VwGH vom 20.11.2018, Ra 2016/16/0042
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Thoma und Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des J K in P, vertreten durch Dr. Karl-Heinz Götz und Dr. Rudolf Tobler jun., Rechtsanwälte in 7100 Neusiedl/See, Untere Hauptstraße 72, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Burgenland vom , Zl. E G04/01/2016.005/003, betreffend Kanalbenützungsgebühr (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeinderat der Gemeinde P, vertreten durch die Reiffenstuhl & Reiffenstuhl Rechtsanwaltspartnerschaft OG in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 41/9), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Marktgemeinde P hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Berufungsentscheidung des Gemeinderats der Marktgemeinde P vom als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
2 In der Begründung hielt das Landesverwaltungsgericht - soweit hier wesentlich - fest, der Revisionswerber sei mit Bescheid des Bürgermeisters vom zur Zahlung einer jährlichen Kanalbenützungsgebühr in Höhe von EUR 410,40 verpflichtet worden. Der dagegen vom Revisionswerber erhobenen Berufung vom wurde mit Entscheidung des Gemeinderats vom keine Folge gegeben und hierüber der Bescheid mit Ausfertigungsdatum erlassen.
3 Die Einladung zur Gemeinderatssitzung am habe als Tagesordnungspunkt 10 "Diverse Kanalangelegenheiten - Kanalausschuss" enthalten. In der gesonderten Verhandlungsschrift nach § 45 Abs. 8 der Burgenländischen Gemeindeordnung (im Folgenden Bgld. GemO) seien zum Tagesordnungspunkt 10 Beschlüsse über Berufungen vermerkt. So sei unter "TO 1) b)" die Beschlussfassung über die Berufung des Revisionswerbers vom gegen den Kanalbenützungsgebührenbescheid vom erfasst. Der Gemeinderat habe einstimmig beschlossen, der Berufung des Revisionswerbers nicht stattzugeben.
4 Das Vorbringen des Revisionswerbers gegen die Gültigkeit des Bescheids des Gemeinderats sei unbegründet. Der Tagesordnungspunkt 10 der Gemeinderatssitzung vom sei mit "Diverse Kanalangelegenheiten - Kanalausschuss" sehr allgemein gehalten. "Darunter (könne) man den Baubeschluss betreffend einen Kanal, den Beschluss über eine Verordnung betreffend die Einhebung von Kanalgebühren oder die Entscheidung über Berufungen gegen Kanalgebührenbescheide verstehen." Insoweit sei die Beschlussfassung des Gemeinderats durch die Tagesordnung "gerade noch gedeckt". Zwar diene die Formulierung der Tagesordnungspunkte dazu, dass die Mitglieder des Gemeinderats und die Öffentlichkeit aus der kundgemachten Tagesordnung erkennen könnten, welche Angelegenheiten in der Sitzung behandelt würden. Da die Beratung und Beschlussfassung in Berufungssachen im Gemeinderat aber nicht öffentlich erfolgen dürfe und darüber eine gesonderte Niederschrift zu errichten sei, in die keine Einsicht gewährt werde, sei die sonst geforderte Publizität durch die Nichtnennung des Namens des Revisionswerbers nicht beeinträchtigt. Der Gemeinderatsbeschluss sei daher rechtmäßig zustande gekommen und zu Recht dem Berufungsbescheid des Gemeinderats zugrunde gelegt worden.
5 In der dagegen erhobenen Revision, zu der die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattete, wird zur Zulässigkeit vorgebracht, es fehle Rechtsprechung zur Frage, "ob eine bloß allgemein gehaltene Ankündigung ¿diverse Kanalangelegenheiten, Kanalausschuss' als Ankündigung eines Tagesordnungspunkts für die Causa ¿Berufung des (Revisionswerbers) gegen einen konkreten Kanalgebührenbescheid' ausreicht". Die Behandlung der Berufung des Revisionswerbers im Gemeinderat sei entgegen der Ansicht des Landesverwaltungsgerichts mit dem besagten Tagesordnungspunkt nicht angekündigt worden.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Die Revision ist zulässig und begründet.
8 § 38 der Burgenländischen Gemeindeordnung, LGBl. Nr. 55/2003 (Wiederverlautbarung), lautet auszugsweise:
"Tagesordnung
(1) Der Bürgermeister setzt die Tagesordnung fest. Die Tagesordnung ist mit dem Punkt "Allfälliges" abzuschließen; eine Beschlussfassung unter diesem Punkt ist jedoch nur im Falle des Abs. 2 zulässig. (...)
(2) Gegenstände, die nicht auf der Tagesordnung stehen, können nur dann behandelt werden, wenn der Gemeinderat dies einstimmig beschließt. Solche Anträge kann jedes Mitglied des Gemeinderats stellen.
