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VwGH vom 17.09.2018, Ra 2016/19/0011

VwGH vom 17.09.2018, Ra 2016/19/0011

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des M A in W, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W144 2117790-1/3E, betreffend Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gelangte, nachdem er (mit einem tschechischen Visum) über Tschechien in das Gebiet der Europäischen Union eingereist war, in das österreichische Bundesgebiet und stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete am ein Aufnahmeersuchen an Tschechien. Mit Fax vom stimmte Tschechien diesem Ersuchen zu.

3 Das BFA wies den Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) zurück und sprach aus, dass Tschechien für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-Verordnung zuständig sei. Es ordnete gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung des Revisionswerbers an und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Tschechien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

4 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Über die Frage der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wurde in der weiteren Folge nicht entschieden.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet ab und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass Tschechien auf Grund der Ausstellung des Visums gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-Verordnung zur Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig sei. Das BFA habe zu Recht keinen Gebrauch vom Selbsteintrittsrecht gemacht. Gesonderte Erwägungen bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hätten angesichts des Spruchinhaltes entfallen können.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Die Revision führt zur Begründung ihrer Zulässigkeit aus, dass die sechsmonatige Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-Verordnung abgelaufen sei. Durch die nicht erfolgte Wahrnehmung des damit bewirkten Zuständigkeitsübergangs sei das Erkenntnis von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Bezugnahme: ) abgewichen. Österreich müsse daher in das Verfahren eintreten.

8 Die Revision ist zulässig und auch begründet. 9 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Revisionsverfahren zu

Ra 2015/20/0231 (EU 2016/0001) mit Beschluss vom dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 AEUV - auf das Wesentliche zusammengefasst - die Fragen gestellt, ob sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt, darauf berufen kann, dass die Zuständigkeit für die Prüfung ihres Antrages auf Grund des Ablaufs der Frist auf einen anderen Mitgliedstaat übergegangen sei, und ob der bloße Fristablauf zu einem solchen Zuständigkeitsübergang führt.

10 Mit Urteil vom , C-201/16, Majid Shiri, hat der EuGH die Vorlagefragen wie folgt beantwortet:

"Art. 29 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass die Zuständigkeit von Rechts wegen auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht, sofern die Überstellung nicht innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung festgelegten sechsmonatigen Frist durchgeführt wird, ohne dass es erforderlich ist, dass der zuständige Mitgliedstaat die Verpflichtung zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person ablehnt.

Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013, betrachtet vor dem Hintergrund ihres 19. Erwägungsgrundes, sowie Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, über einen wirksamen und schnellen Rechtsbehelf verfügen können muss, der es ihr ermöglicht, sich auf den nach dem Erlass der Überstellungsentscheidung eingetretenen Ablauf der in Art. 29 Abs. 1 und 2 der Verordnung festgelegten sechsmonatigen Frist zu berufen. Das aufgrund einer innerstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden einem solchen Antragsteller zustehende Recht, sich im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung auf nach ihrem Erlass eingetretene Umstände zu berufen, genügt dieser Verpflichtung, einen wirksamen und schnellen Rechtsbehelf vorzusehen."

11 Damit ist klargestellt, dass sich der Revisionswerber im Rahmen seiner Beschwerde gegen die Überstellungsentscheidung auf den Ablauf der Überstellungsfrist berufen kann. Sollte das Revisionsvorbringen zutreffen und die sechsmonatige Überstellungsfrist im vorliegenden Fall abgelaufen sein, wäre die Zuständigkeit zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 29 Abs. 2 erster Satz Dublin III-VO auf Österreich übergegangen.

12 Hinsichtlich der Frage des Beginns und des Laufs der Überstellungfrist nach Art. 29 Dublin III-VO wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/20/0231, verwiesen.

13 Da im vorliegenden Fall dem Rechtsmittel zu keiner Zeit aufschiebende Wirkung zukam, ist der Lauf der Überstellungsfrist allein nach der ersten Voraussetzung des Art. 29 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO, nämlich nach dem Datum der - hier ausdrücklichen - Zustimmung der ersuchten Mitgliedstaates zu beurteilen. Die sechsmonatige Frist begann gegenständlich somit mit Annahme des Aufnahmeersuchens durch Tschechien am und endete am .

14 Nachdem die Überstellung des Revisionswerbers nach Tschechien nicht innerhalb dieser Frist, die im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung bereits abgelaufen war, durchgeführt wurde, war Tschechien nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO nicht mehr zur Aufnahme des Revisionswerbers verpflichtet und ging die Zuständigkeit zur Prüfung des Antrages auf Österreich über.

15 Indem das Bundesverwaltungsgericht dies verkannte und mit der Abweisung der Beschwerde den Zurückweisungsbescheid des BFA bestätigte, belastete es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

16 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

17 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016190011.L00

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