VwGH vom 06.06.2012, 2012/08/0104

VwGH vom 06.06.2012, 2012/08/0104

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der B S in I, vertreten durch Advokatur Dr. Herbert Schöpf LL.M. Rechtsanwalt-GmbH in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 34, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom , Zl. LGSTi/V/0566/-702/2012-R, betreffend Sperre des Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde ausgesprochen, dass die Beschwerdeführerin gemäß § 38 in Verbindung mit § 11 AlVG für den Zeitraum vom bis keine Notstandshilfe erhalte und Nachsicht nicht erteilt werde.

Die belangte Behörde stellte fest, dass die Beschwerdeführerin zuletzt am einen Antrag auf Zuerkennung der Notstandshilfe gestellt habe. Sie habe dabei angegeben, dass sie alleinerziehende Mutter einer am geborenen Tochter sei. Am sei der Beschwerdeführerin von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice I eine Vollzeitstelle als Möbelverkäuferin bei der Firma K. zugewiesen worden. Dieses Dienstverhältnis sei zustande gekommen und die Beschwerdeführerin habe am ihren Dienst angetreten. Das Dienstverhältnis habe aber bereits am wieder geendet. Im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger sei als Lösungsgrund "Lösung Probezeit Dienstnehmer" vermerkt.

Auf Anfrage durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice I habe die Personalverantwortliche der Firma K. mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin am ersten Tag des Dienstverhältnisses bekannt gegeben habe, dass sie am nächsten Tag einen wichtigen Arzttermin habe und daher nicht zur Arbeit kommen könne. Es sei mit der Beschwerdeführerin ein freier Tag vereinbart worden. Am Tag darauf habe sich die Beschwerdeführerin gemeldet und angegeben, dass ihr die Arbeitszeit (9.00 Uhr bis 18.00 Uhr) zu lang wäre. Sie würde am nächsten Tag vorbei kommen, um darüber zu reden. Frau M. (die Personalverantwortliche) habe ihr sodann mitgeteilt, dass es diesbezüglich nichts zu reden gebe und sie nicht mehr zu kommen brauche, wenn sie zu den vorgesehenen Arbeitszeiten nicht arbeiten könne, da diese im Vorhinein vereinbart worden seien. Von einer einvernehmlichen Lösung sei nie die Rede gewesen.

Seitens der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice I sei mit der Beschwerdeführerin am eine Niederschrift wegen Beendigung des Dienstverhältnisses bei der Firma K. durch Kündigung durch die Beschwerdeführerin aufgenommen worden. Die Beschwerdeführerin habe mitgeteilt, dass sie keine Klage einbringen werde. Nach Belehrung über die Rechtsfolgen des § 11 AlVG habe die Beschwerdeführerin als Nachsichtsgrund angegeben, dass in einem Telefonat mit Frau M. das Dienstverhältnis einvernehmlich gelöst worden sei. Sie sei auch am Abend zu spät nach Hause gekommen. Seitens der Geschäftsführung sei gewünscht worden, dass die Beschwerdeführerin an mehr als zwei Samstagen arbeiten solle. Auch sei ihr die Wegstrecke zu lange, da sie Alleinerzieherin sei. Nach Vorhalt der Stellungnahme von Frau M. habe die Beschwerdeführerin keine weitere Stellungnahme abgegeben.

Laut Fahrplan des Verkehrsverbundes Tirol hätte die Beschwerdeführerin werktags am Morgen die Möglichkeit gehabt, unter Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel in ca. 40 Minuten ihren Arbeitsplatz zu erreichen. In dieser Reisezeit seien bereits die Fußwege zur Haltestelle und von der Haltestelle zum Arbeitsplatz enthalten. Bei Dienstende um 18.00 Uhr hätte die Beschwerdeführerin die Möglichkeit, ebenfalls in ca. 40 bzw. 48 Minuten inklusive Fuß- und Fahrweg ihre Heimatadresse zu erreichen. Bei einer Dienstverrichtung am Samstag hätte die Beschwerdeführerin die Möglichkeit, bei Dienstantritt um 9.00 Uhr in 36 Minuten von zu Hause aus ihren Arbeitsplatz zu erreichen. Bei Dienstende am Samstag um 17.00 Uhr könne sie mit einer Wegzeit von 50 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln wieder nach Hause kommen.

Die belangte Behörde habe am telefonisch Kontakt zur Firma K. aufgenommen und dabei von Frau M. die Auskunft erhalten, dass mit der Beschwerdeführerin ein üblicher Dienstvertrag über 38,5 Stunden pro Woche, zuzüglich 6,5 Mehrstunden pro Monat, somit über eine 40 Stunden-Woche, abgeschlossen worden sei. Dabei handle es sich um den für Verkäufer üblichen Vertrag für eine Vollzeitbeschäftigung. Die Dienstzeiten würden sich an den Öffnungszeiten des Geschäfts orientieren und lägen von Montag bis Freitag zwischen 9.00 Uhr und 18.00 Uhr und am Samstag von 9.00 Uhr bis 17.00 Uhr. Die Beschwerdeführerin hätte jeden zweiten Samstag bis 17.00 Uhr arbeiten müssen. Eine Ausdehnung der Öffnungszeiten sei nicht geplant.

