VwGH vom 03.11.2010, 2007/18/0602
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok sowie den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des V O in W, geboren am , vertreten durch Dr. Klaus Kollmann, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Reitschulgasse 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 1721/06, betreffend Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien (der Behörde erster Instanz) vom wurde auf Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, vom , gemäß § 51 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes - FPG, BGBl. I Nr. 100, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatstaat Nigeria gemäß § 50 Abs. 1 oder 2 FPG bedroht sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde der erstinstanzliche Bescheid mit der Maßgabe abgeändert, dass der Antrag gemäß § 51 Abs. 1 letzter Satz FPG zurückgewiesen wurde.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers vom mit Bescheid des Bundesasylamtes vom unter gleichzeitiger Feststellung, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 Asylgesetz 2005 - AsylG zulässig sei, gemäß § 7 AsylG abgewiesen worden sei. Die dagegen eingebrachte Berufung habe der Beschwerdeführer im Jahr 2003 zurückgezogen, weshalb der angeführte Bescheid in Rechtskraft erwachsen sei.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die rechtskräftige Feststellung der Asylbehörde, wonach die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei, an sich einer erneuten Entscheidung der Fremdenpolizeibehörde gemäß § 51 Abs. 1 letzter Satz FPG zwingend entgegenstehe.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits im - zur inhaltsgleichen Vorgängerbestimmung des § 75 Fremdengesetz 1997 - FrG ergangenen - Erkenntnis vom , Zl. 2003/18/0013, festgestellt habe, komme dem Bescheid der Asylbehörde Tatbestandswirkung hinsichtlich der Unzulässigkeit des Antrages auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung gemäß § 75 Abs. 1 FrG (nunmehr § 51 Abs. 1 FPG) zu. Dass die Rechtskraft des Asylbescheides nicht oder nicht mehr gegeben sei, sei vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht worden und auch nicht aktenkundig.
Im Übrigen sei der Behörde erster Instanz darin zuzustimmen, dass die "Ernsthaftigkeit des Vorbringens der Bedrohung und Verfolgung im Heimatland" nicht sehr groß gewesen sein könne, wenn asylrelevante Gründe bloß wegen der Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin ohne weiteres wegfallen könnten. Es sei keine zwingende Notwendigkeit vorgelegen, den Asylantrag zurückzuziehen, weil auch ohne Niederlassungsbewilligung ein vorläufiges Aufenthaltsrecht in Österreich bestanden hätte.
Die verbindliche Wirkung eines Bescheides gemäß § 8 AsylG sei nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die sich auch auf § 51 FPG beziehe, allerdings nur soweit gegeben, als sich die für die Erlassung eines solchen Bescheides maßgebliche Sach- oder Rechtslage (nicht) geändert habe.
Die Berufung des Beschwerdeführers stütze sich darauf, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Abschiebung nach dem Dekret Nr. 33 eine neuerliche Verurteilung in Nigeria drohe und sein Leben sodann wegen der unmenschlichen Haftbedingungen bedroht wäre.
Es sei allerdings - so die belangte Behörde weiter - kein einziger konkreter, überprüfbarer Fall genannt worden, in dem ein Suchtgifthändler wegen des seiner Verurteilung zugrunde liegenden Verhaltens in Nigeria noch einmal verurteilt worden sei. Die belangte Behörde vermöge bloßen Zeitungsberichten, wie sie in der Berufung zitiert bzw. vorgelegt worden seien, keine nennenswerte Beweiskraft zuzumessen.
Demgegenüber habe das "deutsche auswärtige Amt" in einer Stellungnahme vom ausgeführt, dass nicht davon auszugehen sei, die nigerianischen Behörden würden Kenntnis von einer Verurteilung wegen des Handels mit Betäubungsmitteln in Deutschland erhalten, und die Gefahr der Doppelbestrafung bei Rückkehr unwahrscheinlich sei, weil das in Frage kommende Dekret Nr. 33 in der Praxis nicht angewendet werde.
Amnesty International habe in einer Stellungnahme angegeben, dass es gegenwärtig über keine Einzelfälle von nigerianischen Staatsangehörigen verfüge, die - entgegen dem Verbot der Doppelbestrafung - in Nigeria erneut aufgrund einer bereits in Deutschland abgeurteilten Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz mit Strafverfolgung "überzogen" worden seien.
Es sei nicht anzunehmen - so die belangte Behörde weiter -, dass diese Stellungnahme ergangen wäre, wenn tatsächlich im April 1999 ein aus Äthiopien abgeschobener Drogendealer in Nigeria "doppelt" bestraft worden wäre.
