VwGH vom 24.02.2012, 2010/02/0122
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
2010/02/0124 E
2010/02/0123 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde des E S in K, vertreten durch Dr. Josef Cudlin, Rechtsanwalt in 3500 Krems, Gartenaugasse 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Zwettl, vom , Zl. Senat-KR-08-3073, betreffend Übertretung der StVO 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am um 11.17 Uhr an einem näher genannten Ort die Untersuchung seiner Atemluft auf Alkoholgehalt gegenüber einem besonders geschulten und von der Behörde hiezu ermächtigten Organ der Straßenaufsicht verweigert, obwohl er ein näher bezeichnetes Fahrzeug gelenkt habe.
Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. b StVO 1960 begangen; über ihn wurde eine Geldstrafe von EUR 2.180,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Wochen) sowie eine Freiheitsstrafe von 3 Wochen verhängt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf "Unterlassung von Geldvorschreibungen" bei Vorliegen eines Strafausschließungsgrundes verletzt und bringt in Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes vor, er sei zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Tat schuldunfähig gewesen, weil die Sachverständige bestätige, dass die Dispositionsfähigkeit eingeschränkt gewesen sei, und dass es durch die Alkoholisierung zu einem kumulativen Zusammenwirken mehrerer psychischer Störungen komme. Aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen sei davon auszugehen, dass bei ihm keine Dispositionsfähigkeit gegeben gewesen sei. Gemäß § 3 VStG liege Zurechnungsunfähigkeit vor, wenn die Diskretions- oder die Dispositionsfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat ausgeschlossen gewesen sei. Für die Dispositionsfähigkeit sei allerdings ausschlaggebend, ob der Täter in der Lage gewesen sei, sich durch seine Einsicht in das Unrecht seines Verhaltens motivieren zu lassen und entsprechend dieser Motivation zu handeln; er müsse daher in der Lage gewesen sein, das als Verstoß gegen die Rechtsordnung erkannte oder erkennbare Verhalten zu unterlassen. Dabei komme es darauf an, ob der Täter bei gehöriger Willensanspannung, unter Aufbietung aller diesbezüglichen Kräfte sein Verhalten nach seiner Unrechtseinsichtigkeit hätte einrichten können. Da dieses "anders handeln können" nur dann bejaht werden könne, wenn der Mensch in der Betätigung seines Willens frei sei, sei auch insoweit von einem normativen Begriff der Willensfreiheit auszugehen. Es sei daher davon auszugehen, dass das Gutachten insofern ergänzungsbedürftig sei, als die Sachverständige zur Frage des Vorliegens der Dispositionsfähigkeit konkrete Angaben hätte tätigen müssen. Dies umso mehr als die zusätzlich bestehende Alkoholisierung eine weitere Einschränkung der Dispositionsfähigkeit bewirkt habe. Das Gutachten sei insoweit ergänzungsbedürftig, als nicht klar dargelegt worden sei, ob die Dispositionsfähigkeit zur Tatzeit vorgelegen sei oder ausgeschlossen werden könne. Die Gutachterin habe lediglich zur Frage, ob die Diskretionsfähigkeit vorliege oder nicht, eindeutig Stellung genommen. Dies reiche allerdings nicht aus, weil die mangelnde Dispositionsfähigkeit selbst nach den Ausführungen der Sachverständigen im Raum stehe und sehr wahrscheinlich sei.
Gemäß § 3 Abs. 1 VStG ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat wegen Bewusstseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig war, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln. Die Zurechnungsfähigkeit bildet demnach eine unbedingte Voraussetzung der Strafbarkeit. Wenn Indizien in Richtung einer mangelnden Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit vorliegen, so ist nach hg. Rechtsprechung die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens notwendig, um diese Frage hinreichend beurteilen zu können (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 91/02/0065, und vom , Zl. 94/03/0150).
