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VwGH 27.04.2004, 2004/21/0014

VwGH 27.04.2004, 2004/21/0014

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
AVG §66 Abs4;
AVG §71 Abs1;
RS 1
Hat die Erstbehörde über einen Wiedereinsetzungsantrag nicht meritorisch entschieden, sondern eine formale Entscheidung getroffen, dann ist die Entscheidungsbefugnis der Berufungsbehörde insofern eingeschränkt, als ihr ein meritorischer Abspruch über den Wiedereinsetzungsantrag verwehrt ist. Gegenstand des Berufungsverfahrens (= "Sache" iSd § 66 Abs 4 AVG) kann in diesem Fall lediglich die Rechtmäßigkeit des verfahrensrechtlichen Ausspruches der Erstbehörde sein (Hinweis, Ringhofer, aaO 635f, die unter E 85 bis 89 wiedergegebene hg Rechtsprechung).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 94/11/0227 E RS 1
Normen
AVG §66 Abs4;
AVG §71 Abs1;
RS 2
Hat die Erstbehörde nicht über den Wiedereinsetzungsantrag entschieden, sondern eine formale Entscheidung getroffen, dann überschreitet die Berufungsbehörde ihre Entscheidungsbefugnis, wenn sie über den Wiedereinsetzungsantrag meritorisch entscheidet. Statt selbst über den Wiedereinsetzungsantrag meritorisch zu entscheiden, müßte die Berufungsbehörde im Falle der Unhaltbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung die ersatzlose Aufhebung dieser Formalentscheidung aussprechen, um so den Weg zur meritorischen Behandlung des Wiedereinsetzungsantrags freizumachen. Durch eine meritorische Entscheidung verletzt sie den Wiedereinsetzungswerber auch in Rechten, da ihm damit eine Instanz genommen wird.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 94/11/0227 E RS 2
Normen
AVG §63 Abs5;
AVG §71 Abs1;
RS 3
Die Berufungsbehörde war selbst bei Vorliegen eines fristgerechten Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist rechtlich nicht daran gehindert, die Berufung als verspätet zurückzuweisen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/20/0539, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 85/02/0251, VwSlg. 12275 A/1986). Bei dieser Entscheidung kam es aber lediglich auf die terminliche Einhaltung der gesetzlichen Berufungsfrist und nicht auf etwaige Hinderungsgründe für die rechtzeitige Erhebung einer Berufung an (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/09/0023).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2001/20/0109 E RS 3

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Wechner, über die Beschwerde des H, vertreten durch Dr. Helmut Malek, Rechtsanwalt in 3500 Krems, Dinstlstraße 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom , Zl. Fr 112/02, betreffend 1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und 2. Zurückweisung der Berufung in einer Angelegenheit nach dem FrG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt I) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen - hinsichtlich Spruchpunkt II) - wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wiener Neustadt vom wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Serbien und Montenegro, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt, dessen Zustellung an den Beschwerdeführer zu eigenen Handen am erfolgte.

Mit Schreiben vom stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Zur Begründung führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, bei der Übernahme des Aufenthaltsverbotsbescheides sei er aufgrund seines schweren Drogenproblems in einer psychischen Ausnahmesituation gewesen und habe demzufolge nicht erkennen können, dass er rechtzeitig ein Rechtsmittel ergreifen müsse. Unter einem hat der Beschwerdeführer - wie er später klarstellte - eine Berufung gegen den Bescheid betreffend das Aufenthaltsverbot erhoben.

Über Verbesserungsauftrag der Erstbehörde brachte der Beschwerdeführer neben konkretisierenden Angaben zum Wiedereinsetzungsgrund zur Rechtzeitigkeit des Antrages vor, die Fristversäumnis und deren Konsequenzen seien ihm erst Anfang Juli 2003 bewusst geworden, nachdem er sich bei einer fremdenrechtlichen Beratungsstelle ausreichend informiert habe.

Die Behörde erster Instanz wies diesen Wiedereinsetzungsantrag mit Bescheid vom gemäß § 71 Abs. 2 AVG zurück, weil er verspätet - nicht binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses - eingebracht worden sei. Die Antragsfrist habe spätestens am "zu laufen begonnen". Die konkreten und plausiblen Angaben des Beschwerdeführers bei der Vernehmung an diesem Tag würden auf den Wegfall der behaupteten Dispositionsunfähigkeit schließen lassen. Im Übrigen seien in einer weiteren Niederschrift vom selben Tag "die Bescheiderlassung" (gemeint: betreffend das Aufenthaltsverbot) und die damit verbundenen Rechtsfolgen angesprochen worden, sodass dem Beschwerdeführer der Verfahrensstand eindeutig bewusst gewesen sein müsse.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer eine Berufung, in der er näher darlegte, aus welchen Gründen die Frist zur Einbringung des Wiedereinsetzungsantrages seiner Ansicht nach erst Mitte Juli 2003 begonnen habe.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom entschied die belangte Behörde im Spruch wie folgt:

"I) Gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1991wird Ihrer Berufung keine Folge gegeben. Ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird gemäß § 71 Abs. 1 AVG 1991 abgewiesen.

