VwGH vom 12.04.2011, 2007/18/0732
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des M S in W, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 14, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/353.283/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, einen indischen Staatsangehörigen, gemäß § 62 Abs. 1 und 2 iVm § 60 Abs. 2 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein Rückkehrverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer sei am nach Österreich gelangt und habe einen Asylantrag gestellt, der im Instanzenzug anhängig sei. Er verfüge über eine vorläufige asylrechtliche Aufenthaltsberechtigung.
Am sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien gemäß den §§ 127 und 130 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten rechtskräftig verurteilt worden, weil er von Anfang Juli (2006) bis gewerbsmäßig in wiederholten Angriffen durch Umdrehen und Schütteln von bei Selbstbedienungszeitungsständern angebrachten Kassen Bargeldbeträge von insgesamt EUR 2.000,-- gestohlen habe.
Der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG sei erfüllt. Das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit - in concreto: das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität - in erheblichem Ausmaß, sodass die Voraussetzungen zur Erlassung des Rückkehrverbotes im Grunde des § 62 Abs. 1 leg. cit. verwirklicht seien.
Der Beschwerdeführer verfüge laut seinen Angaben - ohne dies zu konkretisieren - im Inland angeblich über familiäre Bindungen zu seiner slowakischen Lebensgefährtin und einem gemeinsamen Kind. (Laut dem erstinstanzlichen Bescheid vom , auf dessen Gründe von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid verwiesen wird, habe der Beschwerdeführer ein Kind, das bei seiner slowakischen Freundin in Österreich lebe, wobei ihm nähere Angaben bezüglich seiner Freundin und seines Kindes "leider unbekannt" gewesen seien. Ferner habe er bei seiner Vernehmung am angegeben, dass zu Österreich weder familiäre noch berufliche Bindungen bestünden und er seinen Lebensunterhalt durch Gelegenheitsarbeiten bestritten habe.)
Der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid weiter - sei seit knapp vier Jahren im Bundesgebiet aufhältig. Es sei daher von einem mit dem Rückkehrverbot verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen. Dessen ungeachtet sei die Erlassung des Rückkehrverbotes zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens - dringend geboten und sohin im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG zulässig. Das wiederkehrende (gleichgelagerte) strafbare Verhalten des Beschwerdeführers verdeutliche sehr auffällig, dass er nicht gewillt sei, die für ihn maßgebenden Rechtsvorschriften seines Gastlandes einzuhalten. Insbesondere vor dem Hintergrund der gewerbsmäßigen Tatbegehungen könne eine Verhaltensprognose nicht zu seinen Gunsten gestellt werden.
Im Rahmen der nach § 66 Abs. 2 leg. cit. vorzunehmenden Interessenabwägung sei auf den knapp vierjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet Bedacht zu nehmen. Ungeachtet dessen könne er sich jedoch nicht mit Erfolg auf eine daraus ableitbare relevante Integration berufen, weil diese durch sein strafbares Verhalten wesentlich relativiert werde. Auch seine familiären Bindungen seien zu relativieren, weil er über seine Lebensgefährtin und sein Kind keine näheren, überprüfbaren Angaben gemacht habe.
Bei Gegenüberstellung dieser geschmälerten privaten und familiären Interessen und der hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen wögen die Auswirkungen eines Rückkehrverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers (und allenfalls seiner Familie) keinesfalls schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Auf Grund der unstrittig feststehenden rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers ist der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG, dem gemäß § 62 Abs. 2 leg. cit. bei der Erlassung eines Rückkehrverbotes Bedeutung zukommt, erfüllt.
1.2. Nach den von der Beschwerde ebenso nicht bestrittenen Feststellungen der belangten Behörde hat der Beschwerdeführer von Anfang Juli 1996 bis aus Kassen von Selbstbedienungszeitungsständern Geldbeträge von insgesamt EUR 2.000,-- gestohlen, wobei er gewerbsmäßig, das heißt in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Straftat eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (vgl. § 70 StGB), gehandelt hat. In Anbetracht dieses Fehlverhaltens des Beschwerdeführers und des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Eigentumskriminalität (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0417) begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass die Voraussetzungen zur Erlassung dieser Maßnahme im Grunde des § 62 Abs. 1 leg. cit. erfüllt seien, keinen Bedenken.
Wenn die Beschwerde vorbringt, dass der Beschwerdeführer diese Straftaten zur Erfüllung seiner familienrechtlichen Verpflichtungen begangen habe, so handelt es sich dabei um eine im Verwaltungsverfahren noch nicht aufgestellte Behauptung, sodass darauf wegen des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbotes (vgl. dazu § 41 Abs. 1 erster Satz VwGG) nicht weiter einzugehen ist. Auch sein Hinweis auf eine wirtschaftliche Notlage ändert nichts an der Tatbestandsmäßigkeit seines Verhaltens im Sinn der §§ 127, 130 StGB und daran, dass einer solchen Notlage auch auf andere Weise als durch die Begehung von gerichtlich strafbaren Handlungen - wie im vorliegenden Fall des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls, noch dazu über einen Zeitraum von rund einem halben Jahr - begegnet werden kann.
