VwGH vom 16.06.2011, 2007/18/0753
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der S N in W, vertreten durch Dr. Reinhard Schwarzkogler, LL.M., Rechtsanwalt in 4650 Lambach, Marktplatz 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. St 60/07, betreffend Ausweisung gemäß § 54 FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin, eine bosnische Staatsangehörige, gemäß § 54 Abs. 1, § 66 Abs. 1 und 2 sowie § 86 und § 87 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG iVm § 55 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) aus dem Bundesgebiet aus.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin habe am in Bden österreichischen Staatsbürger A N. geheiratet und sei am mit einem von der österreichischen Botschaft in S ausgestellten Aufenthaltstitel mit Gültigkeit vom 18. Jänner bis in das Bundesgebiet eingereist. Der am gestellte Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit ihrem Ehemann sei wegen des Verdachtes des Vorliegens einer Aufenthaltsehe rechtskräftig abgewiesen worden. Die Beschwerdeführerin sei weiterhin unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieben und am in Schubhaft genommen worden. Am habe ihr Ehemann niederschriftlich zu Protokoll gegeben, dass es sich um keine Aufenthaltsehe handle und er seine Ehefrau aus Liebe geheiratet habe. Daraufhin sei die Beschwerdeführerin aus der Schubhaft entlassen worden und habe am neuerlich einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit ihrem österreichischen Ehemann gestellt. Der begehrte Aufenthaltstitel sei ihr am mit Gültigkeit bis erteilt worden. Am (somit innerhalb der damals festgelegten Frist gemäß § 24 Abs. 2 NAG) habe die Beschwerdeführerin die Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels für den Aufenthaltszweck "Familienangehöriger" beantragt.
Im Rahmen von Erhebungen sei jedoch festgestellt worden, dass die Beschwerdeführerin seit kein gemeinsames Familienleben mit ihrem Ehemann mehr geführt habe. Dieser sei an diesem Tag aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen und habe sich polizeilich abgemeldet.
Die belangte Behörde gehe vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe aus, weil A N. am anlässlich einer niederschriftlichen Vernehmung glaubwürdig und nachvollziehbar die Anbahnung sowie die Durchführung der Verehelichung beschrieben sowie u.a. ausgesagt habe, dass es "ein normales Familienleben nicht gegeben" habe, die Hochzeit eine Gefälligkeit gegenüber einem Bekannten gewesen sei und es auch keine Hochzeitsnacht gegeben habe. Bei dieser Aussage habe er auch keinerlei Angaben über die familiären Umstände seiner Ehefrau machen können. Nur wenige Tage nach der erstinstanzlichen Ausweisung der Beschwerdeführerin habe deren Ehemann am (richtig: ) seine Aussage vom widerrufen; er habe die Beschwerdeführerin geheiratet, weil sie ihm gefallen habe, und habe immer mit ihr zusammengelebt. Dieser Widerruf - so die belangte Behörde - könne jedoch nicht als glaubwürdig angesehen werden, weil die darin getätigten Ausführungen auch nicht mit den Angaben der Beschwerdeführerin, wonach das Ehepaar nicht in einer gemeinsamen Wohnung lebe, übereinstimmten. Die Angaben von A N. vom würden hingegen durch einen Bericht der Bundespolizeidirektion Wels vom untermauert, wonach bei einer Überprüfung der vermeintlichen Ehewohnung keinerlei persönliche Gegenstände des Ehemannes vorgefunden worden seien. Die das Vorliegen einer Aufenthaltsehe bestreitenden Aussagen der Beschwerdeführerin seien hingegen als Schutzbehauptung zu qualifizieren. Erst auf Vorhalt der ersten Aussage ihres Ehemannes habe auch diese zugegeben, dass das Ehepaar nicht zusammenwohne.
Anschließend gelangte die belangte Behörde im Rahmen einer Interessenabwägung gemäß § 66 FPG zu dem Ergebnis, dass die Ausweisung dringend geboten und auch im Hinblick auf Art. 8 Abs. 2 EMRK zulässig sei.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführerin wurde eine Erstniederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit ihrem österreichischen Ehemann mit Gültigkeit bis erteilt. Am stellte sie - unter Hinweis auf ihre Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger - einen Antrag auf Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels, der gemäß § 24 Abs. 2 NAG (in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl. I Nr. 157/2005) als Verlängerungsantrag galt. Unbestritten führte sie schon seit mit ihrem Ehemann kein gemeinsames Familienleben mehr.
Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die gegenständliche Ausweisung auf § 54 Abs. 1 FPG oder § 86 Abs. 2 FPG zu stützen war, weil jenes Verhalten, von dem die belangte Behörde ausgeht, nämlich das Eingehen einer Aufenthaltsehe, grundsätzlich die Annahme einer solchen Gefährdung, die durch den in § 86 Abs. 2 FPG enthaltenen Verweis auf § 55 Abs. 1 NAG gefordert wird, rechtfertigt. Im Fall des Vorliegens einer Aufenthaltsehe ist aber auch davon auszugehen, dass ein Versagungsgrund im Sinn des § 54 Abs. 1 FPG gegeben ist (vgl. dazu ausführlich das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0011, auf dessen Entscheidungsgründe insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird).
Die Beschwerde wendet sich gegen die Annahme der belangten Behörde hinsichtlich des Vorliegens einer Aufenthaltsehe und begründet dies im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin "festgestelltermaßen" mit ihrem Ehemann rund eineinhalb Jahre in der gemeinsamen Wohnung gelebt habe, bevor dieser die Ehe gebrochen und zu seiner früheren Lebensgefährtin gezogen sei. Die wegen des Ehebruchs eingebrachte Scheidungsklage sei jedoch zurückgezogen worden, weil sich das Ehepaar wieder versöhnt und der Ehemann wieder in die Ehewohnung eingezogen sei. Seit Mai 2007 sei die eheliche Lebensgemeinschaft wieder aufrecht. "Vor ca. einem Monat" habe die Erstbehörde durch die zuständige Polizeiinspektion eine Überprüfung durchführen lassen, wobei festgestellt worden sei, dass das Ehepaar gemeinsam in der Ehewohnung lebe.
Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.
Bereits im Berufungsverfahren stellte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom den Beweisantrag, die Beschwerdeführerin zu vernehmen und den Akt des Scheidungsverfahrens u.a. zum Beweis dafür beizuschaffen, dass sich das Ehepaar wiederum versöhnt habe, in eine Wohnung zusammengezogen und die Scheidungsklage zurückgezogen worden sei.
Dazu beauftragte die belangte Behörde die Polizeiinspektion Schwanenstadt zu erheben, ob sich persönliche Gegenstände von beiden Eheleuten in der vermeintlichen Ehewohnung befänden, ob das Ehepaar nach Aussagen von Nachbarn die Wohnung regelmäßig bewohne oder nur sporadisch anwesend sei, sowie die Eheleute zu befragen, wieso sie erst wieder seit April 2007 einen gemeinsamen Wohnsitz gegründet und anschließend den jetzigen Wohnsitz angemeldet hätten. Einem Bericht der Polizeiinspektion Schwanenstadt vom zufolge lebe das Ehepaar mit Sicherheit in der gemeinsamen Wohnung, es seien von beiden Personen persönliche Gegenstände und Kleidungsstücke gefunden worden. Nach Aussage von A N. funktioniere seine Ehe derzeit, seine Ehefrau verdiene bei Reinigungsarbeiten ca. EUR 780,-- monatlich und es komme lediglich fallweise zu kleinen bedeutungslosen Streitigkeiten. Die gemeinsame Wohnung habe A N. nach einer Zeit der Trennung wieder mit seiner Frau bezogen. Laut Auskunft des Vaters der Vermieterin bewohne das Ehepaar seit Mai 2007 ständig gemeinsam die Wohnung.
Mit diesem Ermittlungsergebnis hat sich die belangte Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung hinsichtlich des Vorliegens einer Aufenthaltsehe jedoch überhaupt nicht auseinandergesetzt. Trifft es jedoch zu, dass das Ehepaar - nachdem es zunächst bis zusammengewohnt hat (Gegenteiliges wurde von der belangten Behörde nicht festgestellt) - nach zwischenzeitlichen Eheschwierigkeiten seit Mai 2007 wiederum ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK führt, kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Annahme der belangten Behörde, es liege eine Aufenthaltsehe vor, zutreffe.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Spruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
HAAAE-71015