(...)"
9 Im Revisionsfall ist strittig, ob der als "Diverse Kanalangelegenheiten - Kanalausschuss" bezeichnete Tagesordnungspunkt für eine Beschlussfassung des Gemeinderats über die Berufung des Revisionswerbers gegen den Kanalbenützungsgebührenbescheid vom genügt.
10 Das Landesverwaltungsgericht ist im angefochtenen Erkenntnis zur Ansicht gelangt, dass die Beschlussfassung des Gemeinderats über die Berufung des Revisionswerbers von besagtem Tagesordnungspunkt "gerade noch gedeckt" und der Gemeinderatsbeschluss daher rechtmäßig zustande gekommen sei. Dem vermag sich der Verwaltungsgerichtshof nicht anzuschließen.
11 Gemäß § 36 Abs. 3 Bgld. GemO (LGBl. Nr. 55/2003 idF LGBl. Nr. 33/2010) hat die Einberufung des Gemeinderats unter Bekanntgabe der Tagesordnung schriftlich und derart zu ergehen, dass sie spätestens am fünften Amtstag vor der Sitzung jedem Mitglied zukommt.
12 Erledigungen eines Kollegialorgans - wie etwa eines Gemeinderats - bedürfen eines Beschlusses desselben. Üblicherweise erfolgt die Willensbildung einer Kollegialbehörde durch den Gesamtakt einer sich an die gemeinsame Erörterung der zu entscheidenden Angelegenheiten anschließende Abstimmung. Die Willensbildung durch eine Kollegialbehörde umfasst nicht nur den Spruch, sondern auch den Inhalt und damit auch die wesentliche Begründung einer Erledigung (, mwN).
13 Durch die rechtzeitige Bekanntgabe der Tagesordnung sollen die Mitglieder des Gemeinderats Kenntnis davon erlangen, welche Angelegenheiten in der Sitzung behandelt werden. Insbesondere soll ihnen ermöglicht werden, sich auf die Sitzung und die Mitwirkung an der Willensbildung im Gemeinderat entsprechend vorzubereiten. Dies setzt auch voraus, dass die einzelnen Verhandlungsgegenstände in der Tagesordnung so umschrieben sind, dass daraus das Thema, welches Gegenstand der Beratung und Beschlussfassung sein soll, hinreichend bestimmt hervorgeht (vgl. Fasching/Weikovics, Bgld GemO 20032, § 38, 232; sowie VwGH vom heutigen Tag, Ra 2017/16/0019).
14 Somit zielt die Regelung des § 38 Abs. 1 und 2 iVm § 36 Abs. 3 Bgld. GemO auf das mangelfreie Zustandekommen der Willensbildung dieses Kollegialorgans ab.
15 Wie das Landesverwaltungsgericht selbst ausführt, können mit dem Tagesordnungspunkt "Diverse Kanalangelegenheiten - Kanalausschuss" verschiedenste Verhandlungsgegenstände, wie z. B. ein Baubeschluss betreffend einen Kanal, ein Beschluss über eine Verordnung betreffend die Einhebung von Kanalgebühren oder eine Entscheidung über Berufungen gegen Kanalgebührenbescheide gemeint sein.
16 Damit geht aus dem Tagesordnungspunkt "Diverse Kanalangelegenheiten - Kanalausschuss" aber nicht ausreichend deutlich hervor, dass damit die Entscheidung über Berufungen gegen Kanalbenützungsgebührenbescheide gemeint ist. Vielmehr hätte der Tagesordnungspunkt einen Hinweis enthalten müssen, dass in den angesprochenen Angelegenheiten "Berufungen" zu behandeln sind (vgl. VwGH vom heutigen Tag, Ra 2017/16/0019).
17 Im Revisionsfall ist unstrittig auch keine gesonderte Beschlussfassung im Sinne des § 38 Abs. 2 Bgld. GemO erfolgt.
18 Die Außerachtlassung der Bekanntgabe einer inhaltlich hinreichend bestimmten Tagesordnung stellt im gegebenen Zusammenhang einen Verfahrensmangel dar, bei dessen Vermeidung die Behörde (der Gemeinderat) zu einem anderen Ergebnis - zu einer anderslautenden Entscheidung - hätte gelangen können.
19 Da das Landesverwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass die bekannt gegebene Tagesordnung den Anforderungen des § 38 Abs. 1 Bgld. GemO entsprochen hat, hat es die Rechtslage verkannt. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
20 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016160042.L00 |
Schlagworte: | Organisationsrecht Körperschaften des öffentlichen Rechtes Selbstverwaltung VwRallg5/2 |
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