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VwGH 28.03.2012, 2012/08/0017

VwGH 28.03.2012, 2012/08/0017

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Norm
AVG §71 Abs1 Z1;
RS 1
Bei fristgebundenen Eingaben kommt der richtigen Adressierung des Schriftstückes eine zentrale Bedeutung zu. Bei der Kontrolle eines solchen Schriftsatzes und seiner Unterfertigung durch den Rechtsvertreter ist daher eine besondere Sorgfalt geboten (Hinweis E , 2007/06/0330).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2009/18/0527 B RS 3
Norm
AVG §71 Abs1 Z1;
RS 2
Beim normalen Kanzleiablauf erfolgt im Rahmen der Unterfertigung durch den Rechtsanwalt die abschließende Kontrolle eines Schriftsatzes. Diese Funktion einer abschließenden Kontrolle kommt der Unterfertigung aber nicht zu, wenn eine Anweisung auf Veränderung des bereits unterfertigten Schriftstückes - hier im Hinblick auf den Adressaten des Schriftstückes - erteilt wird. In einem derartigen Fall ist eine nachträgliche Kontrolle durch den Rechtsanwalt geboten. Die Unterlassung dieser nachträglichen Kontrolle eines vom normalen Kanzleiablauf abweichenden, gefahrengeneigten Vorganges (hier: Übermittlung der Berufung nicht an den im unterfertigten Schriftsatz angegebenen Empfänger, sondern an die Gebietskrankenkasse) ist dem Beschwerdevertreter als eigenes, über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden anzulasten (Hinweis: E , 2011/15/0087).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des R M in A, vertreten durch Dr. Erich Kaltenbrunner, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Aubergstraße 63, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom , Zl. BMASK-424953/0001-II/A/3/2010, betreffend Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung einer Berufung als verspätet in einer Angelegenheit der Pflichtversicherung nach dem ASVG und AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1. Oberösterreichische Gebietskrankenkasse in 4021 Linz, Gruberstraße 77, 2. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in 1201 Wien, Adalbert Stifterstraße 65-67,

3. Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der vorliegenden Beschwerde und dem ihr beigeschlossenen, angefochtenen Bescheid ergibt sich folgender Sachverhalt:

Mit Bescheid vom stellte die erstmitbeteiligte Gebietskrankenkasse fest, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Beschäftigung bei G vom bis nicht der Pflichtversicherung nach dem ASVG und auch nicht der Arbeitslosenversicherungspflicht unterliege.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den Beschwerdevertreter, fristgerecht Einspruch.

Der Landeshauptmann von Oberösterreich gab mit Bescheid vom dem Einspruch keine Folge.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den Beschwerdevertreter, Berufung. Die belangte Behörde wies den Beschwerdeführer mit Schreiben vom darauf hin, dass die Berufung am letzten Tag der Frist bei der falschen Stelle eingebracht worden sei und von dieser nicht am selben Tag an die richtige Einbringungsstelle weiter geleitet worden sei.

Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin mit Schreiben vom die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Beschwerdevertreter habe die Berufung am fertig diktiert. Der Rohentwurf dieser Berufung sei am Vormittag des niedergeschrieben, durchgelesen, redigiert und der Sekretärin zum Ausbessern übergeben worden. Nach Vorliegen dieser vorläufigen Endfassung habe der Beschwerdevertreter die fertig gestellte Berufung unterfertigt. Der Termin zur Einbringung der Berufung sei im kanzleiinternen Fristenbuch ordnungsgemäß vorgemerkt worden. Der Beschwerdevertreter habe in weiterer Folge das Begleitschreiben an den Beschwerdeführer und einen mit "pd" (pro domo) bezeichneten Vermerk des Inhaltes diktiert, dass die Berufung via Fax an die zuständige Behörde erster Instanz, die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse abzusenden und der rote Fristvermerk im Kalender nach Vorliegen der Faxbestätigung zu streichen sei. Vor dem Verlassen der Kanzlei habe der Beschwerdevertreter den Akt samt Diktat seiner langjährig in der Kanzlei beschäftigten und äußerst gewissenhaften Sekretärin H zur Bearbeitung übergeben, dies mit nochmaligem Hinweis, dass gemäß heutiger Frist die Übermittlung via Fax vorzukehren sei. Der Beschwerdevertreter sei um ca. 18.00 Uhr in die Kanzlei zurückgekehrt und habe - wie mit der Sekretärin vereinbart - neben dem Fristenkalender den Akt zur Ablage vorgefunden. Er habe ersehen können, dass - jeweils um 16.01 Uhr - die Berufung weggefaxt und das Berichtschreiben an den Beschwerdeführer via E-Mail abgesandt worden sei. Der Akt sei sodann abgelegt worden. Eine gesonderte Überprüfung betreffend die Richtigkeit der Faxnummer sei aufgrund der eindeutigen Anweisung nicht vorgenommen worden und sei auch nicht angezeigt gewesen, zumal eine besondere Auffälligkeit der Nummer nicht gegeben gewesen sei. Erstmalig mit Erhalt des Schreibens des Bundesministers vom (eingegangen am ) habe der Beschwerdevertreter Kenntnis von der Übermittlung direkt an den Landeshauptmann erlangt. Die Sekretärin des Beschwerdevertreters, die offenkundig versehentlich an Stelle der Faxnummer der Gebietskrankenkasse jene der Landesregierung auf der unterfertigten Berufung angebracht habe, sei langjährig tätig und äußerst gewissenhaft.

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse wies diesen Antrag mit Bescheid vom ab. Die Unterfertigung des Schriftsatzes (Berufung gegen den Bescheid vom ) sei auf derselben Seite erfolgt, auf welcher die falsche Adressierung sowie die falsche Faxnummer angebracht gewesen seien. Der Beschwerdevertreter hätte schon bei Aufwendung eines Mindestmaßes an Aufmerksamkeit nicht übersehen dürfen, dass zumindest die Adressierung auf dem Schriftsatz unrichtig gewesen sei. Es liege somit kein minderer Grad des Versehens vor.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Einspruch, dem mit Bescheid des Landeshauptmannes vom keine Folge gegeben wurde.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung und machte geltend, die Einspruchsbehörde sei auf die Argumentation des Einspruchswerbers inhaltlich in keiner Weise eingegangen. Sie habe weder Sachverhaltsfeststellungen getroffen noch Beweise aufgenommen. Der Umstand, dass auf der ersten Seite des Berufungsschriftsatzes das Amt der Landesregierung sowie dessen Faxnummer und die Unterschrift angeführt seien, könne völlig auf sich beruhen, zumal die ausdrückliche Anweisung des Parteienvertreters vorgelegen sei, die Berufung an die Behörde erster Instanz via Fax zu übermitteln. Aufgrund des Umstandes, dass die seit der Kanzleisitzverlegung (1996) äußerst gewissenhafte Sekretärin H diese manipulative Tätigkeit habe durchführen müssen, habe mit Fug und Recht davon ausgegangen werden können, dass der Anweisung auch entsprochen werde. Andernfalls müsste jede manipulative Tätigkeit (kuvertieren, faxen) einer gesonderten Überprüfung durch den Rechtsanwalt unterzogen werden, was eine völlig unzulässige Ausweitung der Überwachungspflichten bedeuten würde.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Landeshauptmannes vom (betreffend Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung) als unbegründet ab (Spruchpunkt I) und wies die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Landeshauptmannes vom (betreffend Feststellung der Pflichtversicherung) als verspätet zurück (Spruchpunkt II).

Begründend führte die belangte Behörde - nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens - aus, der Bescheid des Landeshauptmannes vom sei dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsanwaltes am zugestellt worden; die Berufungsfrist habe demnach am geendet. Die Rechtsmittelbelehrung des Bescheides des Landeshauptmannes habe auf die richtige Frist und Einbringungsstelle (mitbeteiligte Gebietskrankenkasse) hingewiesen. Trotz dieses ausdrücklichen Hinweises sei die Berufung am letzten Tag der Frist () um 16.01 Uhr (nur) dem Landeshauptmann von Oberösterreich und nicht der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse übermittelt worden. An diesem letzten Tag der Frist sei keine Weiterleitung an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse erfolgt.