Dessen ungeachtet sei aber vielmehr die Tatsache entscheidungswesentlich, dass das "ominöse" Dekret Nr. 33 aus dem Jahr 1990 - also aus der Zeit der Militärdiktatur in Nigeria - stamme. Es werde ausdrücklich festgehalten, dass dieses Dekret Nr. 33 bereits im Zeitpunkt der Erlassung des rechtskräftigen Asylbescheides des Bundesasylamtes in Kraft gestanden sei. Konkrete Umstände, die ab dem Jahr 2001 eine schärfere oder sonst ungünstigere Anwendung des Dekrets Nr. 33 auf im Ausland verurteilte Drogendealer bzw. eine gegenüber den Zuständen im Jahr 2001 noch ungünstigere Entwicklung der Haftbedingungen, also eine maßgebliche Änderung der Sachlage glaubhaft machen könnten, seien aber nicht vorgebracht worden, sodass mit Zurückweisung des Antrags des Beschwerdeführers vorzugehen sei.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Die hier maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen des FPG (in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Fassung) lauten - auszugsweise - wie folgt:
"§ 50. (1) Die Zurückweisung, die Hinderung an der Einreise, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
(2) Die Zurückweisung oder Zurückschiebung Fremder in einen Staat oder die Hinderung an der Einreise aus einem Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
(...)
§ 51. (1) Auf Antrag eines Fremden hat die Fremdenpolizeibehörde mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß § 50 Abs. 1 oder 2 bedroht ist. Dies gilt nicht, insoweit über die Frage der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat die Entscheidung einer Asylbehörde vorliegt oder diese festgestellt hat, dass für den Fremden in einem Drittstaat Schutz vor Verfolgung besteht.
(...)
(5) Der Bescheid, mit dem über einen Antrag gemäß Abs. 1 rechtskräftig entschieden wurde, ist auf Antrag oder von Amts wegen abzuändern, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt wesentlich geändert hat, so dass die Entscheidung hinsichtlich dieses Landes anders zu lauten hätte. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über einen derartigen Antrag darf der Fremde in den betroffenen Staat nur abgeschoben werden, wenn der Antrag offensichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen ist."
1.2. Ein bei der Fremdenpolizei eingebrachter Antrag auf Feststellung nach § 51 Abs. 1 FPG ist zurückzuweisen, wenn insoweit bereits eine Entscheidung der Asylbehörden nach § 8 AsylG vorliegt. Den Fremdenpolizeibehörden steht jedoch die Kompetenz zur Abänderung eines "negativen" Ausspruches der Asylbehörden nach § 8 AsylG zu, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt wesentlich geändert hat, sodass die Entscheidung hinsichtlich des im Bescheid genannten Staates anders zu lauten hat. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, an den die für eine neuerliche Entscheidung positive Prognose anknüpfen kann (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2004/18/0110, und vom , Zl. 2006/18/0377, jeweils mwN).
2.1. Die Beschwerde bringt dazu im Wesentlichen vor, dass der Beschwerdeführer - anders als im Asylverfahren - in seiner Berufung das Dekret Nr. 33 herangezogen und vorgebracht habe, dass ihm aufgrund einer strafgerichtlichen Verurteilung aus November 2005 in Österreich eine neuerliche Verurteilung in Nigeria drohe und sein Leben danach wegen unmenschlichen Haftbedingungen bedroht sei.
2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom , Zl. 99/20/0573, ausgesprochen, dass ein derartiges Vorbringen geeignet sein kann, die Unzulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria zu begründen (vgl. dazu wiederum das hg. Erkenntnis vom ).
Wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, wurde der Beschwerdeführer am und somit nach der rechtskräftigen Abweisung seines Asylantrages mit Bescheid vom wegen Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz rechtskräftig verurteilt.
Die Verurteilung des Beschwerdeführers stellt somit eine wesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts dar (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis vom ).
3. Dadurch, dass die belangte Behörde dies verkannt hat und den Antrag - im Hinblick auf die Vorentscheidung durch die Asylbehörden - fälschlicherweise als unzulässig zurückgewiesen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008; im Hinblick darauf, dass dem Beschwerdeführer mit hg. Beschluss vom , Zl. VH 2007/18/0110-4, die Verfahrenshilfe u.a. im Umfang der Eingabengebühr gemäß § 24 Abs. 3 VwGG bewilligt wurde, kommt allerdings deren Ersatz nicht in Betracht.
Wien, am