Unter Vorhalt des Berufungsvorbringens der Beschwerdeführerin, wonach diese fallweise bis 20.00 Uhr und jeden zweiten Samstag bis 18.00 Uhr hätte arbeiten müssen, habe Frau M. angegeben, dass dies "komplett erlogen" sei. Solche Dienste bis 20.00 Uhr gebe es für Verkäufer grundsätzlich nicht. Die Arbeitszeit der Verkäufer richte sich immer nach der Öffnungszeit des Geschäftes. Auch ein Teilzeitwunsch sei von der Beschwerdeführerin gegenüber der Firma K. nie geäußert worden. Frau M. habe weiters angegeben, dass die Beschwerdeführerin bereits am ersten Arbeitstag von einem unaufschiebbaren Arzttermin am nächsten Tag gesprochen habe, weshalb ihr das Unternehmen entgegen gekommen sei und am nächsten Tag frei gegeben habe, damit sie nach dem Arzttermin nicht mehr zur Arbeit fahren brauche. Am dritten Tag, dem , habe sie gearbeitet, und am habe die Beschwerdeführerin bereits bekannt gegeben, dass ihr die Anreise zur Firma zu lange sei und sie deshalb nicht mehr wolle.

Aus der Datenspeicherung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger gehe hervor, dass die Beschwerdeführerin zuletzt im Zeitraum vom bis ein arbeitslosenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis im Ausmaß einer Vollzeitbeschäftigung ausgeübt habe.

Diese Feststellungen seien der Vertreterin der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht worden. Diese habe keine weitere Stellungnahme zu dieser Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme abgegeben.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass als freiwillige Auflösung eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 11 Abs. 1 AlVG grundsätzlich jede vom Arbeitnehmer vorgenommene Beendigung des Dienstverhältnisses gelte, wie etwa eine Arbeitnehmerkündigung, eine Auflösung in der Probezeit oder ein Austritt. Etwaige berücksichtigungswürdige Gründe für die freiwillige Auflösung seien ausschließlich im Wege der Nachsicht zu berücksichtigen.

Nach Ansicht der belangten Behörde handle es sich bei den von der Firma K. gebotenen Arbeitszeiten um auf dem Arbeitsmarkt durchaus übliche Arbeitszeiten im Rahmen einer Vollzeitbeschäftigung, sodass der Beschwerdeführerin die Aufnahme dieser Beschäftigung auch im Hinblick auf die Betreuungspflichten gegenüber ihrer 13-jährigen Tochter durchaus zumutbar gewesen wäre. Im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin angeführten langen Wegzeiten sei festzuhalten, dass bei Vollzeitbeschäftigungen zwei Stunden Wegzeit täglich jedenfalls zumutbar seien. Im konkreten Fall umfasse die Wegzeit deutlich unter zwei Stunden. Soweit die Beschwerdeführerin weiters vorbringe, dass sie nach ihrem Dienstantritt mit einem Teilzeitwunsch an die Firma K. herangetreten sei, und diese darauf nicht eingegangen sei, sei darauf hinzuweisen, dass laut Stelleninserat eine Vollzeitbeschäftigung ausgeschrieben gewesen sei und die Beschwerdeführerin einen Dienstvertrag über eine Vollzeitbeschäftigung abgeschlossen habe. Die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin nur einen Tag bei der Firma K. gearbeitet habe, ehe ihr Bedenken hinsichtlich der Betreuung ihrer Tochter und hinsichtlich der Weg- und Arbeitszeit gekommen seien und sie folglich gekündigt habe, habe bei der belangten Behörde ebenfalls Zweifel an ihrer Arbeitswilligkeit und an entsprechendem Interesse an der Stelle als Verkäuferin bei der Firma K. erweckt. Die Beschwerdeführerin habe durch ihre Vorgangsweise jedenfalls den Tatbestand der freiwilligen Lösung des Dienstverhältnisses im Sinne des § 11 Abs. 1 AlVG erfüllt.

Gemäß § 11 Abs. 2 AlVG sei in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie z.B. der Aufnahme einer Beschäftigung oder bei freiwilliger Beendigung eines Dienstverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen eine Nachsicht vom Eintritt der Rechtsfolgen zur Gänze oder teilweise zu erteilen. Durch die Normierung der zwingend vorgesehenen Nachsichtsgewährung im § 11 zweiter Satz AlVG habe der Gesetzgeber die Grundlage geschaffen, im Einzelfall subjektive Faktoren zu berücksichtigen, und die damit befasste Behörde in die Lage versetzt, das Nachsichtsrecht flexibel zu handhaben. Neben den in § 11 Abs. 2 AlVG genannten berücksichtigungswürdigen Fällen kämen für eine Nachsichtsgewährung insbesondere auch triftige Gründe im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Frage. Dazu gehörten unter anderem Umstände, die einen Dienstnehmer berechtigen würden, gemäß § 26 Angestelltengesetz vorzeitig aus dem bestehenden Beschäftigungsverhältnis auszutreten oder die zumindest einem solchen wichtigen Grund nahe kämen.

Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin sei das Nichteingehen der Firma K. auf den Teilzeitwunsch der Beschwerdeführerin kein berücksichtigungswürdiger Umstand im Sinne des § 11 Abs. 2 AlVG. Von der Firma K. sei eine Vollzeitbeschäftigung mit durchaus ortsüblichen Zeiten angeboten worden und die Beschwerdeführerin habe durch Unterzeichnung des Dienstvertrages der Aufnahme dieser Vollzeitbeschäftigung auch zugestimmt. Da auch die Wegzeit im Hinblick auf die mögliche Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel innerhalb des gesetzlich zumutbaren Rahmens liege, könne nicht vom Vorliegen unzumutbarer Umstände ausgegangen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. § 11 AlVG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 104/2007 lautet:

"§ 11. (1) Arbeitslose, deren Dienstverhältnis in Folge eigenen Verschuldens beendet worden ist oder die ihr Dienstverhältnis freiwillig gelöst haben, erhalten für die Dauer von vier Wochen, gerechnet vom Tage der Beendigung des Dienstverhältnisses an, kein Arbeitslosengeld. Dies gilt auch für gemäß § 3 versicherte Personen, deren Erwerbstätigkeit in Folge eigenen Verschuldens oder freiwillig beendet worden ist.

(2) Der Ausschluss vom Bezug des Arbeitslosengeldes ist in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie zB wegen Aufnahme einer anderen Beschäftigung, freiwilliger Beendigung eines Dienstverhältnisses oder einer Erwerbstätigkeit aus zwingenden gesundheitlichen Gründen oder Einstellung der Erwerbstätigkeit wegen drohender Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit oder bei Saisonabhängigkeit wegen Saisonende, nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen."

2. Die Beschwerdeführerin macht zur behaupteten Rechtswidrigkeit des Inhaltes ausschließlich geltend, die belangte Behörde lege die Bestimmungen über die Nachsichtserteilung falsch aus, wenn sie in der Tatsache, dass eine alleinerziehende Mutter einer 13-jährigen Tochter "Arbeitszeiten von täglich 08:00 Uhr bis 20:00 Uhr einschließlich samstags von 13:00 Uhr bis 18:00 Uhr" nicht nachkommen könne, keinen berücksichtigungswürdigen Einzelfall erkenne. Unter den genannten Umständen könne die Beschwerdeführerin ihren Obsorgepflichten gegenüber ihrer minderjährigen Tochter nicht nachkommen und müsste für den Fall, dass sie dem Dienstverhältnis "im dargestellten Ausmaß" nachkomme, rechtswidrig handeln. Ein rechtskonformes Verhalten gegenüber dem Dienstgeber sei der Beschwerdeführerin unter den gegebenen Umständen nicht zumutbar. Die Beschwerdeführerin sei bei Arbeitsantritt von anderen Verhältnissen ausgegangen. Darüber hinaus berücksichtige die belangte Behörde bei ihrer Beweiswürdigung nicht, dass die tatsächlichen Arbeitszeiten von Verkäuferinnen nicht mit den ausgewiesenen Öffnungszeiten des Dienstgebers gleich zu setzen seien. Es seien sowohl davor als auch danach Tätigkeiten zu verrichten, die nicht unmittelbar mit der Verkaufstätigkeit verbunden seien.

Dieses Vorbringen geht nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, wonach tatsächlich eine Beschäftigung lediglich von 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr und samstags von 09.00 Uhr bis 17.00 Uhr vereinbart war. Schon aus diesem Grund vermag die Beschwerde - die zur Frage der Zumutbarkeit der konkret festgestellten Arbeitszeiten, insbesondere zum Fehlen von Betreuungsmöglichkeiten für die dreizehnjährige Tochter, kein Vorbringen enthält - damit keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.

3. Weiters macht die Beschwerde geltend, dass die belangte Behörde eine mündliche Verhandlung hätte ansetzen müssen, um sich unmittelbar ein Bild von den einzuvernehmenden Personen zu machen und deren Stellungnahmen dann der freien Beweiswürdigung unterziehen zu können. Ein Telefonat (gemeint offenbar mit der Personalverantwortlichen der Firma K.) reiche dazu nicht aus.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerdeführerin keinen entscheidungserheblichen Verfahrensmangel auf, zumal die belangte Behörde dargelegt hat, dass sie die Ermittlungsergebnisse im Berufungsverfahren - darunter die Aussagen der Personalverantwortlichen der Firma K. - der Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt hat. Eine Stellungnahme zu diesen Aussagen wurde von der Beschwerdeführerin oder ihrer Vertreterin nicht eingebracht. Dass die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren einen Antrag auf Einvernahme bestimmter Zeugen zu einem konkreten Beweisthema gestellt hätte, wird in der Beschwerde nicht behauptet.

4. Die Beschwerde war daher, da schon ihr Inhalt erkennen ließ, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, gemäß § 35 Abs 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am