Suchen Hilfe
VwGH 27.05.2011, 2010/02/0107

VwGH 27.05.2011, 2010/02/0107

Entscheidungsart: Erkenntnis

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Beck und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde der UH in G, vertreten durch Dr. Kurt Fassl, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 10/3, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. FA18E- 13-398/2009-3, betreffend Entziehung eines Ausweises nach § 29b Abs. 1 StVO 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.211,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den der Beschwerdeführerin am ausgestellten Ausweis gemäß § 29b Abs. 1 letzter Satz StVO 1960 entzogen.

Nach der Begründung sei im Berufungsverfahren ein ärztliches Amtssachverständigengutachten eingeholt worden, dem zu entnehmen sei, dass bei der Beschwerdeführerin ein Zustand nach angeborener Hüftluxation rechts mit nachfolgender Hüftdysplasie sowie degenerativen Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule und des Beckens vorlägen. Subjektiv werde von der Beschwerdeführerin angegeben, dass sie im Bereich der rechten Hüfte oft brennende Schmerzen habe, die sich im Laufe des Tages verstärkten und gelegentlich bis in das rechte Knie ausstrahlten. Beruflich erledige die Beschwerdeführerin administrative Zustellungen und Postwege. Bei der Untersuchung durch die Amtssachverständige hätten mäßige degenerative Veränderungen der gesamten Wirbelsäule und im Bereich des Beckens festgestellt werden können, die jedoch keine gravierende Funktionsbeeinträchtigung bedingen würden. Die Außen- und Innenrotation im rechten Hüftgelenk sei endlagig eingeschränkt. Freies Gehen sei gut möglich. Unter Verwendung eines Schuhausgleichs sei das Gangbild diskret hinkend. Zusammenfassend könne gesagt werden, dass die oben genannten krankhaften Veränderungen zu einer Minderung der allgemeinen Gehleistung führten. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke sei aus eigener Kraft und ohne Verwendung von Hilfsmitteln möglich. Eine schwere Gehbehinderung habe nicht verifiziert werden können.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Beschwerdeführerin bringt in der Beschwerde vor, ihr Gesundheitszustand habe sich seit der Ausstellung des in Rede stehenden Ausweises im Jahre 1983 verschlechtert. Das Gutachten der Amtssachverständigen habe keine Verbesserung des Gesundheitszustandes feststellen können, es seien im Gegenteil darüber hinausgehende neue Beschwerden beschrieben.

§ 29b Abs. 1 StVO 1960 lautet:

"(1) Die Behörde hat Personen, die dauernd stark gehbehindert sind, auf deren Ansuchen einen Ausweis über diesen Umstand auszufolgen. Inhalt und Form des Ausweises hat der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie durch Verordnung zu bestimmen. Bei Wegfall der dauernd starken Gehbehinderung ist der Ausweis vom Inhaber der ausstellenden Behörde unverzüglich abzuliefern; kommt der Inhaber dieser Verpflichtung nicht nach, so hat die Behörde den Ausweis zu entziehen."

Der Gesetzesbegriff der starken Gehbehinderung im Sinne des § 29 Abs. 1 StVO 1960 stellt darauf ab, ob die betreffende Person in einer als Gehen zu qualifizierenden Weise ohne Aufwendung überdurchschnittlicher Kraftanstrengung und ohne große Schmerzen eine bestimmte Wegstrecke zurücklegen kann. Ist sie dazu in der Lage, so wird eine festgestellte Gehbehinderung nicht als schwer im Sinne des Gesetzes anzusehen sein. Die Fähigkeit zum Zurücklegen einer Strecke von mehr als 300 m ohne überdurchschnittliche Kraftanstrengung und ohne große Schmerzen schließt eine starke Gehbehinderung im Sinne des Gesetzes aus, wobei der Umstand, dass dies nur mit Hilfsmitteln (wie etwa einem Gehstock oder orthopädischen Schuhen) möglich ist, die Behinderung nicht zu einer schweren macht (vgl. aus jüngerer Zeit das Erkenntnis vom , Zl. 2009/02/0341).

Den Feststellungen im angefochtenen Bescheid kann nicht entnommen werden, ob die Beeinträchtigungen der Beschwerdeführerin so beschaffen sind, dass die Fähigkeit zum Zurücklegen einer Strecke von mehr als 300 m ohne überdurchschnittliche Kraftanstrengung und ohne große Schmerzen im Sinne der vorzitierten Judikatur gegeben ist. Insbesondere die Feststellung des im zweitinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachtens, "Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke ist aus eigener Kraft und ohne Verwendung von Hilfsmitteln möglich", lässt nicht erkennen, wie weit diese Wegstrecke tatsächlich ist. Der Sachverhalt wurde daher nicht ausreichend ermittelt, weshalb ein wesentlicher Verfahrensmangel vorliegt.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht im Rahmen des gestellten Begehrens auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl II Nr. 455.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
StVO 1960 §29 Abs1;
StVO 1960 §29b Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete
"zu einem anderen Bescheid"
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2011:2010020107.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
DAAAE-71132