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VwGH 29.01.2008, 2007/18/0601

VwGH 29.01.2008, 2007/18/0601

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
FrG 1993 §55;
FrG 1997 §76;
FrPolG 2005 §88 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §88 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §88 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §88 Abs1 Z4;
FrPolG 2005 §88 Abs1 Z5;
VwRallg;
RS 1
§ 76 FrG 1997 entspricht in seinen Grundsätzen dem § 55 FrG 1993. Nach den einschlägigen, wegen insofern unveränderter Rechtslage zur Auslegung des § 76 FrG 1997 heranziehbaren Gesetzesmaterialien zu § 55 FrG 1993 kommt es in den Fällen, in denen nach Maßgabe dieser Bestimmung Fremdenpässe ausgestellt werden können, nicht bloß darauf an, dass die Ausstellung des Fremdenpasses im Interesse des Betroffenen gelegen ist, sondern es muss auch ein positives Interesse der Republik Österreich an der Ausstellung eines Fremdenpasses für diesen Fremden bestehen. Österreich eröffnet mit der Ausstellung eines Fremdenpasses dem Inhaber die Möglichkeit zu reisen und übernimmt damit auch eine Verpflichtung gegenüber den Gastländern. Diese an sich nur gegenüber Staatsbürgern einzunehmende Haltung erfordert einen restriktiven Maßstab (Hinweis E , 98/18/0316, sowie zum FrG 1993 E , 97/21/0295).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 98/21/0474 E RS 1 (Hier: Dies gilt auch für die Verwirklichung jedes einzelnen der in den § 88 Abs 1 Z 1 bis 5 FrPolG 2005 umschriebenen Tatbestände.)
Normen
32004L0083 IntSchutz Staatenlose Flüchtlinge RL Art25Abs2;
EURallg;
FrPolG 2005 §88 Abs1 Z6;
FrPolG 2005 §88 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
RS 2
Die einleitende, (auch) auf Z. 6 zu beziehende Einschränkung des § 88 Abs. 1 FrPolG 2005, den Fremdenpass nur auszustellen, sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist, ist in Ansehung des hinreichend bestimmten und ein subjektives Recht einräumenden Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG, der eine derartige Einschränkung nicht vorsieht und die bereits bis zum umzusetzen war, gemeinschaftsrechtswidrig und hat daher in Fällen, die nach § 88 Abs. 1 Z. 6 FrPolG 2005 zu beurteilen sind, unangewendet zu bleiben. (Hier:Dies hat die belBeh nicht erkannt und daher nicht geprüft, ob die im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Umstände (Erkrankung der Mutter des Fremden) als humanitäre Gründe anzusehen sind, die die (vorübergehende) Anwesenheit des Fremden in einem anderen Staat erfordern, und ob die Ausstellung eines Fremdenpasses aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht geboten ist.)

Entscheidungstext

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

2007/18/0192 E

2006/18/0437 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schmidl, über die Beschwerde des FR in W, geboren am , vertreten durch Mag. Wilhelm Pruckner, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Gallgasse 50, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/132385/2007, betreffend Versagung eines Fremdenpasses, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom auf Ausstellung eines Fremdenpasses gemäß § 88 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005FPG, BGBl. I Nr. 100, abgewiesen.

