VwGH vom 16.02.2012, 2010/01/0012
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des B M in L, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Maria-Theresia-Straße 9, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom , Zl. IKD(Stb)-414324/14-2010- Gru/Ha, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer wurde am in Kamerun geboren. Er lebt seit 1998 in Österreich und heiratete am die österreichische Staatsbürgerin C.M.D. Am beantragte er bei der belangten Behörde die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde dem Beschwerdeführer mit Wirkung vom "nach § 11a des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985" die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.
Mit dem angefochtenen Bescheid entschied die belangte Behörde wie folgt:
"1. Das Verwaltungsverfahren … zur Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an Herrn B.M. wird gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) in dem Stand wieder aufgenommen, in dem es sich vor Erlassung des Verleihungsbescheids … befunden hat.
2. Das Ansuchen von Herrn B.M. vom auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wird gemäß § 11a Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 idF. des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 124/1998, abgewiesen."
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Ehe des Beschwerdeführers mit der österreichischen Staatsbürgerin C.M.D mit Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom geschieden worden sei. Dabei habe der Beschwerdeführer angegeben, dass seine eheliche Lebensgemeinschaft mit C.M.D unheilbar zerrüttet und seit mehr als einem halben Jahr aufgehoben sei. Durch das Eingeständnis des Antragstellers ergebe sich eindeutig, dass bereits im Frühjahr 2002 die "eheliche Lebensgemeinschaft im Sinne einer umfassenden Wohnungs-, Wirtschafts-, Lebens- und Geschlechtsgemeinschaft" nicht mehr bestanden habe. Dies ergebe sich weiters aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer sofort nach der Scheidung nach Afrika gereist sei, wo bereits im Dezember 2002 ein von ihm gezeugtes Kind (von seiner nunmehrigen kamerunesischen Ehefrau) geboren worden sei. Dessen ungeachtet habe der Beschwerdeführer bei Ausfolgung des Verleihungsbescheides angegeben, dass seine Ehe mit C.M.D noch immer aufrecht sei, sie im gemeinsamen Haushalt lebten und kein Verfahren auf Ehescheidung anhängig sei. Der Beschwerdeführer habe dadurch die belangte Behörde hinsichtlich des Bestehens einer ehelichen Gemeinschaft in die Irre geführt. Da der Beschwerdeführer den für ihn positiven Verleihungsbescheid erschlichen habe, sei das Verfahren nach § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG wieder aufzunehmen gewesen. Die Abweisung des Staatsbürgerschaftsansuchens ergebe sich daraus, dass die Verleihungsvoraussetzungen des § 11a StbG "in der damals geltenden Fassung nicht mehr erfüllt" gewesen seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. Rechtslage:
§ 11a Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 in der - zum Zeitpunkt der Verleihung geltenden - Fassung vor der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, also in der Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 (im Folgenden: StbG aF), lautet auszugsweise:
"§ 11a. (1) Einem Fremden ist unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8 und Abs. 3 die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn
1. sein Ehegatte Staatsbürger ist und im gemeinsamen Haushalt mit ihm lebt,
2. die Ehe weder von Tisch und Bett oder sonst ohne Auflösung des Ehebandes gerichtlich geschieden ist,
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3. | ... und |
4. a) | die Ehe seit mindestens einem Jahr aufrecht ist und er seinen Hauptwohnsitz seit mindestens vier Jahren ununterbrochen im Gebiet der Republik hat oder bei einer Ehedauer von mindestens zwei Jahren ein solcher Wohnsitz seit mindestens drei Jahren besteht oder |
..." | |
§ 64a des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 in der Fassung der - am in Kraft getretenen - Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I Nr. 37/2006 (im Folgenden: StbG), lautet: | |
"In-Kraft-Treten und Übergangsbestimmungen |
§ 64a. ...
(4) Verfahren auf Grund eines vor dem In-Kraft-Treten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 37/2006 erlassenen Zusicherungsbescheides nach § 20 Abs. 1 sind nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes in der vor der durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 37/2006 geänderten Fassung zu Ende zu führen."
2. Zur Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG:
Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen diesen Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist. Gemäß § 69 Abs. 3 AVG kann die Wiederaufnahme des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Abs. 1 auch von Amts wegen verfügt werden.
Die für die Erschleichung eines Bescheides notwendige Irreführungsabsicht setzt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes voraus, dass die Partei wider besseres Wissen gehandelt hat, um einen vielleicht sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen. Ob Irreführungsabsicht vorliegt, kann nur aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen geschlossen werden, die von der Behörde in freier Beweiswürdigung festzustellen sind (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2007/01/0674, und vom , Zl. 2008/01/0357, jeweils mwN).
Im vorliegenden Fall begründete die belangte Behörde die Erschleichungsabsicht (Erschleichung des Verleihungsbescheides) damit, der Beschwerdeführer habe die belangte Behörde (im Verleihungsverfahren) am über das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft mit der Ehegattin C.M.D. getäuscht, weil diese Lebensgemeinschaft damals nicht mehr aufrecht gewesen sei.
Fallbezogen ist unstrittig, dass die Ehe des Beschwerdeführers mit der österreichischen Staatsbürgerin C.M.D bis zum Zeitpunkt der Rechtskraft (nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten: am ) der Scheidung seit über drei Jahren bestand und der Beschwerdeführer somit im Verleihungszeitpunkt das Erfordernis der aufrechten Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin im Sinne des § 11a Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit Abs. 4 lit. a StbG aF erfüllte.
Die Erfüllung des in § 11a Abs. 1 Z. 1 StbG aF normierten Tatbestandselementes "Leben im gemeinsamen Haushalt" ist eine weitere Verleihungsvoraussetzung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/01/0368, mwN).