II) Gemäß § 66 Abs. 4 i.V.m. § 63 Abs. 5 AVG 1991 wird Ihre Berufung gegen das Aufenthaltsverbot vom als verspätet zurückgewiesen."

Die belangte Behörde erachtete es aufgrund näher dargelegter beweiswürdigender Überlegungen als erwiesen, dass der Beschwerdeführer "zum Zeitpunkt der Bescheidübernahme und im Zeitraum der Rechtsmittelfrist sehr wohl zu einem zielgerichteten Handeln fähig" gewesen sei, eine Dispositionsunfähigkeit nicht vorgelegen habe und der Beschwerdeführer aufgrund seiner Suchtkrankheit nicht daran gehindert gewesen sei, eine fristgerechte Berufung einzubringen. Rechtlich folgerte die belangte Behörde zu Spruchpunkt I), der Beschwerdeführer habe den behaupteten Wiedereinsetzungsgrund - Ausschluss der Dispositionsfähigkeit durch die Suchtkrankheit - nicht glaubhaft machen können, weshalb die Berufung abzuweisen gewesen sei.

Zu Spruchpunkt II) führte die belangte Behörde aus, aufgrund der Übernahme des Bescheides betreffend das Aufenthaltsverbot am sei die mit Schreiben vom erhobene Berufung "jedenfalls als verspätet eingebracht zu bewerten."

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten der erstinstanzlichen Behörde erwogen:

Die Erstbehörde hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers nicht meritorisch erledigt, sondern durch die Zurückweisung des Antrages (wegen Versäumung der im § 71 Abs. 2 AVG normierten Einbringungsfrist) eine formale Entscheidung getroffen. Damit war die Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde insofern eingeschränkt, als ihr ein meritorischer Abspruch über den Wiedereinsetzungsantrag verwehrt war. Gegenstand des Berufungsverfahrens ("Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG) konnte lediglich die Rechtmäßigkeit des verfahrensrechtlichen Ausspruches der Erstbehörde sein. Statt selbst über den Wiedereinsetzungsantrag meritorisch zu entscheiden, hätte die belangte Behörde - sollte sie der Auffassung gewesen sein, der Wiedereinsetzungsantrag sei fristgerecht eingebracht worden - die erstinstanzliche Entscheidung aufheben müssen, um so den Weg zur inhaltlichen Behandlung des Wiedereinsetzungsantrages frei zu machen. Durch ihre meritorische Entscheidung hat die belangte Behörde den Beschwerdeführer aber auch in Rechten verletzt, weil ihm damit eine Instanz genommen wird (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 94/11/0227, und die daran anschließende Rechtsprechung, zuletzt etwa die Erkenntnisse vom , Zlen. 99/10/0060, 0061, und vom , Zlen. 2002/12/0232, 0233); vgl. allgemein zur "Sache" iSd § 66 Abs. 4 AVG bei verfahrensrechtlichen Entscheidungen der Unterinstanz die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 162ff, und bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, E 70ff, jeweils zu § 66 AVG wiedergegebene Judikatur).

Der angefochtene Bescheid war daher in seinem Spruchpunkt I) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Zur im Spruchpunkt II) des angefochtenen Bescheides vorgenommenen Zurückweisung der gegen den Bescheid betreffend das Aufenthaltsverbot erhobenen Berufung trägt die Beschwerde inhaltlich nichts vor. Gegen die Auffassung der belangten Behörde, die Berufungsfrist des § 63 Abs. 5 AVG sei im vorliegenden Fall vom Beschwerdeführer versäumt worden, hegt der Verwaltungsgerichtshof auch keine Bedenken. Anzumerken ist noch, dass das Vorliegen eines (fristgerechten) noch nicht erledigten Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist rechtlich kein Hindernis darstellt, die Berufung als verspätet zurückzuweisen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/20/0539, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. Nr. 12.275/A). Bei dieser Entscheidung kommt es aber lediglich auf die terminliche Einhaltung der gesetzlichen Berufungsfrist und nicht auf etwaige Hinderungsgründe für die rechtzeitige Erhebung einer Berufung an (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/20/0109, mwN).

Soweit sich die Beschwerde gegen Spruchpunkt II) des angefochtenen Bescheides richtet, war sie somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere unter Bedachtnahme auf § 50 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
AVG §71 Abs1;
Schlagworte
Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die
Sache Besondere Rechtsprobleme Verfahrensrechtliche Entscheidung
der Vorinstanz (siehe auch Inhalt der Berufungsentscheidung
Anspruch auf meritorische Erledigung)
Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die
Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens
Allgemein
Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen
Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)
Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen
Rechtsverletzung durch solche Entscheidungen
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2004:2004210014.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
LAAAE-71057