VwGH vom 14.09.2016, Ra 2016/18/0077

VwGH vom 14.09.2016, Ra 2016/18/0077

Betreff

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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schweda, über die Revision der L P in T, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W175 2122812- 1/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Regionaldirektion Niederösterreich), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf internationalen Schutz der Revisionswerberin, einer nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) wegen Zuständigkeit Italiens nach Art. 18 Abs. 1 lit. d der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) als unzulässig zurück. Weiters wurde gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG) die Außerlandesbringung angeordnet und die Abschiebung der Revisionswerberin nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG für zulässig erklärt.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die von der Revisionswerberin gegen den Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

3 Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zusammengefasst vor, das Bundesverwaltungsgericht habe es - ungeachtet des Wortlautes des § 58 AsylG 2005 - aus näher umschriebenen unions- und verfassungsrechtlichen Erwägungen zu Unrecht unterlassen, der Revisionswerberin, die in Italien Opfer von Menschenhandel bzw. grenzüberschreitendem Prostitutionshandel geworden sei, einen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 zu erteilen. Aufgrund des Vorbringens der Revisionswerberin, von Menschenhändlern unter falschen Versprechen aus Nigeria nach Italien gelockt und dort zur Prostitution gezwungen worden zu sein, wären die Asylbehörden verpflichtet gewesen, Anzeige wegen des Verdachtes nach den §§ 104a und 217 StGB zu erstatten, womit die Voraussetzungen für die Erteilung des oben genannten Aufenthaltstitels vorgelegen wären. Die inländische Gerichtsbarkeit als Voraussetzung für ein Tätigwerden der Strafverfolgungsbehörden sei gegeben, weil die Revisionswerberin während ihres in Österreich anhängigen Asylverfahrens ihren gewöhnlichen Aufenthalt iSd § 64 Abs. 1 Z 4a lit. a StGB iVm § 66 Abs. 2 JN im Bundesgebiet habe.

Überdies sei das Bundesverwaltungsgericht, indem es keine mündliche Verhandlung durchgeführt habe, von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG bzw. § 24 VwGVG abgewichen; zu den Voraussetzungen einer Verhandlung nach § 21 Abs. 6a BFA-VG fehle im Übrigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

4 Die Revision ist zur Rechtsfrage der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 in Dublin-Verfahren zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

5 § 57 AsylG 2005 samt Überschrift (idF BGBl. I Nr. 70/2015)

lautet auszugsweise:

"'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz'

§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:


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1.
(...)
2.
zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich
strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3.
(...)

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(...)"

6 § 58 AsylG 2005 samt Überschrift (idF BGBl. I Nr. 70/2015)

lautet auszugsweise:

"Antragstellung und amtswegiges Verfahren

§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines

Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a

zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der

Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der

Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen

wird,

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt

wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär

Schutzberechtigten kommt,

4. einem Fremden der Status des subsidiär

Schutzberechtigten aberkannt wird oder

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet

aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

(...)"

7 § 58 Abs. 1 AsylG 2005 legt fest, unter welchen Voraussetzungen das BFA die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen hat. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz - wie im vorliegenden Fall - gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 aufgrund der festgestellten Zuständigkeit eines anderen Staates zurückgewiesen, muss eine amtswegige Prüfung mangels Erwähnung dieser Fallkonstellation in § 58 Abs. 1 AsylG 2005 nicht erfolgen.

8 Soweit die Revision mit näherer Begründung geltend macht, die geschilderte Rechtslage widerspreche einerseits dem Unionsrecht (und zwar der Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer bzw. der Richtlinie 2004/81/EG über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer von Menschenhandel sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren) und andererseits dem österreichischen Verfassungsrecht, weil - ohne sachliche Rechtfertigung - die amtswegige Prüfung von Aufenthaltstiteln nach § 57 AsylG 2005 nur im Dublin-Verfahren unterbleibe, ist ihr zu erwidern, dass diese Rechtsfragen fallbezogen nicht gelöst werden müssen, weil für die Revisionswerberin keinesfalls das von ihr angestrebte Ergebnis erzielt werden kann.

9 Die Revision macht nämlich zum einen nicht geltend, dass der Revisionswerberin in Italien kein staatlicher Schutz gegen die dort behauptete Bedrohung durch Menschenhändler gewährt würde, weshalb sich Überlegungen zum Selbsteintritt nach Art. 17 Dublin III-Verordnung wegen einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK bei Überstellung nach Italien schon deshalb erübrigen.

