Im angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die (von der Beschwerde bloß als Vermutung bezeichnete) Feststellung getroffen, die rechtswidrig geschlossene Ehe habe dem Beschwerdeführer lediglich dazu gedient, in Österreich arbeiten zu können. Im vorliegenden Fall kann aber dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer die Ehe eingegangen ist, um sich eine Beschäftigungsbewilligung zu verschaffen. Bei der Prognose im Sinn des § 36 Abs. 1 FrG ist nämlich nicht allein auf dieses Fehlverhalten Bedacht zu nehmen, sondern - unter der Voraussetzung seitherigen Wohlverhaltens (von dem gegenständlich auszugehen ist) - auch auf den seit seiner Verwirklichung verstrichenen Zeitraum. Je länger die Eheschließung zurückliegt, umso mehr Gewicht ist dem Wohlverhalten des Fremden seit diesem Zeitraum für die zu treffende Prognose zuzumessen. Da seit dem Zeitpunkt der Eheschließung - nur dieser und nicht der Zeitraum seit der letztmaligen Berufung auf diese Ehe zum Zweck der Erlangung einer Aufenthaltsberechtigung ist maßgeblich - mehr als fünf Jahre vergangen sind, durfte die belangte Behörde die rechtswidrige Eheschließung im Jahre 1998 nur bei einem weiteren fremdenrechtlich relevanten Fehlverhalten des Beschwerdeführers noch berücksichtigen (vgl. im Zusammenhang mit einer Scheinehe das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/21/0287, mwN). Dem von der belangten Behörde herangezogenen Umstand, dass sich der Beschwerdeführer bei seiner Einreise eines Schleppers bedient hat, kommt in diesem Zusammenhang keine entscheidende Bedeutung zu.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar ausgesprochen, dass die Inanspruchnahme eines Schleppers bei der Einreise eine zusätzliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung bewirken könnte (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2002/18/0202). Dennoch ist, anders als die belangte Behörde meint, mit dem "Sich-schleppen-Lassen" jedenfalls keine derart gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit verbunden, wie sie durch die Schlepperei im Sinn des von der belangten Behörde angesprochenen § 104 Abs. 1 FrG bewirkt wird. Durch die bloße Inanspruchnahme eines Schleppers bei der Einreise hat sich der Beschwerdeführer gemäß § 104 Abs. 6 FrG nämlich nicht strafbar gemacht. Der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer im Jahr 1996 eines Schleppers bediente, um nach Österreich zu gelangen - ein Verhalten, seit dem bei Erlassung des angefochtenen Bescheides im Übrigen fast acht Jahre vergangen waren und für dessen Wiederholungsgefahr keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich sind (vgl. auch dazu das zitierte Erkenntnis Zl. 2002/18/0202) - bildet daher gegenständlich weder für sich allein noch im Zusammenhang mit dem festgestellten strafrechtlichen Verhalten eine ausreichende Grundlage für eine Gefährlichkeitsprognose im Sinn des § 36 Abs. 1 FrG.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am