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VwGH vom 17.11.2005, 2004/21/0149

VwGH vom 17.11.2005, 2004/21/0149

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Harald Kirchlechner, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Lange Gasse 48, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom , Zl. III-707371/FrB/04, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der ehemaligen Republik Jugoslawien, gemäß § 61 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, die Schubhaft "zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 36 FrG, zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 33 FrG und zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 56 FrG" angeordnet. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass die Rechtsfolgen dieses Bescheides nach der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Gerichtshaft eintreten. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer befinde sich in Untersuchungshaft, nachdem er am wegen § 28 Suchtmittelgesetz festgenommen worden sei. Er lebe nach seinen Angaben seit dem 2. Lebensjahr (1977) im Bundesgebiet, wo er die Schule besucht habe. Der Beschwerdeführer sei jedoch in den Jahren 1993 bis 1998 in Deutschland aufhältig gewesen. Behördliche Erhebungen hätten ergeben, dass er über keinen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet verfügt habe. Auch sei der Beschwerdeführer in Österreich weder gemeldet noch versichert und habe hier auch keine Familienangehörigen. Mangels persönlicher Bindungen im Bundesgebiet ginge eine Abwägung der maßgeblichen öffentlichen Interessen gegen die Privatinteressen des Beschwerdeführers zu seinen Lasten. Die Anwendung gelinderer Mittel als der Schubhaft komme nicht in Betracht, weil auf Grund des bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers die Annahme gerechtfertigt sei, dass er sich dem weiteren fremdenpolizeilichen Verfahren entziehen werde und der Zweck der Schubhaft nicht erreicht werden könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde und Erstattung einer Gegenschrift erwogen hat:

Im vorliegenden Fall wurde die Schubhaft gegen den Beschwerdeführer angeordnet, um u.a. das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung bzw. eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer zu sichern. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dabei nicht die Gewissheit, dass ein Aufenthaltsverbot (bzw. eine Ausweisung) verhängt werde, Voraussetzung, sondern es reicht hiefür bereits die berechtigte Annahme der Möglichkeit der Verhängung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (vgl. für viele das Erkenntnis vom , Zl. 2004/21/0145, mwN).

Die Zulässigkeit dieser Annahme wird vom Beschwerdeführer in der Beschwerde bestritten. Er bringt dazu vor, es sei zwar zutreffend, dass er wegen des Verdachtes nach § 28 Suchtmittelgesetz festgenommen und in Untersuchungshaft überstellt worden sei und er habe sich im Strafverfahren auch geständig verantwortet. (Nach der Aktenlage stand der Beschwerdeführer im Verdacht, im Zeitraum April 2002 bis Oktober 2003 eine große Menge Suchtmittel, nämlich 70 bis 100 kg Marihuana, in Verkehr gesetzt zu haben.) Die über ihn verhängte Schubhaft sei aber nicht zulässig, weil die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes bzw. einer Ausweisung, deren Sicherung die Schubhaft nach dem angefochtenen Bescheid diene, u.a. gemäß § 38 Abs. 1 Z 4 und § 35 Abs. 4 FrG unzulässig seien. Der Beschwerdeführer halte sich seit seinem 2. Lebensjahr in Österreich auf, wo er bei seiner Großmutter gelebt und die Volks- und Hauptschule sowie anschließend den Polytechnischen Lehrgang besucht habe. Sein Heimatland habe er nie besucht, weil er dort weder Verwandte noch Bekannte und mangels ausreichender Kenntnisse der serbokroatischen Sprache keine Zukunftsperspektive habe. Der Erlassung einer Ausweisung und eines Aufenthaltsverbotes stehe daher entgegen, dass der Beschwerdeführer nicht nur von klein auf in Österreich aufgewachsen, sondern hier auch langjährig rechtmäßig niedergelassen gewesen sei, wozu er anmerkt, dass sein "letzter Aufenthaltstitel" im Jahr 1994 ausgelaufen sei.

Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

§ 38 Abs. 2 leg. cit. normiert, dass Fremde jedenfalls langjährig im Bundesgebiet niedergelassen sind, wenn sie die Hälfte ihres Lebens im Bundesgebiet verbracht haben und zuletzt seit mindestens drei Jahren hier niedergelassen sind. Unter denselben Voraussetzungen dürfen Fremde gemäß § 35 Abs. 4 FrG nicht ausgewiesen werden.

Im Hinblick darauf, dass sich der Beschwerdeführer bereits seit seinem 2. Lebensjahr in Österreich aufhält und hier auch die gesamte Pflichtschulzeit verbracht hat, hat er zunächst zweifellos das erste Tatbestandsmerkmal ("von klein auf im Inland aufgewachsen") des § 38 Abs. 1 Z. 4 und des § 35 Abs. 4 FrG erfüllt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2002/18/0171, 0172, mwN).

Die Unzulässigkeit einer Ausweisung bzw. eines Aufenthaltsverbotes setzt nach den genannten Bestimmungen aber als weiteres Tatbestandsmerkmal voraus, dass der Fremde "hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist". Als langjährig im Bundesgebiet niedergelassen gelten Fremde gemäß § 38 Abs. 2 FrG (bzw. § 35 Abs. 4 zweiter Satz leg. cit.) "jedenfalls", wenn sie die Hälfte ihres Lebens im Bundesgebiet verbracht haben und zuletzt seit mindestens drei Jahren hier niedergelassen sind. Nach der hg. Judikatur (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis vom und die dort angeführte Rechtsprechung) ist ein Fremder dann im Sinn von § 38 Abs. 2 FrG "zuletzt" drei Jahre im Bundesgebiet niedergelassen, wenn er die letzten drei Jahre vor Verwirklichung des für die Verhängung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Sachverhalts in Österreich niedergelassen war.

