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VwGH vom 22.03.2011, 2007/18/0823

VwGH vom 22.03.2011, 2007/18/0823

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des M E in W, geboren am , vertreten durch Dr. Gerfried Höfferer, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Franzensbrückenstraße 20/1. Stock, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/239.919/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 9 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer habe am in der Türkei die österreichische Staatsbürgerin U. geheiratet und anschließend einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft" gestellt, worauf ihm ein Aufenthaltstitel erteilt worden sei, der in weiterer Folge verlängert worden sei.

Einem Erhebungsbericht vom zufolge habe die Ehegattin des Beschwerdeführers angegeben, dass es sich bei dieser Ehe um keine Scheinehe und um eine aufrechte Lebensgemeinschaft handle.

Am sei die Ehegattin des Beschwerdeführers freiwillig zur erstinstanzlichen Behörde (Bundespolizeidirektion Wien) gekommen und habe angegeben, dass sie im Oktober oder November 2001 über Bekannte einen Türken (K.) kennengelernt hätte, der Scheinehen vermittelte. Sie wäre seit fast neun Jahren drogenabhängig, benötigte dafür sehr viel Geld und hätte deshalb zwecks Abschlusses einer Scheinehe Kontakt mit K. aufgenommen. Sie hätte bereits im Jahr 1991 eine Scheinehe geschlossen und dafür ca. ATS 70.000,-- bis ATS 80.000,-- bekommen. K. hätte ihr mitgeteilt, dass sie den Beschwerdeführer in der Türkei heiraten könnte, und ihr dafür ATS 70.000,-- angeboten. Sie hätte sofort zugesagt. Sie wäre in der Folge in die Türkei geflogen und hätte dort am den Beschwerdeführer geheiratet. Es wäre vereinbart worden, dass sie drei Jahre verheiratet bleiben sollte, und sie hätte insgesamt ca. ATS 70.000,--, nämlich einen Teil von K. und einen Teil vom Vater des Beschwerdeführers, der in W lebte, bekommen. Es wäre nie beabsichtigt gewesen, ein gemeinsames Eheleben zu führen, und es hätte auch keinerlei sexuellen Kontakt mit dem Beschwerdeführer gegeben. Soweit sie wüsste, wohnte die Familie des Beschwerdeführers noch in W, P.-Straße.

Der Beschwerdeführer habe in seiner Stellungnahme vom vorgebracht, mit seiner österreichischen Ehegattin einen gemeinsamen Haushalt zu führen. In seiner Berufung vom habe er weiters vorgebracht, es wäre unrichtig, dass er eine Scheinehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossen hätte. Er hätte seine Ehegattin "über das Internet" kennengelernt und zum damaligen Zeitpunkt nicht gewusst, dass diese ein Drogenproblem hätte. Sie hätten in W eine Zeit lang bei seinem Vater gewohnt. Auch die Erhebungen der Polizei hätten ergeben, dass seine Ehegattin im Haus (in W), P.-Straße, bekannt wäre. Das Drogenproblem seiner Ehegattin wäre leider wieder aktuell, sodass es öfters zum Streit gekommen und sie ausgezogen wäre. Ihre Angaben in ihrer Selbstanzeige wären nicht richtig.

Begründend führte die belangte Behörde weiter aus, es sei unter Bedachtnahme auf die Aussagen der österreichischen Ehegattin des Beschwerdeführers davon auszugehen, dass die Ehe ausschließlich deshalb geschlossen worden sei, um dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu verschaffen, problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung und damit eine Anwartschaft auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu erlangen. Es bestehe nämlich kein Anlass, an der Richtigkeit der Aussage der Ehegattin des Beschwerdeführers zu zweifeln, könne sie doch weder aus dem Fortbestand noch aus einer allfälligen Scheidung bzw. Nichtigerklärung der Ehe einen Nutzen ziehen. Der Beschwerdeführer seinerseits habe jedoch ein massives Interesse, das Eingehen einer sogenannten Scheinehe zu dementieren, sichere ihm diese doch das weitere Aufenthaltsrecht und den freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Ehegattin des Beschwerdeführers habe ausführlich und genau dargelegt, wie das gesamte Prozedere hin bis zur Heirat abgelaufen sei. Der Beschwerdeführer hingegen könne lediglich lapidar behaupten, dass keine Scheinehe vorläge. Da für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes keine Tatbestandsvoraussetzung sei, dass für die Eheschließung ein Vermögensvorteil geleistet worden sei, erübrige sich die Vernehmung weiterer Personen.

In rechtlicher Hinsicht erachtete die belangte Behörde den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG für erfüllt und die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch gemäß § 66 Abs. 1 und 2 leg.cit. für zulässig.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Die Beschwerde wendet sich gegen die Annahme der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer mit seiner österreichischen Ehegattin eine Scheinehe eingegangen sei, und rügt, dass die belangte Behörde den Vater des Beschwerdeführers, H., der mit dem Ehepaar gemeinsam an der Anschrift P.-Straße gelebt habe, nicht vernommen habe. Dieser könne bestätigen, dass eine eheliche Gemeinschaft dort bestanden habe, und hätte auch über die Intensität der familiären Beziehungen Aussagen treffen können. Die belangte Behörde habe auch nicht begründet, warum die Vernehmung seines Vaters nicht notwendig sein sollte.

2.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde einen wesentlichen Verfahrensmangel auf.

Nach Ausweis der Verwaltungsakten hat der Beschwerdeführer in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid vorgebracht, dass er und seine Ehegattin nach der Eheschließung eine Zeit lang gemeinsam in W, P.-Straße, bei seinem Vater gewohnt hätten, wobei auch die polizeilichen Erhebungen am ergeben hätten, dass seine Ehegattin in diesem Haus in W bekannt sei. U.a. beantragte er zum Beweis seines Vorbringens die Vernehmung des H. (seines Vaters).

Nach ständiger hg. Judikatur dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0072, mwN). Die Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, dass sich die Vernehmung weiterer Personen erübrige, weil die Leistung eines Vermögensvorteiles für die Eheschließung keine Tatbestandsvoraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei, bieten keine taugliche Begründung dafür, warum die belangte Behörde dem zitierten Beweisantrag des Beschwerdeführers nicht entsprochen hat. Die Unterlassung der Vernehmung des Zeugen H. stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, dem Relevanz zukommt, weil nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Zutreffen des genannten Vorbringens des Beschwerdeführers, zu dessen Beweis dieser Zeuge geführt wurde, zu einer anderen Beurteilung der Ehe hätte gelangen können.

1.3. Zum weiteren Beschwerdevorbringen, es komme dem Beschwerdeführer die Rechtsstellung im Sinne des Beschlusses Nr. 1/80 EWG-Türkei (des durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten Assoziationsrates vom über die Entwicklung der Assoziation (ARB)) zu, weshalb der Unabhängige Verwaltungssenat Wien über die Berufung zu entscheiden gehabt hätte, ist zu bemerken, dass einem Fremden selbst in dem Fall, dass er den Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten hat, die Begünstigung nach dem ARB nicht zugutekommt, wenn er diesen Zugang rechtsmissbräuchlich im Wege einer Scheinehe erlangt hat (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0161, mwN). Ob nun der Beschwerdeführer den Zugang zum inländischen Arbeitsmarkt rechtsmissbräuchlich im Wege einer Scheinehe erlangt hat, kann, wie oben dargestellt, nicht abschließend beurteilt werden.

2. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
UAAAE-71148