VwGH vom 19.09.2012, 2010/01/0006
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres in 1014 Wien, Herrengasse 7, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom , Zl. MA/IV - J 333/2006, betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Partei: M J in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen. Ein Aufwandersatz findet nicht statt.
Begründung
Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde dem Mitbeteiligten mit Wirkung vom selben Tag gemäß § 11a Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.
Mit Schreiben vom beantragte die Beschwerdeführerin unter Berufung auf § 35 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 in Verbindung mit § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG die Wiederaufnahme des Staatsbürgerschaftsverfahrens des Mitbeteiligten, wobei sie begründend wörtlich ausführte:
"Am wurde J (…) M (...), geb. … in Senegal, österr. Stb. in Dänemark wegen eines Suchtmitteldeliktes erkennungsdienstlich behandelt. … Die gleiche Person die nunmehr in Dänemark unter dem Namen J (…) M (…) in Erscheinung trat wurde in Österreich bereits unter folgendem Namen und nach folgender Rechtsgrundlage erkennungsdienstlich behandelt:
S (…) A (…), geb. … in Gambia, Stbg: Gambia
am in Österreich nach dem Asylgesetz.
Der betreffenden Person wurde vom Magistrat der Stadt Wien am unter der Nationale J (…) M (…), geb. die Staatsbürgerschaft gem. § 11a StbG verliehen.
Das Bundesministerium für Inneres leitet aus obigem Sachverhalt folgendes ab:
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- | Kein ausreichendes Ermittlungsverfahren |
- | Welche Behörden wurden von der Staatsbürgerschaftsbehörde befasst und was teilten diese mit |
Eine Wiederaufnahme des Verfahrens zur Klärung dieser Punkte, die im Ergebnis eine andere Entscheidung hätte bringen können ist erforderlich und nach § 69 zulässig." | |
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Wiederaufnahme des Staatsbürgerschaftsverfahrens gemäß § 35 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 "in der geltenden Fassung" in Verbindung mit § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ab. | |
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass im Verleihungsverfahren beide Identitäten des Mitbeteiligten - sowohl die wahre Identität M.J. als auch die Alias-Identität A.S. - bekannt gewesen seien. Bereits am Anfang des Ermittlungsverfahrens seien in einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister beide Identitäten verzeichnet gewesen. Die im Zuge des Verleihungsverfahrens zu beiden Identitäten getätigten Anfragen an die Sicherheitsdirektion Wien und den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof Deutschland sowie das (näher dargestellte) sonstige Beweisverfahren hätten ergeben, dass der Mitbeteiligte alle Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erfüllt habe. Nach Einsichtnahme in den auf den Namen M.J. ausgestellten gambischen Pass des Mitbeteiligten, sowie in weitere Dokumente sei zur Recht die Identität M.J. als die wahre Identität des Mitbeteiligten beurteilt worden. Aufgrund der dargestellten Aktenlage sei der Wiederaufnahmeantrag der Amtsbeschwerdeführerin abzuweisen gewesen. | |
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Kosten des Beschwerdeverfahrens zuzuerkennen. | |
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Amtsbeschwerde kostenpflichtig abzuweisen. | |
Der Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt. |
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Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen: | |
1. | Gemäß § 35 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 37/2006 (StbG) hat die Entziehung der Staatsbürgerschaft (§§ 33 und 34) oder die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG von Amts wegen oder auf Antrag des Bundesministers für Inneres zu erfolgen. Der Bundesminister für Inneres hat in dem auf seinen Antrag einzuleitenden Verfahren Parteistellung. |
Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist. | |
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt das "Erschleichen" eines Bescheides vor, wenn dieser in der Art zustande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht wurden und diese Angaben dann dem Bescheid zu Grunde gelegt worden sind, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist. Dabei muss die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und eine solche Lage bestehen, dass ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere, der Feststellung der Richtigkeit der Angaben dienliche Erhebungen zu pflegen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/01/0033, mwN). | |
2. | Die Amtsbeschwerde bringt zunächst im Wesentlichen vor, der angefochtene Bescheid beruhe auf einem gravierenden Verfahrensfehler. Alle Unterlagen des Mitbeteiligten seien zu einem Zeitpunkt ausgestellt worden, zu dem bereits dessen erkennungsdienstliche Behandlung erfolgt sei. Dass der Mitbeteiligte der belangten Behörde keine offiziellen Dokumente unter dem Namen S.A. vorgelegt habe, bedeute nicht, dass es keine Unterlagen gebe. Dass die belangte Behörde die nach der erkennungsdienstlichen Behandlung vorgebrachten Unterlagen als Beweis dafür, dass der Mitbeteiligte in seinem Geburtsland nur unter dem Namen M.J. bekannt sei, werte, sei lediglich eine (spekulative) Annahme. Die Richtigkeit der Angaben im gambischen Pass des Mitbeteiligten werde in Zweifel gezogen, weil der Pass der Amtsbeschwerdeführerin nicht bekannt sei. |
Mit diesem Vorbringen vermag die Amtsbeschwerdeführerin die tragenden Erwägungen im angefochtenen Bescheid, wonach die (frühere) Alias-Identität des Mitbeteiligten bereits im Verleihungsverfahren bekannt gewesen sei, nicht zu entkräften. Der Wiederaufnahmegrund des Erschleichens kommt daher im Beschwerdefall schon insofern nicht in Betracht, als kein relevantes Verschweigen der früher verwendeten Alias-Identität (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/01/0778) vorliegt. | |
3. | Das weitere Vorbringen der Amtsbeschwerde, wonach die am geschlossene Ehe des Mitbeteiligten mit einer österreichischen Staatsbürgerin exakt sechs Monate nach Verleihung der Staatsbürgerschaft einvernehmlich geschieden worden sei und daher zum Zeitpunkt der Staatsbürgerschaftsverleihung keine aufrechte Ehe mehr bestanden habe, unterliegt (im Hinblick darauf, dass die belangte Behörde den - nach Maßgabe der im Wiederaufnahmeantrag vorgebrachten Wiederaufnahmegründe relevanten - Sachverhalt mängelfrei festgestellt hat) dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 41 Abs. 1 VwGG geltenden Neuerungsverbot und ist schon deshalb unbeachtlich. |
4. | Die Amtsbeschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. |
5. | Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die Bestimmung des § 47 Abs. 4 VwGG, wonach im Falle einer Amtsbeschwerde nach Art. 131 Abs. 1 Z. 2 B-VG für den Beschwerdeführer und die belangte Behörde kein Aufwandersatz stattfindet. |
Wien, am |
Fundstelle(n):
DAAAE-70883