VwGH vom 16.12.2011, 2010/02/0105
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Beck und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-TU-09-3001, betreffend Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens wegen Übertretungen arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (Mitbeteiligter: F E, I R/Deutschland), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Begründung
Mit Straferkenntnis der BH Tulln vom wurde der Mitbeteiligte für schuldig erachtet, er habe es als Arbeitgeber zu verantworten, dass seine Arbeitnehmer auf einer Baustelle ein Gerüst benützt hätten, obwohl 1. die Gerüstlage trotz einer vorhandenen Absturzhöhe von ca. 3 m nicht mit Wehren gemäß § 8 BauV, das seien Brust-, Mittel- und Fusswehren, versehen gewesen sei und 2. die vorhandenen Ausleger aus Holz nur einen Querschnitt von 10 x 10 cm aufgewiesen hätten. Gemäß § 58 Abs. 3 erster Satz BauV müssten Gerüstlagen mit Wehren gemäß § 8 BauV ausgerüstet sein; nach § 69 Abs. 4 BauV müssten Ausleger aus Holz einen Mindestquerschnitt von 16 x 10 cm aufweisen. Der Beschwerdeführer habe dadurch die genannten Normen in Verbindung mit § 130 Abs. 5 Z 1 ASchG übertreten, weshalb über ihn eine Geldstrafe von EUR 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 96 Stunden) verhängt wurde.
Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung des Mitbeteiligten gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid Folge, hob das Straferkenntnis vom auf und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein.
Begründend führte die belangte Behörde aus, das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten habe wegen Verwaltungsübertretungen nach § 58 Abs. 3 BauV und § 69 Abs. 4 BauV eine Geldstrafe von jeweils EUR 700,-- beantragt. Die erstinstanzliche Behörde habe dem Mitbeteiligten zwei Verstöße gegen die BauV zur Last gelegt und eine Gesamtstrafe und eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt. Aus der Begründung des Straferkenntnisses sei nicht erkennbar, welche Strafe der jeweiligen Verwaltungsübertretung zugeordnet worden sei. Durch die Verhängung einer Gesamtstrafe werde der Mitbeteiligte in seinen Rechten insofern verletzt, als keine Zuordnung der Geldstrafen zu der Schwere des jeweiligen Deliktes gemacht worden sei. Mangels Festsetzung der Geldstrafen pro Verwaltungsübertretung sei der angefochtene Bescheid aufzuheben und das Verfahren einzustellen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 13 Arbeitsinspektionsgesetz gründende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen. Der Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 45 Abs. 1 VStG lautet:
"Die Behörde hat von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn
1. die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet;
2. der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen;
3. Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen."
Die belangte Behörde stützt die Verfahrenseinstellung auf den Umstand, dass nicht zwei Geldstrafen für zwei Verwaltungsübertretungen verhängt wurden und dass "Im Falle des Wegfalles eines Tatbestandes … auch keine Festsetzung der Geldstrafe für das zweite Delikt durch die Berufungsbehörde vorgenommen werden (darf)."
Abgesehen davon, dass der "Wegfall eines Tatbestandes" nicht zu sehen ist, hat - abweichend von der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht - die Berufungsbehörde bei Verhängung einer "Gesamtstrafe" durch die erstinstanzliche Behörde in Abänderung des Straferkenntnisses für mehrere Verwaltungsübertretungen richtigerweise entsprechend mehrere Strafen statt einer "Gesamtstrafe" zu verhängen, soferne die Summe der Strafen die Höhe der "Gesamtstrafe" nicht übersteigt (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 94/02/0383).
Entgegen dieser Verpflichtung hat die belangte Behörde den bei ihr bekämpften Bescheid aufgehoben und das Verfahren ohne Vorliegen eines Einstellungsgrundes nach § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben war.
Wien, am