10 Zum anderen wäre auch bei einer - von der Revision geforderten - amtswegigen Prüfung der Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 durch das BVwG fallbezogen kein anderes Ergebnis zu erzielen gewesen, weil ein Strafverfahren oder ein Verfahren zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche im Zusammenhang mit den vorgebrachten strafbaren Handlungen im Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG nicht begonnen worden war und daher die objektive Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nach dessen Abs. 3 nicht vorlagen.

11 Wenn die Revision mit Bezug darauf argumentiert, das BVwG wäre zur Anzeigeerstattung an die Strafbehörde verpflichtet gewesen und hätte damit ein Strafverfahren in Gang zu setzen gehabt, ist ihr zu erwidern, dass dem Verwaltungsgericht ein ausreichender Verdacht für eine in Österreich zu verfolgende Auslandsstraftat schon deshalb nicht vorlag, weil die Voraussetzungen für eine inländische Zuständigkeit nach § 64 Abs. 1 Z 4a lit. a bis c StGB - soweit nach der Aktenlage ersichtlich - nicht gegeben waren. In diesem Zusammenhang stützt sich die Revision nämlich nur darauf, dass die Zuständigkeit eines österreichischen Strafgerichts in Fällen von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel, der sich im Ausland zugetragen hat, auch dann gegeben ist, wenn zumindest das Opfer seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat, und sie vermeint, dass dies für die Revisionswerberin zutreffe.

12 Dem ist jedoch aus zweierlei Gründen nicht zuzustimmen. So ist zum Einen darauf zu verweisen, dass nach hL für die inländische Zuständigkeit der gewöhnliche Aufenthalt des Opfers im Zeitpunkt der Tat und nicht im Zeitpunkt des Strafverfahrens maßgeblich ist (vgl. etwa Salimi in Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch2 (2016), § 64 Rz 66f, und Schwaighofer in Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch (2014), § 64 Rz 75ff) und schon aus diesem Grund keine Zuständigkeit eines österreichischen Strafgerichts vorliegen dürfte. Zum Anderen vermag auch bei Abstellen auf den Zeitpunkt des Strafverfahrens der bloß kurzfristige Aufenthalt der Revisionswerberin in Österreich bis zur Entscheidung über die Zulässigkeit ihres hier gestellten Antrags auf internationalen Schutz einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet - jedenfalls fallbezogen (das Zulassungsverfahren wurde innerhalb von 3 ½ Monaten ab der Einreise bis zur angefochtenen Entscheidung abgeschlossen) - nicht zu begründen. Der gewöhnliche Aufenthalt einer Person hängt nämlich nicht von deren Absicht, dauernd an einem Ort verbleiben zu wollen, ab, sondern bestimmt sich danach, ob jemand tatsächlich einen Ort zum Mittelpunkt seines Lebens, seiner wirtschaftlichen Existenz und seiner sozialen Beziehungen macht. Die Dauer des Aufenthalts ist für sich allein zwar kein ausschlaggebendes Moment, sie muss aber zumindest in einem solchen Ausmaß vorhanden sein, dass nicht bloß von einem vorübergehenden Aufenthalt auszugehen ist und die betroffene Person in dieser Zeit dauerhafte Beziehungen zu ihrem Aufenthaltsort knüpfen konnte (vgl. zu den maßgeblichen Kriterien für die Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts etwa RIS-Justiz RS 0046577; Fasching/Konecny , Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen I3, (2013), § 66 JN Rz 24ff). Davon kann fallbezogen nicht ausgegangen werden.

13 Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass mit der Richtlinie 2011/36/EU vom zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer auch ein europaweiter rechtlicher Rahmen für ein integriertes, ganzheitliches und menschenrechtsbasiertes Vorgehen bei der Bekämpfung des Menschenhandels in den Mitgliedstaaten geschaffen wurde, der somit auch in Italien gilt (vgl. Erwägungsgrund 7 der Richtlinie).

14 Zum relevierten Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ist darauf hinzuweisen, dass sich der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Ra 2016/19/0072, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, u.a. eingehend mit der Frage auseinandergesetzt hat, unter welchen Voraussetzungen das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann.

15 Zu dieser in der Revision aufgeworfenen Rechtsfrage liegt somit bereits höchstgerichtliche Rechtsprechung vor und ist nicht erkennbar, dass das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall von dieser Rechtsprechung abgewichen wäre.

16 Da sohin bereits der Inhalt der Revision erkennen lässt, dass die vom Revisionswerber behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, war die Revision gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am