Suchen Hilfe
VwGH vom 16.06.2011, 2007/18/0737

VwGH vom 16.06.2011, 2007/18/0737

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des S Y in V, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Glawitsch, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. St 112/07, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, einen iranischen Staatsangehörigen, gemäß § 62 Abs. 1 iVm § 63 und § 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Rückkehrverbot erlassen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe einen Asylantrag gestellt. (Das diesbezügliche Verfahren war zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch anhängig.)

Das Landesgericht Korneuburg habe den Beschwerdeführer am rechtskräftig gemäß § 223 und § 224 (Urkundenfälschung) sowie § 15 und § 127 StGB (versuchter Diebstahl) zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Wochen verurteilt.

Durch dieses Verhalten habe der Beschwerdeführer dokumentiert, dass er an der Einhaltung der Rechts- und Werteordnung der Republik Österreich kein Interesse habe.

In seiner Stellungnahme vom habe der Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs darauf hingewiesen, dass seine Freiheitsstrafe von acht Wochen bedingt nachgesehen worden sei und angesichts dessen die Behörde nicht mit der Erlassung eines Rückkehrverbotes gegen ihn vorgehen müsse. Die österreichische Rechts- und Werteordnung werde durch die Vorlage eines gefälschten französischen Reisepasses bzw. Führerscheins und den Diebstahl von Rasierklingen nicht wirklich gefährdet, und der Beschwerdeführer stelle keine Gefahr für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe sich mit einem gefälschten französischen Reisepass bzw. Führerschein ausgewiesen und dadurch versucht, seine Identität zu verschleiern. Außerdem habe er am versucht, Rasierklingen zu stehlen und sei deshalb vom Landesgericht Korneuburg verurteilt worden. Er halte sich erst seit kurzer Zeit in Österreich auf und habe bereits "beachtliche Delikte" begangen. Von Personen, die versuchten, ihre Identität zu verschleiern, gehe immer eine große Gefahr aus. Das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers reiche aus, um eine beachtliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Österreich darzustellen.

Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 66 FPG gelangte die belangte Behörde zu dem Ergebnis, dass die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Rückkehrverbotes wesentlich schwerer wögen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Auch eine Ermessensübung gemäß § 62 Abs. 1 FPG habe nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers ausgeübt werden können.

II.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 62 Abs. 1 FPG kann gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z. 2). Als bestimmte Tatsache in diesem Sinn hat (u.a.) zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist (§ 62 Abs. 2 iVm § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG). Bei der Erstellung der für jedes Rückkehrverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 62 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0556, zu der inhaltsgleichen Bestimmung des § 60 Abs. 1 FPG).

Der Beschwerdeführer wendet sich nicht gegen die - zutreffende - behördliche Rechtsansicht, dass ein Rückkehrverbot auch unmittelbar gestützt auf § 62 Abs. 1 FPG verhängt werden kann, wenn zwar keiner der Tatbestände des § 60 Abs. 2 iVm § 62 Abs. 2 FPG erfüllt ist, wohl aber triftige Gründe vorliegen, die in ihrer Gesamtheit eine der in § 62 Abs. 1 FPG umschriebenen Annahmen rechtfertigen. Er weist jedoch darauf hin, dass die bedingt nachgesehene Haftstrafe von acht Wochen erheblich unter jenen in § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG genannten liege und die belangte Behörde keine besonderen Umstände angeführt habe, die eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe und Ordnung rechtfertigen könnten. Einerseits falle der versuchte Diebstahl von Rasierklingen "in den absoluten Bagatellbereich strafrechtlich relevanten Verhaltens". Andererseits sei es im Hinblick auf eine Asylantragstellung und eine Gefährdung in der Heimat auch nachvollziehbar, dass aus Anlass der Flucht verfälschte (öffentliche) Urkunden verwendet würden, um die Flucht zu ermöglichen oder zu erleichtern.

Diesem Einwand kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Der belangten Behörde ist zwar zunächst darin beizupflichten, dass der Beschwerdeführer durch die Vorlage eines gefälschten französischen Führerscheins und eines gefälschten französischen Reisepasses eine Stellung als EU-Bürger und ein dieser entsprechendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet vorzutäuschen versucht habe. Damit liegt eine dem Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 6 FPG zumindest nahe kommende Sachverhaltskonstellation vor (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom , mwN). Gemäß § 62 Abs. 2 FPG rechtfertigt dieser Tatbestand jedoch nicht die Erlassung eines Rückkehrverbotes gegen einen Asylwerber (vgl. dazu die nähere Begründung im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0067, auf die gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird).

Angesichts dessen und des Umstandes, dass kein Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt ist, hätte die belangte Behörde besonders begründen müssen, weshalb sie im vorliegenden Fall auf Grund der in Rede stehenden Handlungen davon ausgegangen ist, der Beschwerdeführer gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Dass der Beschwerdeführer bereits kurze Zeit nach seiner Einreise in das Bundesgebiet straffällig wurde, stellt - ohne entsprechend begründete individuelle Gefährdungsprognose - keine ausreichende Begründung für das Vorliegen triftiger Gründe dar, die in ihrer Gesamtheit eine im § 62 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme rechtfertigen könnten.

Da die belangte Behörde dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
TAAAE-70963