Da solche Indizien im Beschwerdefall gegeben waren, hat die belangte Behörde zur Frage der Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers ein psychiatrisches Gutachten eingeholt, das die der mündlichen Verhandlung beigezogene Sachverständige ergänzte wie folgt:
"Zur Frage der eventuell vorliegenden Gedächtnisstörungen verweise ich auf eine psychodiagnostische Untersuchung, die im Rahmen eines stationären Aufenthaltes im KH Mauer am , also sieben Monate nach dem schweren Schädel-Hirn- Trauma, das Herr S. im Jänner 2006 erlitten hat, durchgeführt wurde. Bei dieser Untersuchung zeigte sich eine durchschnittliche bis überdurchschnittliche Intelligenzleistung (IQ 111). Im Befund wurden keine Beeinträchtigungen beschrieben auch nicht im Bereich der Gedächtnisfunktionen. Bei Herrn S. besteht seit vielen Jahren ein Alkoholabhängigkeitssyndrom mit körperlichen und seelischen Folgeerscheinungen. Durch die Alkoholschädigung des Gehirns zog sich der Betroffene im Jänner 2006 ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zu, durch das die Symptome der bereits vorhandenen Wesensänderung weiter verstärkt wurden. Die geistige Leistungsfähigkeit des Betroffenen ist zwar testmäßig unauffällig, aus psychiatrischer Sicht zeigen sich jedoch gravierende Verhaltensauffälligkeiten wie eine erhebliche Störung der Impulskontrolle, eine erhöhte Reizbarkeit und eine Zuspitzung vermutlich bereits auf vor dem Schädel-Hirn- Trauma bestehende Persönlichkeitszüge, die zu einer ausgeprägten paranoiden Grundhaltung von Herrn S., wie sie auch deutlich bei der heutigen Verhandlung sichtbar ist, geführt haben. Bei dem Betroffenen besteht somit eine körperlich begründbare seelische Störung mit eingeschränkter Dispositionsfähigkeit, die durch die zu den Tatzeitpunkten mit hoher Wahrscheinlichkeit vorgelegene Alkoholisierung weiter verstärkt wurden. Die Diskretionsfähigkeit des Herrn S. sehe ich jedoch durchaus als stets erhalten an. Auch sind die gesundheitlichen Voraussetzungen nicht in einer Ausprägung vorhanden, die einem Zustand einer tiefen Bewusstseinsstörung entsprechen würden. Herr S. hat aus meiner Sicht zu jedem Zeitpunkt gewusst, was er tat, allerdings sind ihm die Folgen seines Handelns egal gewesen, wie es eben seiner Diagnose entspricht. Auch ist die Erinnerung an die beschriebenen Vorfälle weitgehend erhalten geblieben, sodass keinesfalls vom Vorliegen eines pathologischen Rauschzustandes oder komplizierten Rausches ausgegangen werden kann. Auch möchte ich darauf hinweisen, dass das Verhalten des Betroffenen im Rahmen der geschilderten Vorfälle durchaus mit dem heute beobachtbaren Verhalten des Herrn S. im Einklang steht. Die Verhaltensstörung allein begründet keine Unzurechnungsfähigkeit. Mit den Verweigerungen hat er bewusste Willensentscheidungen gefällt. Er wusste schon was er tut, aber die Folgen waren ihm egal……"
Die beigezogene Sachverständige hat in ihrem Gutachten umfassend, schlüssig und nachvollziehbar herausgearbeitet, dass zum Tatzeitpunkt aus psychiatrischer Sicht nichts gegen die Annahme der Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers spreche. Diesen nicht als unschlüssig zu erkennenden fachlichen Ausführungen vermochte der Beschwerdeführer nichts Wesentliches entgegenzusetzen. Insbesondere ist er diesen Ausführungen im Verwaltungsverfahren nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Wenn die belangte Behörde daher dieses Gutachten ihrer Entscheidung zu Grunde legte, kann dies im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof bezüglich der Beweiswürdigung zukommenden Kontrolle (vgl. insbesondere das hg Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 85/02/0053) nicht als rechtswidrig erkannt werden.
Soweit der Beschwerdeführer abschließend den Grundsatz "in dubio pro reo" für sich in Anspruch zu nehmen versucht, ist ihm entgegenzuhalten, dass diese Regel für jene Fälle gilt, in denen im Wege des Beweisverfahrens und anschließender freier Würdigung der Beweise in dem entscheidenden Organ nicht mit Sicherheit die Überzeugung von der Richtigkeit des Tatvorwurfes erzeugt werden konnte. Nur wenn nach Durchführung aller Beweise trotz eingehender Beweiswürdigung Zweifel an der Täterschaft des Beschuldigten verbleiben, hat nach dem genannten Grundsatz ein Freispruch zu erfolgen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2001/02/0095, sowie vom , Zlen. 89/02/0177 - 0180). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.
Die vorliegende Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGHAufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
KAAAE-71147