Die Einbringung bei der falschen Behörde sei erfolgt, weil die ansonsten verlässliche Kanzleikraft entgegen der mündlichen Anweisung des Rechtsvertreters die Berufung an das Amt der Landesregierung anstatt an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse gefaxt habe.

Auf der ersten Seite der Berufung gegen den Bescheid des Landeshauptmannes vom seien als Adressat das Amt der Landesregierung sowie dessen Faxnummer, diese in Fettdruck, angeführt gewesen. Die Unterfertigung des Rechtsvertreters sei auf dieser Seite erfolgt. Aus der Berufung sei keinerlei Hinweis auf einen anderen Adressaten oder eine andere Faxnummer ersichtlich.

Der festgestellte Sachverhalt ergebe sich aus den Verwaltungs- und Versicherungsakten sowie aus dem bisherigen Verfahrensverlauf und sei nicht strittig.

Soweit sich eine Partei im Verfahren eines Rechtsvertreters bediene, sei ihr ein Verschulden dieses Vertreters wie eigenes Verschulden zuzurechnen. Im Falle einer Fristversäumung hänge die Bewilligung der Wiedereinsetzung davon ab, dass weder die Partei noch den bevollmächtigten Rechtsanwalt ein Verschulden treffe, das über den minderen Grad des Versehens hinausgehe.

Im vorliegenden Fall sei auf der ersten Seite des Schriftsatzes als Adressat das Amt der Landesregierung angegeben gewesen; der Rechtsvertreter habe auf dieser Seite unterfertigt. Der Rechtsvertreter habe die Kontrolle der Adressierung unterlassen. Es könne damit nicht von einem bloß minderen Grad des Versehens ausgegangen werden. Die beantragten Einvernahmen des Beschwerdevertreters und seiner Kanzleibediensteten hätten unterbleiben können, da der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht strittig sei.

Da der Bescheid vom dem Beschwerdevertreter am zugestellt worden sei, habe die Berufungsfrist am geendet. Da die Berufung weder bei der Behörde, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat, noch bei der Berufungsbehörde eingebracht wurde, sondern lediglich beim Landeshauptmann, sei die Berufung verspätet.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde seien in maßgeblichen Teilen unvollständig. Er habe im Rahmen des Verfahrens mehrfach darauf verwiesen, dass der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers die Berufung gegen den Bescheid des Landeshauptmannes vom am fertig diktiert habe. Der Rohentwurf der Berufung sei am Vormittag des niedergeschrieben, durchgelesen, redigiert und der Sekretärin zum Ausbessern übergeben worden. Nach Vorliegen dieser vorläufigen Endfassung - dies dürfte um die Mittagszeit bzw. unmittelbar danach gewesen sein - habe der Beschwerdevertreter die fertig gestellte Berufung unterfertigt. Der Termin zur Einbringung der Berufung sei im kanzleiinternen Fristenbuch ordnungsgemäß vorgemerkt gewesen. Der Beschwerdevertreter habe in weiterer Folge das Berichtschreiben an den Mandanten (abzusenden via E-Mail) sowie einen mit "pd" (pro domo) bezeichneten Vermerk des Inhaltes diktiert, dass (infolge der bereits relativ langen Verfahrensdauer und zur Vermeidung von weiteren Verzögerungen) die Berufung via Fax an die zuständige Behörde erster Instanz (die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse) abzusenden und der rote Fristvermerk im Kalender nach Vorliegen der Faxbestätigung zu streichen sei; weiter solle das Berichtschreiben an den Mandanten abgesandt und der Akt für kalendiert werden. Vor dem Verlassen der Kanzlei zur Verrichtung eines auswärtigen Termins ab 15.00 Uhr habe der Beschwerdevertreter den Akt samt Diktat (beinhaltend das Berichtschreiben an den Mandanten und den pro-domo-Vermerk) seiner langjährig in der Kanzlei beschäftigten und äußerst gewissenhaften Sekretärin H zur Bearbeitung übergeben; dies mit nochmaligem Hinweis, dass gemäß heutiger Frist die Übermittlung via Fax vorzukehren sei. Der Beschwerdevertreter sei um cirka 18.00 Uhr nach seinem Termin in die Kanzlei zurückgekehrt und habe - wie mit der Sekretärin vereinbart - neben dem Fristenkalender den Akt zur Ablage vorgefunden und ersehen können, dass - jeweils um 16.01 Uhr - die Berufung weggefaxt (der OK-Vermerk für insgesamt 8 Seiten sei auf der Rückseite der Berufungsrubrik ersichtlich gewesen) und das Berichtschreiben an den Mandaten via E-Mail abgesandt worden sei. Der Akt sei sodann abgelegt worden.

