VwGH vom 10.05.2011, 2007/18/0690
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des J E in W, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/1/1/30, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 395/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, einen "jugoslawischen" Staatsangehörigen, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Der Beschwerdeführer befinde sich seit 1972 im Bundesgebiet und verfüge über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Zwischen 1993 und 1999 sei er insgesamt viermal strafgerichtlich verurteilt worden, davon dreimal zu einer Geldstrafe und einmal zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Der letztgenannten Verurteilung sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer über einen Zeitraum von etwa drei Jahren gewerbsmäßig Gegenstände gekauft bzw. an Zahlungs statt übernommen habe, obwohl er gewusst habe, dass diese Gegenstände gestohlen worden seien. Im Jahr 1995 sei der Beschwerdeführer verurteilt worden, weil er seine damalige Lebensgefährtin durch Faustschläge derart verletzt habe, dass diese eine stark blutende Rissquetschwunde in der Mitte der Schädeldecke, ein Hämatom mit starken Schwellungen sowie zahlreiche Rötungen im gesamten Gesichtsbereich erlitten habe und im Wachzimmer bewusstlos zusammengebrochen sei.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom sei der Beschwerdeführer gemäß § 28 Abs. 2 (vierter Fall), Abs. 3 (erster Fall) und Abs. 4 Z. 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren rechtskräftig verurteilt worden, weil er im Rahmen eines international agierenden Drogenhandelsnetzwerkes daran mitgewirkt habe, drei Kilogramm geschmuggeltes Heroin an einen Dritten zu veräußern. Dabei habe er in der Absicht gehandelt, sich auf Dauer durch die wiederholte Begehung von Suchtgiftdelikten eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen bzw. die so geschaffene lukrative Einnahmequelle auch für die Zukunft zu sichern.
Diese Urteile, die im Strafregister aufschienen und nicht getilgt seien, erfüllten zweifelsfrei den in § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG normierten Sachverhalt. Zusätzlich sei eine "Unzahl" von Verwaltungsstrafen aus den Jahren 1988 bis 1995 im Zusammenhang mit dem vom Beschwerdeführer betriebenen Lokal aktenkundig, u. a. wegen wiederholter unrechtmäßiger Gewerbeausübung und wegen zweimaliger Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes. Der Beschwerdeführer sei auch bereits im Jänner 1994 und nochmals im August 1994 verwarnt worden, dass im Fall eines nochmaligen rechtswidrigen Verhaltens die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen drohe. All dies habe ihn jedoch nicht davon abhalten können, erneut straffällig zu werden. Insgesamt biete der Beschwerdeführer im Hinblick auf das von ihm bislang an den Tag gelegte Fehlverhalten keinerlei Grund für die Annahme künftigen Wohlverhaltens. Die Verhaltensprognose müsse auch in Anbetracht des Umstandes, dass insbesondere der Suchtgiftkriminalität nicht nur eine besonders hohe Sozialschädlichkeit sondern auch eine überaus hohe Wiederholungsgefahr anhafte, zu seinen Ungunsten ausfallen. Die öffentliche Ordnung und Sicherheit sei durch die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr derartig nachhaltig und maßgeblich gefährdet, dass sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch in Anbetracht des langen Hauptwohnsitzes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet im Sinn des § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG als zulässig erweise.
Der Beschwerdeführer sei seit 1986 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, sein 1990 geborener Sohn - ebenfalls österreichischer Staatsbürger - sei längst volljährig. Weiters sei der Beschwerdeführer für ein außerehelich geborenes minderjähriges Kind unterhaltspflichtig, das Kind lebe bei dessen Mutter, dem Beschwerdeführer komme das Sorgerecht nicht zu. Weitere familiäre Bindungen seien nicht geltend gemacht worden. Er halte sich seit mittlerweile 35 Jahren im Bundesgebiet auf, lebe mit seiner Ehefrau und seinem volljährigen Sohn im gemeinsamen Haushalt und beziehe eine Pension. Auf Grund dieser Umstände sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen erheblichen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, insbesondere der Suchtgiftkriminalität, dringend geboten sei. Der Beschwerdeführer habe zu erkennen gegeben, dass er offensichtlich nicht Willens oder imstande sei, maßgebliche, in Österreich geltende Rechtsvorschriften einzuhalten. Die einer jeglichen Integration zu Grunde liegende soziale Komponente sei durch das wiederholte und schwerwiegende strafbare Verhalten des Beschwerdeführers ganz erheblich gemindert.
Dem stehe das hohe öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten, insbesondere im Bereich der Suchtgiftkriminalität, gegenüber. Unter Berücksichtigung aller Umstände sei die belangte Behörde nach sorgfältiger Prüfung letztlich zu der Ansicht gelangt, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht schwerer wögen als das in seinem Gesamt(fehl)verhalten gegründete hohe öffentliche Interesse an seinem Verlassen des Bundesgebietes. Der Beschwerdeführer könne - wenn auch eingeschränkt - den Kontakt zu seinen Familienangehörigen vom Ausland aus wahrnehmen. Diese Einschränkung habe er im öffentlichen Interesse zu tragen. Auch seinen Sorgepflichten könne er vom Ausland aus nachkommen. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes erweise sich somit als dringend geboten und daher zulässig im Sinn des § 66 FPG.
Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe die belangte Behörde keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.
II.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Abgabe einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Diese Beurteilung der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei, begegnet im Hinblick auf die Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht für Strafsachen Wien vom zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren auch keinen Bedenken des Gerichtshofs.
Wenn der Beschwerdeführer vorbringt, die Verurteilungen aus den Jahren 1993 bis 1995 wären bereits getilgt und dürften daher im Rahmen der Gefährdungsprognose nicht mehr herangezogen werden, ist er auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach auch das bereits getilgten Verurteilungen zu Grunde liegende strafbare Verhalten bei der Beurteilung des Gesamtfehlverhaltens eines Fremden berücksichtigt werden darf (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/18/0330, mwN).
Der Beschwerdeführer hält sich seit 1972 im Bundesgebiet auf, verfügt über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht und ist mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Die belangte Behörde hat die Gefahrenprognose erkennbar auf § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG gestützt, wonach die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch gegen einen von § 87 FPG erfassten Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, nur zulässig ist, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dabei durfte sie nicht nur die fünf strafgerichtlichen Verurteilungen, sondern auch die - unbestritten gebliebenen - zahlreichen Verwaltungsstrafen u.a. wegen wiederholter unrechtmäßiger Gewerbeausübung und zweimaliger Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes berücksichtigen. Auch zwei fremdenbehördlicheVerwarnungen unter Hinweis auf drohende aufenthaltsbeendende Maßnahmen konnten den Beschwerdeführer nicht davon abhalten, mit erheblich gesteigertem Unrechtsgehalt neuerlich straffällig zu werden, indem er u.a. gegenüber seiner Lebensgefährtin gewalttätig wurde und schließlich das der Verurteilung vom zu Grunde liegende schwerwiegende Suchtmitteldelikt beging. Dabei hat der Beschwerdeführer im Rahmen eines international agierenden Drogenhandelsnetzwerkes daran mitgewirkt, rund drei Kilogramm Heroin an Dritte zu veräußern, um sich dadurch eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Der Verwaltungsgerichtshof hegt mit Blick auf das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers im Bereich der Gewaltkriminalität, der gewerbsmäßigen Eigentums- und Suchtgiftkriminalität sowie in verwaltungsstrafrechtlicher Hinsicht keine Zweifel, dass diesem eine günstige Zukunftsprognose zu versagen war und im Fall seines Verbleibes im Bundesgebiet eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Sinn des § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG hervorgerufen würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0148).
Sofern die Beschwerde im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 66 FPG auf die Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit über 35 Jahren, seine Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin und seine Wohngemeinschaft mit dieser und seinem ebenfalls die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden volljährigen Sohn hinweist, ist ihm entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde diese Umstände im Rahmen ihrer Interessenabwägung ohnedies berücksichtigt hat. Zutreffend hat sie jedoch den öffentlichen Interessen an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen den Vorrang gegenüber den Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet eingeräumt. Dass der Beschwerdeführer nach langjähriger Berufstätigkeit im Bundesgebiet nunmehr eine Pension bezieht, vermag seinen Standpunkt nicht entscheidungswesentlich zu stärken. Seinen Unterhaltspflichten gegenüber seiner minderjährigen Tochter, für die ihm - was unbestritten blieb - nicht das Sorgerecht zukommt, kann er vom Ausland aus nachkommen. Da der Beschwerdeführer erst im Alter von 18 Jahren nach Österreich kam, ist davon auszugehen, dass er mit der Sprache und der Kultur seines Heimatlandes vertraut ist. Es wurde auch nicht vorgebracht, dass er in seiner Heimat über keine familiären Beziehungen oder sozialen Kontakte mehr verfüge. In Anbetracht des massiven und langjährigen Fehlverhaltens des Beschwerdeführers und der von ihm ausgehenden Gefährdung hat er allfällige Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in seiner Heimat sowie die Trennung von seiner Familie im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom , mwN).
Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, er leide unter einer "Leberzerose" (gemeint wohl: Leberzirrhose), unterliegt dieses Vorbringen dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltenden Neuerungsverbot (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG).
Entgegen der Beschwerdeansicht bestand für die belangte Behörde auch keine Veranlassung, im Rahmen der Ermessensübung von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes Abstand zu nehmen; bei einer rechtskräftigen Verurteilung eines Fremden wegen einer in § 55 Abs. 3 Z. 1 FPG angeführten strafbaren Handlung wäre eine auf einer Ermessenserwägung beruhende Abstandnahme von der Verhängung des Aufenthaltsverbotes offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes gelegen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0891, mwN).
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
UAAAE-70873