2. In Bezug auf die Interessenabwägung nach § 62 Abs. 3 iVm § 66 Abs. 1 und 2 FPG wendet sich die Beschwerde gegen die Ausführungen der belangten Behörde, wonach die familiären Bindungen des Beschwerdeführers im Hinblick darauf, dass er darüber keine näheren überprüfbaren Angaben gemacht habe, zu relativieren seien, mit dem Vorbringen, dass die belangte Behörde auf Grund ihrer Ermittlungsverpflichtung allfällige Unklarheiten durch ergänzende Ermittlungen hätte beseitigen müssen. Die belangte Behörde habe sich in keiner Weise umfassend mit der Gestaltung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet auseinandergesetzt, obwohl er über soziale, berufliche und familiäre Bindungen verfüge. Auf Grund der langen Aufenthaltsdauer seit seiner Einreise am und des Umstandes, dass er mit einer Lebensgefährtin ein gemeinsames Kind habe, sowie auf Grund seines Beschäftigungsverhältnisses sei eine Aufenthaltsverfestigung naheliegend. Die zahlreichen Bindungen des Beschwerdeführers hätten ihm seinen Aufenthalt im Bundesgebiet ermöglicht und seine soziale Integration bewirkt und gefördert.
2.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Der Beschwerdeführer hat weder bei seiner Vernehmung im erstinstanzlichen Verfahren am noch in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid, in dem bezüglich einer Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers lediglich von Gelegenheitsarbeiten die Rede ist, behauptet, dass er in einem bestimmten Beschäftigungsverhältnis stehe. Insoweit verstößt die Beschwerdebehauptung, dass auf Grund "des Beschäftigungsverhältnisses" eine Aufenthaltsverfestigung naheliegend sei, gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot. Was nun die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten weiteren Bindungen im Bundesgebiet anlangt, so hat der Beschwerdeführer bei seiner Vernehmung am noch ausgesagt, dass er ein Kind in Österreich habe, das bei seiner slowakischen Freundin lebe, "nähere Daten" ihm jedoch "leider" unbekannt seien und zu Österreich weder familiäre noch berufliche Bindungen bestünden. Aus diesen Angaben ist abzuleiten, dass er offensichtlich mit diesen Personen nicht zusammenlebt und zu ihnen auch keinen sonstigen Kontakt hat.
Obwohl die erstinstanzliche Behörde in ihrem Bescheid vom auf dieses Vernehmungsergebnis hingewiesen und die Auffassung vertreten hat, dass der Beschwerdeführer über die behaupteten familiären Bindungen in Österreich nicht verfüge, wurden vom Beschwerdeführer in seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung - sieht man davon ab, dass er darin die Mutter des Kindes als seine "Lebensgefährtin" bezeichnete, mit der er ein gemeinsames Kind habe - keine näheren Angaben zu den von ihm behaupteten "zahlreichen sozialen, familiären" Bindungen erstattet. Auch in seiner Beschwerde legt er nicht dar, welche Feststellungen in Bezug auf die genannte "Lebensgefährtin" und das Kind zu treffen gewesen wären.
Entgegen der Beschwerdeansicht war die belangte Behörde daher nicht gehalten, im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht (vgl. dazu § 39 Abs. 2 AVG) weitere Ermittlungen über die vom Beschwerdeführer nur allgemein behaupteten Bindungen vorzunehmen, sodass der behauptete Verfahrensmangel nicht vorliegt. Demzufolge ist auch die Beurteilung der belangten Behörde, dass die angeblichen, vom Beschwerdeführer behaupteten familiären Bindungen mangels Konkretisierung und näherer, überprüfbarer Angaben durch ihn zu relativieren seien, nicht zu beanstanden.
Wenn die Beschwerde darauf, dass sich der Beschwerdeführer seit , somit im maßgeblichem Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides seit rund 3 3/4 Jahren, im Bundesgebiet aufgehalten hat, und auf seine daraus ableitbare Integration hinweist, so ist ihr mit der belangten Behörde zu erwidern, dass eine aus diesem Aufenthalt ableitbare Integration durch die Begehung des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls über einen mehrmonatigen Zeitraum erheblich relativiert wird, zumal der Beschwerdeführer nur auf Grund einer vorläufigen asylrechtlichen Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet aufhältig war.
Der Beschwerde ist es daher nicht gelungen, die von der belangten Behörde gemäß § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung in Frage zu stellen, und es begegnet somit diese Beurteilung keinem Einwand.
3. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am