Die Gründe des erstinstanzlichen Bescheides der Bundespolizeidirektion Wien seien auch für die Berufungsentscheidung maßgebend. Gemäß § 88 Abs. 1 FPG könnten Fremdenpässe, sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik Österreich gelegen sei, für den in den Z. 1 bis 6 leg. cit. umschriebenen Personenkreis ausgestellt werden. Der Beschwerdeführer habe seinen Antrag damit begründet, seine Mutter wäre schwer krank. Sie wäre in Bosnien und 65 Jahre alt. Er hätte keinen Vater. Der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde weiter - mache sohin humanitäre Gründe im Sinn des § 88 Abs. 1 Z. 6 FPG geltend. In den Fällen des § 88 FPG komme es aber nicht (nur) darauf an, dass die Ausstellung des Fremdenpasses im Interesse des Betroffenen gelegen sei, sondern es müsse auch ein positives Interesse der Republik Österreich an der Ausstellung eines Fremdenpasses für diesen Fremden bestehen. Worin im vorliegenden Fall das positive Interesse der Republik Österreich gelegen sein solle, sei weder vom Beschwerdeführer hinreichend geltend gemacht worden noch sei ein solches Interesse aus dem Akteninhalt erkennbar.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Die mit "Ausstellung von Fremdenpässen" überschriebene Bestimmung des § 88 Abs. 1 FPG hat folgenden Wortlaut:

"(1) Fremdenpässe können, sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist, auf Antrag ausgestellt werden für

1. Staatenlose oder Personen ungeklärter Staatsangehörigkeit, die kein gültiges Reisedokument besitzen;

2. ausländische Staatsangehörige, die zum unbefristeten Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt und nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen;

3. ausländische Staatsangehörige, die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen und bei denen im Übrigen die Voraussetzungen für die Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltstitels gegeben sind;

4. ausländische Staatsangehörige, die nicht in der Lage sind, sich das für die Auswanderung aus dem Bundesgebiet erforderliche Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen;

5. ausländische Staatsangehörige, die seit mindestens vier Jahren ununterbrochen ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet haben, sofern der zuständige Bundesminister oder die Landesregierung bestätigt, dass die Ausstellung des Fremdenpasses wegen der vom Fremden erbrachten oder zu erwartenden Leistungen im Interesse des Bundes oder des Landes liegt oder

6. Fremde, denen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt, wenn humanitäre Gründe deren Anwesenheit in einem anderen Staat erfordern, es sei denn, dies wäre aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht geboten."

1.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Fremdengesetz 1997 ist vorrangige, für die Verwirklichung jedes einzelnen der in den § 76 Abs. 1 Z. 1 bis 5 leg. cit. (entspricht nunmehr § 88 Abs. 1 Z. 1 bis 5 FPG) umschriebenen Tatbestände wesentliche Voraussetzung für die Ausstellung eines Fremdenpasses, dass dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist. Für die Ausstellung eines Fremdenpasses kommt es somit nicht bloß darauf an, dass die Ausstellung im Interesse des Fremden gelegen ist, sondern es muss auch ein positives Interesse der Republik Österreich an der Ausstellung eines Fremdenpasses für diesen Fremden bestehen. Österreich eröffnet mit der Ausstellung eines Fremdenpasses dem Inhaber die Möglichkeit zu Reisen und übernimmt damit auch eine Verpflichtung gegenüber den Gastländern. Diese an sich nur gegenüber Staatsbürgern einzunehmende Haltung erfordert einen restriktiven Maßstab (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/18/0505, mwN).

2.1. Die belangte Behörde hat die Versagung des Fremdenpasses maßgeblich darauf gestützt, dass (auch) in einem nach § 88 Abs. 1 Z. 6 FPG zu beurteilenden Fall für die Ausstellung eines Fremdenpasses primär auf das erforderliche öffentliche Interesse der Republik Österreich im Sinn des § 88 Abs. 1 (Einleitungssatz) FPG abzustellen sei.

2.2. Der Beschwerdeführer bringt vor, er sei "seit in Österreich aufhältig und genießt Asyl". Ihm die Möglichkeit der Rückkehr in dringenden Fällen nicht zu genehmigen, sei äußerst herzlos und menschenrechtswidrig.

2.3. Dem im Verwaltungsakt erliegenden erstinstanzlichen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom ist zu entnehmen, dass dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesasylamtes vom der Status des subsidiär Schutzberechtigten und eine (zuletzt bis befristete) Aufenthaltsberechtigung nach § 15 Abs. 1 iVm Abs. 3 Asylgesetz 2005 zuerkannt wurde.