Im vorliegenden Fall steht außer Frage, dass der Beschwerdeführer mehr als die Hälfte seines Lebens im Bundesgebiet verbracht hat. Was die weitere Voraussetzung des § 38 Abs. 2 FrG (bzw. § 35 Abs. 4 zweiter Satz leg. cit.) betrifft, so ist - geht man vom obgenannten Tatverdacht und dem sich daraus ergebenden Beginn der Straftaten des Beschwerdeführers im April 2002 aus - entscheidend, ob der Beschwerdeführer in den drei Jahren davor (somit im Zeitraum April 1999 bis April 2002) im Bundesgebiet rechtmäßig niedergelassen war (vgl. auch dazu das zitierte Erkenntnis Zlen. 2002/18/0171, 0172). Dies ist im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer seit 1994 unstrittig nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels war, zu verneinen.

Am Nichtvorliegen des zu prüfenden Tatbestandes ändert auch die Wendung "jedenfalls" in § 38 Abs. 2 FrG (bzw. § 35 Abs. 4 zweiter Satz leg. cit.) nichts. Daraus ergibt sich zwar, dass ein Fremder auch dann als langjährig rechtmäßig niedergelassen gelten kann, wenn er eine der genannten Voraussetzungen nicht ganz erfüllt. Dies wird, wie der Verwaltungsgerichtshof im bereits wiederholt zitierten Erkenntnis Zlen. 2002/18/0171, 0172 ausgesprochen hat, etwa dann der Fall sein, wenn der Fremde in den letzten drei Jahren vor Verwirklichung des für das Aufenthaltsverbot maßgeblichen Sachverhaltes über einen kurzen Zeitraum nicht rechtmäßig niedergelassen war, er aber insgesamt deutlich mehr als die Hälfte seines Lebens in Österreich verbracht hat. Im vorliegenden Fall war der Beschwerdeführer mangels Aufenthaltstitels schon seit 1998, als er aus Deutschland nach Österreich zurückkehrte, nicht mehr rechtmäßig in Österreich niedergelassen, sodass nicht gesagt werden kann, der Beschwerdeführer sei in den letzten drei Jahren vor Verwirklichung der ersten Straftat im Sinn der genannten Rechtsprechung bloß "über einen kurzen Zeitraum nicht rechtmäßig" niedergelassen gewesen.

Zusammengefasst ergibt sich daher, dass trotz des insgesamt langen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und § 35 Abs. 4 FrG der Erlassung einer Ausweisung gegen den Beschwerdeführer nicht entgegen stehen.

Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, dass die genannten aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen ihn auch im Grunde des § 37 FrG nicht zulässig seien, weil damit insoweit in sein Privatleben eingegriffen würde, als sich sein gesamter Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich befinde. Dem ist zu entgegnen, dass dem Beschwerdeführer im Rahmen der Beurteilung nach § 37 FrG zwar der langjährige, mit seinem 2. Lebensjahr begonnene Aufenthalt in Österreich zu Gute zu halten ist, gleichzeitig fällt aber die gravierende - vom Beschwerdeführer zugestandene - Suchtgiftdelinquenz zu seinen Lasten ins Gewicht (nach einem Aktenvermerk vom wurde er mit dem damals noch nicht rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom u.a. wegen § 28 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt; vgl. zur Schubhaft beim Tatverdacht nach § 28 SMG auch das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2004/21/0145). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2002/21/0163) steht wegen der in hohem Maße sozialschädlichen Suchtgiftdelikte selbst eine ansonsten volle Integration einem Aufenthaltsverbot nicht entgegen. Die belangte Behörde durfte daher davon ausgehen, dass auch bei Annahme eines hohen Integrationsgrades des Beschwerdeführers (dieser kann allerdings neben dem langen, seit 1998 nicht einmal rechtmäßigen, Aufenthalt auf keine integrationsverstärkenden Umstände wie etwa familiäre Beziehungen im Bundesgebiet verweisen) die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung möglich sein werde.

Unzutreffend ist schließlich die Beschwerdemeinung, die belangte Behörde habe nicht näher begründet, weshalb die Schubhaft zur Verfahrenssicherung unbedingt notwendig sei und die belangte Behörde hätte an Stelle der Schubhaft gelindere Mittel im Sinne des § 66 FrG anwenden müssen. Die belangte Behörde hat nämlich die Gefahr des Untertauchens des Beschwerdeführers und damit das Sicherungserfordernis zu Recht aus der genannten Suchtgiftdelinquenz des Beschwerdeführers sowie aus dem unbestrittenen Umstand, dass der Beschwerdeführer schon in der Vergangenheit Meldevorschriften nicht beachtet hat, abgeleitet. Die Gefahr, dass sich der Beschwerdeführer dem Verfahren entziehen werde, steht im Übrigen auch mit der Aktenlage im Einklang, nach der das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer zunächst gemäß § 412 StPO eingestellt und ein Haftbefehl gegen ihn erlassen werden musste.

Da dem angefochtenen Bescheid nach dem Gesagten die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am