VwGH 21.12.2006, 2004/20/0158
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | Mit dem Einlangen eines rechtzeitig eingebrachten Vorlageantrages tritt die Berufungsvorentscheidung außer Kraft. Damit liegt keine dem Rechtsbestand angehörende Entscheidung über die Berufung mehr vor, und die Kompetenz zur Entscheidung über die eingebrachte Berufung geht auf die Berufungsbehörde über (vgl. dazu z.B. den hg. Beschluss vom , Zl. 92/06/0243, und das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/06/0110). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2003/20/0438 E RS 1 |
Normen | |
RS 2 | Die unrichtige Bezeichnung eines Rechtsmittels (hier: des Vorlageantrages als "Berufung") allein vermag dessen Unzulässigkeit nicht zu begründen. Für die Beurteilung des Charakters einer Eingabe ist vielmehr ihr wesentlicher Inhalt, der sich aus dem gestellten Antrag erkennen lässt, und die Art des in diesem gestellten Begehrens maßgebend (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 88/11/0152; vom , Zl. 98/11/0019; vom , Zl. 2002/17/0279, und den hg. Beschluss vom , Zl. 92/17/0034). Eine Umdeutung der unrichtig bezeichneten Eingabe in das vom Gesetz vorgesehene Rechtsmittel käme nur dann nicht in Betracht, wenn sich aus der Rechtsmittelerklärung und dem Rechtsmittelantrag unmissverständlich das Begehren der Partei nach einer Entscheidung über das (unzulässige) Rechtsmittel - insbesondere durch eine im Instanzenzug unzuständige Behörde - ergäbe (vgl. auch dazu den hg. Beschluss vom , Zl. 92/17/0034; sowie die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 98/11/0019, und vom , Zl. 2002/17/0279). Im Beschwerdefall ist in Bezug auf die demnach maßgeblichen Kriterien daraus, dass sich die neuerliche "Berufung" nicht gegen die erste Entscheidung des Bundesasylamtes, sondern ausdrücklich gegen die Berufungsvorentscheidung richtete, nichts für den Standpunkt der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe gegen die Berufungsvorentscheidung "ohne jeden Zweifel" eine (unzulässige) Berufung erhoben, zu gewinnen. Der Vorlageantrag ist nämlich das ordentliche Rechtsmittel gegen die Berufungsvorentscheidung (Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8, Rz 498f und 534/5). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2003/20/0438 E RS 2
(Hier: Die Partei begehrte - bei verständiger Würdigung
insbesondere des Primärantrages in der von der belBeh
zurückgewiesenen "Berufung" - eine Entscheidung in der Sache des
Verwaltungsverfahrens durch die Berufungsbehörde, was als Reaktion
auf die Berufungsvorentscheidung unter den Umständen dieses Falles
als Vorlageantrag zu werten war. Dass in der "Berufung" auf die in
der Berufungsvorentscheidung erstmals enthaltene
Auseinandersetzung des Bundesasylamtes mit den näheren
Fluchtgründen des Asylwerbers und auf die Ergebnisse der zu diesem
Zweck durchgeführten weiteren Einvernahme eingegangen wurde, kann
hier zu keinem anderen Ergebnis führen.) |
Normen | AVG §64a Abs2; VwRallg; |
RS 3 | Der Vorlageantrag darf sich nur darauf richten, dass die ursprüngliche Berufung der Berufungsbehörde vorgelegt wird (Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8, Rz 534/5). Die Tatsache, dass in der neuerlichen "Berufung" (gemeint der Vorlageantrag) des Beschwerdeführers der "Berufungsantrag" gestellt wurde, den "angefochtenen Bescheid" in näher bezeichneter Weise "abzuändern", was sich im sprachlichen Kontext der neuerlichen "Berufung" auf den Bescheid der Berufungsvorentscheidung beziehen konnte, spricht - bei vordergründiger Betrachtung - für die Annahme, der Rechtsmittelantrag habe sich nicht auf die Vorlage der ursprünglichen Berufung gerichtet. Eine solche Deutung würde den Umständen des Beschwerdefalls aber schon deshalb nicht gerecht, weil die neuerliche "Berufung" ihrem Inhalt nach keine Auseinandersetzung mit der Berufungsvorentscheidung, sondern eine praktisch unveränderte Wiederholung der Berufung gegen den ursprünglichen Bescheid des Bundesasylamtes war. Bloß daraus, dass im "Berufungsantrag" der neuerlichen "Berufung" der sprachliche Zusammenhang mit der Berufungsvorentscheidung, gegen den sich dieses Rechtsmittel richtete, nicht durch eine Bezugnahme auf den ursprünglichen Bescheid unterbrochen wurde - was objektiv, abgesehen von der Vermeidung der verfehlten Bezeichnung des Rechtsmittels, geboten gewesen wäre - durfte die belangte Behörde unter den gegebenen Umständen jedenfalls nicht schließen, dass das Rechtsmittel nicht das Begehren auf Herbeiführung einer Entscheidung der belangten Behörde über die ursprüngliche Berufung zum Ausdruck bringe. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2003/20/0438 E RS 3 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des C in S, geboren 1982, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 240.334/1-II/04/04, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Asylangelegenheit (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl, wozu er vor dem Bundesasylamt am und am einvernommen wurde. Bei der Einvernahme am gab er an, in der Türkei wegen Unterstützung der PKK und deshalb, weil seine Brüder kurdische Freiheitskämpfer gewesen seien, verfolgt worden zu sein. Das Protokoll über die Einvernahme am enthielt zwar einleitend den Satz, die nachfolgenden Angaben stammten vom Beschwerdeführer; es gab im weiteren Text aber das Vorbringen eines Asylwerbers aus dem Irak wieder, der in der irakischen Armee gedient habe, im Februar 2003 aus seinem Herkunftsland Irak nach Syrien geflohen und von dort aus im April 2003 nach Österreich gekommen sei.
Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 6 Z 2 und 3 Asylgesetz 1997 idF vor der AsylG-Novelle 2003 (AsylG) als offensichtlich unbegründet ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei fest. In der Begründung dieses Bescheides wurde dem Beschwerdeführer vorgehalten, er habe sich bei der zweiten Einvernahme "als Pseudoiraker ausgegeben" und behauptet, er wäre in der Armee Saddam Husseins ausgebildet worden und hätte "im Irak fungiert". Vergleiche man seine "sämtlichen Vorbringen miteinander", so komme man "unweigerlich zum Ergebnis, dass diese vorgeschützten Sachverhalte nichts miteinander zu tun haben. Es handelt sich dabei ganz offensichtlich um erfundene Geschichten."
Am erhob der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom Berufung und stellte einen Antrag auf Erlassung einer Berufungsvorentscheidung gemäß § 64a AVG sowie Anträge auf Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung, Abänderung des Bescheides dahingehend, dass dem Beschwerdeführer Asyl gewährt werde, Aufhebung des Bescheides und Rückverweisung der Rechtssache an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Entscheidung sowie Abänderung der Feststellung nach § 8 AsylG dahingehend, dass das Refoulement des Beschwerdeführers in die Türkei unzulässig sei. Begründend führte er aus, dass der Beschwerdeführer die im Bescheid als Ergebnis der Einvernahme am wiedergegebenen Angaben nicht gemacht habe. Es müsse bei dieser Einvernahme zu einer Verwechslung von Niederschriften gekommen sein, sodass die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes auf einem vom Beschwerdeführer nicht vorgebrachten Sachverhalt beruhe.
Nach einer weiteren Einvernahme vor dem Bundesasylamt am über die Einzelheiten der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgung in der Türkei wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom "gemäß § 64a" AVG "in Verbindung mit § 6 Z 2 und 3 AsylG 1997" dem "Antrag auf Berufungsvorentscheidung stattgegeben und der Bescheid des Bundesasylamtes vom (gemeint: 2003) ... nach einer Verfahrensberichtigung erlassen mit folgendem Spruch". In dem an diese Formulierung anschließenden Spruch des Bescheides wurde I. der Asylantrag vom gemäß § 7 AsylG abgewiesen und II. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt. In der Begründung wurde u.a. dargelegt, beim "Generieren der Niederschrift" (gemeint: am ) sei es "durch einen dienstzugeteilten Organwalter des Bundesasylamtes zu einer Verwechslung von Aktenteilen gekommen und wurde Ihnen irrtümlich eine Niederschrift zur Vidierung vorgelegt, die von einem anderen Antragsteller ... stammte. Diese Niederschrift wurde schließlich im weiteren Prozess von dem zur Entscheidung approbierten Organwalter dem nunmehr bekämpften Bescheid zugrundegelegt, so dass die Entscheidung fehlgeleitet wurde."