Im vorliegenden Fall nahm die belangte Behörde auf Grund der im Scheidungsverfahren nach § 55a EheG in diesem Zusammenhang vom Beschwerdeführer und der Ehegattin C.M.D. (vor dem zuständigen Bezirksgericht) abgegebenen Erklärung, die eheliche Gemeinschaft sei seit spätestens April 2002 aufgehoben sowie aufgrund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer "sofort nach der Scheidung" nach Afrika gereist sei, als erwiesen an, dass die eheliche Lebensgemeinschaft am nicht (mehr) gegeben gewesen.
Auf das (aktuelle) Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft nach § 55a Ehegesetz kommt es gemäß § 11a StbG aF (vgl. demgegenüber § 11a Abs. 1 Z. 2 StbG idF BGBl I Nr. 122/2009) jedoch nicht an bzw. stellt die Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft - verstanden als Verlust jeder Ehegesinnung - für sich allein noch kein Verleihungshindernis dar (vgl. das erwähnte hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/01/0674).
Die einvernehmliche Scheidung nach § 55a EheG setzt die Aufhebung der "ehelichen Lebensgemeinschaft" voraus, also einen (auch einseitigen Mangel) an jeder Ehegesinnung, welcher durch äußere Momente wie die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft kundgetan sein kann, aber nicht muss. Die eheliche Lebensgemeinschaft kann daher trotz gemeinsamen Wohnens und Wirtschaftens - etwa aus Gründen der Wohnungsnot oder im Interesse der Kinder - bereits aufgehoben oder umgekehrt auch bei getrenntem Wohnen noch aufrecht sein. Entscheidend ist allein der Verlust der ehelichen Gesinnung.
Davon ausgehend hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass ein Ehescheidungsbeschluss nach § 55a EheG bzw. die in diesem Zusammenhang abgegebene Erklärung, die eheliche Lebensgemeinschaft sei seit mindestens einem halben Jahr aufgelöst, Ermittlungen der Staatsbürgerschaftsbehörde zum Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes im Sinne des § 11a StbG aF nicht entbehrlich macht.
In diesem Sinn ist eine Ehescheidung nach § 55a EheG in der Regel ein wesentlicher Ansatzpunkt für ein weitergehendes behördliches Ermittlungsverfahren zur Frage des (Nicht )Bestehens eines gemeinsamen Haushaltes der Eheleute im Verleihungszeitpunkt (vgl. abermals das erwähnte hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/01/0357, mwN).
Zudem wird zum Begriff des gemeinsamen Haushaltes im Sinne des § 11a Abs. 1 Z. 1 StbG aF gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Begründung im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/01/1144, verwiesen.
In Verkennung dieser Rechtslage hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid Feststellungen zur Frage, ob der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Verleihung mit seiner damaligen Ehefrau (noch) im gemeinsamen Haushalt im Sinne des § 11a Abs. 1 Z. 1 StbG aF gelebt hat, nicht getroffen. Fallbezogen ist zu ergänzen, dass der bloße Hinweis, dass der Beschwerdeführer - zu einem nicht näher konkretisierten Zeitpunkt - nach der Scheidung nach Afrika gereist ist, keinen Rückschluss auf das Bestehen bzw. Nichtbestehen eines gemeinsamen Haushaltes zulässt.
Da die belangte Behörde somit zu Unrecht das Vorliegen des Wiederaufnahmetatbestandes des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG angenommen hat, erweist sich der angefochtene Bescheid in Spruchpunkt 1.
schon aus diesem Grund als rechtswidrig.
Darüber kann der angefochtene Bescheid hinsichtlich dieses
Spruchpunktes auch aus folgenden Erwägungen keinen Bestand haben:
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen
Union (EuGH) im Urteil vom in der Rechtssache C- 135/08, Rottmann, ist, wenn eine Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung zur Folge hat, dass der Betroffene neben der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaats der Einbürgerung die Unionsbürgerschaft verliert, "zu prüfen, ob die Rücknahmeentscheidung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt" (Randnrn. 54, 55 und 59). Bei der Prüfung einer Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung sind - so der EuGH weiter - "die möglichen Folgen zu berücksichtigen, die diese Entscheidung für den Betroffenen und gegebenenfalls für seine Familienangehörigen in Bezug auf den Verlust der Rechte, die jeder Unionsbürger genießt, mit sich bringt. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob dieser Verlust gerechtfertigt ist im Verhältnis zur Schwere des vom Betroffenen begangenen Verstoßes, zur Zeit, die zwischen der Einbürgerungsentscheidung und der Rücknahmeentscheidung vergangen ist, und zur Möglichkeit für den Betroffenen, seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen" (Randnr. 56).
Im Beschwerdefall konnte die belangte Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides dies noch nicht bedenken, nach den zeitlichen Wirkungen von Vorabentscheidungen des EuGH ist diese Rechtsprechung jedoch bei der Prüfung des Beschwerdefalles zu berücksichtigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/01/0855, sowie vom , Zl. 2009/01/0064, und vom , Zl. 2009/01/0060, jeweils mit Verweis auf das , Kemptner KG gegen Hauptzollamt Hanburg-Jonas, Slg. 2008, I-00411, Randnrn. 35 und 36, mwN).
Ob nach der in den genannten Erkenntnissen angeführten Rechtsprechung des EuGH im Urteil "Rottmann" fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Entziehung der Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist (vgl. hiezu auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. BVerwG 5 C 12.10, Rz 23 bis 25), hat die belangte Behörde im Beschwerdefall nicht geprüft.
4. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
NAAAE-70900