Zum Beweis dieses Vorbringen habe der Beschwerdeführer die Vernehmung des Beschwerdevertreters und auch der Kanzleiangestellten H beantragt. Die belangte Behörde habe fälschlicherweise vermeint, dass eine Beweisaufnahme unterlassen werden könne.

Im vorliegenden Fall sei ein minderer Grad des Versehens anzusetzen, weil in Kenntnis der Gesetzeslage vom Beschwerdevertreter ausdrücklich eine Verfügung - entgegen den Ausführungen der belangten Behörde - sowohl schriftlich im Rahmen des pro-domo-Vermerks als auch mündlich getroffen worden sei, die Berufung an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse zu faxen. Der Beschwerdevertreter habe die Durchführung der Übermittlung per Fax geprüft; die nochmalige Prüfung, ob die richtige Faxnummer angeführt sei, stelle eine unzulässige Ausweitung der Sorgfaltserfordernisse dar. Die belangte Behörde hätte daher dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Folge geben müssen und daher auch die Berufung nicht als verspätet zurückweisen dürfen.

Es sei ein Fehler im Rahmen einer ausschließlich manipulativen Tätigkeit aufgetreten. Der Umstand, dass auf der ersten Seite des Berufungsschriftsatzes das Amt der Landesregierung sowie dessen Faxnummer und die Unterschrift angeführt seien, könne daher völlig auf sich beruhen, zumal die ausdrückliche Anweisung - mündlicher und auch schriftlicher Natur -

des Parteienvertreters vorgelegen sei, die Berufung an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse via Fax zu übermitteln. Da die seit Kanzleisitzverlegung 1996 äußerst gewissenhafte Sekretärin H diese manipulative Tätigkeit durchzuführen gehabt habe, habe mit Fug und Recht davon ausgegangen werden können, dass der Anweisung entsprochen werde. Es liege ein Fehlverhalten einer Kanzleiangestellten bei Ausführung rein manipulativer Tätigkeiten vor; dabei treffe den Beschwerdevertreter grundsätzlich keine Überwachungspflicht. Der Beschwerdevertreter sei aber einer gar nicht geforderten Kontrolle nachgekommen, indem er sich am Abend von der fristgerechten Absendung der Berufungsschrift vergewissert habe.

2. Gemäß § 63 Abs. 5 erster Satz AVG ist die Berufung von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Wird eine Berufung innerhalb dieser Frist bei der Berufungsbehörde eingebracht, so gilt dies nach § 63 Abs. 5 dritter Satz AVG als rechtzeitige Einbringung; die Berufungsbehörde hat die bei ihr eingebrachte Berufung unverzüglich an die Behörde erster Instanz weiterzuleiten.

Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

3. Das Verschulden eines Vertreters ist der Partei zuzurechnen. Hingegen trifft das Verschulden eines Kanzleibediensteten des Parteienvertreters nicht schlechthin die Partei. Allerdings vermag ein Versehen eines Kanzleibediensteten für einen Rechtsanwalt und damit für die von ihm vertretene Partei nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darzustellen, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleiangestellten nachgekommen ist (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. 2011/08/0029, mwN).

Rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann ein Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer ansonsten verlässlichen Kanzleikraft überlassen. Solche Vorgänge sind etwa die Kuvertierung, die Beschriftung eines Kuverts oder die Postaufgabe, also manipulative Tätigkeiten. Eine regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Parteienvertreter nicht zuzumuten, will man seine Sorgfaltspflicht nicht überspannen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/03/0089, mwN).

Bei fristgebundenen Eingaben kommt der richtigen Adressierung des Schriftstückes eine zentrale Bedeutung zu. Bei der Kontrolle eines solchen Schriftsatzes und seiner Unterfertigung durch den Rechtsvertreter ist daher eine besondere Sorgfalt geboten (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. 2009/18/0527).

Im hier vorliegenden Fall ist - auch nach dem Vorbringen in der Beschwerde - unstrittig, dass die Berufung gegen den Bescheid des Landeshauptmannes vom an das "Amt der Landesregierung" adressiert und dort auch die Telefaxnummer des Amtes der Landesregierung (im Fettdruck) angeführt war. Die Berufung wurde vom Beschwerdevertreter mit dieser Adressierung unterfertigt.

Nach dem Vorbringen in der Beschwerde (zu seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren; dies in Übereinstimmung mit den Darlegungen im angefochtenen Bescheid) hat der Beschwerdevertreter zwar nach Unterfertigung der Berufung einen pro-domo-Vermerk diktiert (wonach die Berufung via Fax an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse abgesandt werden solle); er habe weiters mündlich die Anweisung gegeben, dass die Übermittlung via Fax vorzukehren sei. Diesem Vorbringen ist aber - entgegen den weiteren Behauptungen in der Beschwerde - schon nicht zu entnehmen, dass der Beschwerdevertreter seine Kanzleimitarbeiterin mündlich angewiesen habe, die Berufung - abweichend von dem von ihm unterfertigten Schriftsatz - nicht an das "Amt der Landesregierung", sondern an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse zu übermitteln. Die mündliche Anweisung erschöpfte sich vielmehr darin, die Berufung per Telefax abzufertigen.

Aber selbst dann, wenn der Beschwerdevertreter eine derartige Anweisung (auch) mündlich erteilt hätte, hatte er damit eine gefahrengeneigte Situation geschaffen. Seine mündliche (und in einem pro-domo-Vermerk festgehaltene) Anweisung stand im Widerspruch zu dem von ihm unterfertigten (und insoweit nicht korrigierten) Schriftsatz. Beim normalen Kanzleiablauf erfolgt im Rahmen der Unterfertigung durch den Rechtsanwalt die abschließende Kontrolle eines Schriftsatzes. Diese Funktion einer abschließenden Kontrolle kommt der Unterfertigung aber nicht zu, wenn eine Anweisung auf Veränderung des bereits unterfertigten Schriftstückes - hier im Hinblick auf den Adressaten des Schriftstückes - erteilt wird. In einem derartigen Fall ist eine nachträgliche Kontrolle durch den Rechtsanwalt geboten. Die Unterlassung dieser nachträglichen Kontrolle eines vom normalen Kanzleiablauf abweichenden, gefahrengeneigten Vorganges (Übermittlung der Berufung nicht an den im unterfertigten Schriftsatz angegebenen Empfänger, sondern an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse) ist dem Beschwerdevertreter als eigenes, über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden anzulasten (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/15/0087).

Demnach hat die belangte Behörde schon ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers den Antrag auf Wiedereinsetzung zu Recht als unbegründet abgewiesen; auch der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt demnach nicht vor.

4. Da somit der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unbegründet ist, erweist sich die Berufung gegen den Bescheid des Landeshauptmannes vom als verspätet (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/08/0220).

5. Es ist somit bereits aus der vorliegenden Beschwerde zu erkennen, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, sodass sie ohne weiteres Verfahren gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Wien, am

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AVG §71 Abs1 Z1;
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2012:2012080017.X00
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YAAAE-70837