Mit Schriftsatz vom erhob der weiterhin anwaltlich vertretene Beschwerdeführer "Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes Außenstelle Salzburg vom , zugestellt am ". In dieser Berufung setzte er sich unter der Überschrift "Verfahrensverletzung des angefochtenen Bescheides" ausführlich mit der in der Berufungsvorentscheidung vom vorgenommenen Beweiswürdigung des Bundesasylamtes auseinander und bemängelte weiters das Fehlen von "Ermittlungen in Bezug auf die Abschiebesituation des (Beschwerdeführers)". Er beantragte die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung und stellte die folgenden Berufungsanträge:
"1. es möge der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert werden, dass dem (Beschwerdeführer) Asyl gewährt wird;
2. es möge der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Rechtssache an die Behörde I. Instanz zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen werden;
3. es möge der angefochtene Bescheid in seinem Spruchpunkt II dahingehend abgeändert werden, dass festgestellt wird, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des (Beschwerdeführers) in die Türkei gem. § 8 AsylG unzulässig ist".
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde die "Berufung des CY (Beschwerdeführer) vom gegen die Berufungsvorentscheidung des Bundesasylamtes vom , Zl (...) im Grunde des § 64a AVG als unzulässig zurückgewiesen".
Begründend führte die belangte Behörde aus, die ausdrücklich so bezeichnete Berufung vom nenne einleitend eindeutig den "Bescheid des Bundesasylamtes ... vom , zugestellt am ", enthalte die "Anfechtungserklärung", wonach der oben genannte Bescheid angefochten werde, und schließe, nach ausführlicher Darstellung der "Verfahrensverletzung des angefochtenen Bescheides", mit den oben wiedergegebenen Berufungsanträgen. Es sei angesichts des Umstandes, dass der von einer zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugten, rechtskundigen Person verfasste Schriftsatz vom nicht nur einmal, etwa irrtümlich, ausdrücklich als "Berufung" bezeichnet sei, sondern auch in seinem gesamten übrigen Erscheinungsbild eindeutig den Charakter einer Berufung gegen den -
ebenfalls ausdrücklich bezeichneten - Bescheid des Bundesasylamtes vom trage, ausgeschlossen, diesen Schriftsatz, etwa im Wege des § 13 Abs. 3 AVG, in einen Vorlageantrag im Sinne des § 64a Abs. 2 AVG umzudeuten, zumal dieser gerade nicht zu einer - eindeutig einzig angestrebten - Überprüfung des Bescheides des Bundesasylamtes vom , sondern zu einer Zuständigkeit der belangten Behörde zur Entscheidung über die Berufung vom gegen den Bescheid vom , also zu einem anderen Verfahrensgegenstand, geführt hätte.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Beschwerde wirft Rechtsfragen auf, mit denen sich der Verwaltungsgerichtshof in dem in wesentlichen Punkten ähnlichen, mit dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/20/0438, erledigten Fall bereits auseinander gesetzt hat. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird daher auf das genannte Erkenntnis verwiesen, wobei nur hinzuzufügen ist, dass auch im vorliegenden Fall die Partei - bei verständiger Würdigung insbesondere des Primärantrages in der von der belangten Behörde zurückgewiesenen "Berufung" - eine Entscheidung in der Sache des Verwaltungsverfahrens durch die Berufungsbehörde begehrt hatte, was als Reaktion auf die Berufungsvorentscheidung unter den Umständen dieses Falles als Vorlageantrag zu werten war. Dass in der "Berufung" auf die in der Berufungsvorentscheidung, anders als im Fall des Vorerkenntnisses, erstmals enthaltene Auseinandersetzung des Bundesasylamtes mit den näheren Fluchtgründen des Beschwerdeführers und auf die Ergebnisse der zu diesem Zweck durchgeführten weiteren Einvernahme eingegangen wurde, kann hier zu keinem anderen Ergebnis führen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | AsylG 1997 §7; AsylG 1997 §8; AVG §13; AVG §64a Abs2; AVG §64a Abs3; AVG §66 Abs4; VwGG §42 Abs2 Z1; VwRallg; |
Schlagworte | Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2006:2004200158.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
CAAAE-71008