2.4. Die am in Kraft getretene Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, Amtsblatt Nr. L 304 vom , S. 12-23, lautet auszugsweise:

"Kapitel VI

Subsidiärer Schutzstatus

Artikel 18

Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus

Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen

oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II

und V erfüllt, den subsidiären Schutzstatus zu.

(...)

Kapitel VII

Inhalt des internationalen Schutzes

Artikel 20

Allgemeine Bestimmungen

(1) Die Bestimmungen dieses Kapitels berühren nicht die in der Genfer Flüchtlingskonvention verankerten Rechte.

(2) Sofern nichts anderes bestimmt wird, gilt dieses Kapitel sowohl für Flüchtlinge als auch für Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz.

(...)

Artikel 24

Aufenthaltstitel

(1) So bald wie möglich nach Zuerkennung des Schutzstatus und unbeschadet des Artikels 19 Absatz 3 stellen die Mitgliedstaaten Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, einen Aufenthaltstitel aus, der mindestens drei Jahre gültig und verlängerbar sein muss, es sei denn, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dem entgegenstehen. Unbeschadet des Artikels 23 Absatz 1 kann der Aufenthaltstitel, der Familienangehörigen von Personen ausgestellt wird, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, weniger als drei Jahre gültig und verlängerbar sein.

(2) So bald wie möglich nach Zuerkennung des Schutzstatus stellen die Mitgliedstaaten Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, einen Aufenthaltstitel aus, der mindestens ein Jahr gültig und verlängerbar sein muss, es sei denn, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dem entgegenstehen.

Artikel 25

Reisedokumente

(1) Die Mitgliedstaaten stellen Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, Reiseausweise - wie im Anhang zur Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehen - für Reisen außerhalb ihres Gebietes aus, es sei denn, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dem entgegenstehen.

(2) Die Mitgliedstaaten stellen Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist und die keinen nationalen Pass erhalten können, Dokumente aus, mit denen sie reisen können, zumindest wenn schwerwiegende humanitäre Gründe ihre Anwesenheit in einem anderen Staat erfordern, es sei denn, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dem entgegenstehen.

(...)"

Die Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie ist am abgelaufen.

2.5. Gemäß § 88 Abs. 1 Z. 6 FPG kann einer Person, der der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zukommt, auf Antrag ein Fremdenpass ausgestellt werden, wenn humanitäre Gründe dessen Anwesenheit in einem anderen Staat erfordern, es sei denn, dies wäre aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht geboten.

Die einleitende, (auch) auf Z. 6 zu beziehende Einschränkung des § 88 Abs. 1 FPG, den Fremdenpass nur auszustellen, sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist, ist in Ansehung des hinreichend bestimmten und ein subjektives Recht einräumenden Art. 25 Abs. 2 der genannten Richtlinie, der eine derartige Einschränkung nicht vorsieht und die bereits bis zum umzusetzen war, gemeinschaftsrechtswidrig und hat daher in Fällen, die nach § 88 Abs. 1 Z. 6 FPG zu beurteilen sind, unangewendet zu bleiben.

Dies hat die belangte Behörde nicht erkannt und daher nicht geprüft, ob die im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Umstände (Erkrankung der Mutter des Beschwerdeführers) als humanitäre Gründe anzusehen sind, die die (vorübergehende) Anwesenheit des Beschwerdeführers in einem anderen Staat erfordern, und ob die Ausstellung eines Fremdenpasses aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht geboten ist.

3. Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.

4. Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
32004L0083 IntSchutz Staatenlose Flüchtlinge RL Art25Abs2;
EURallg;
FrG 1993 §55;
FrG 1997 §76;
FrPolG 2005 §88 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §88 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §88 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §88 Abs1 Z4;
FrPolG 2005 §88 Abs1 Z5;
FrPolG 2005 §88 Abs1 Z6;
FrPolG 2005 §88 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Sammlungsnummer
VwSlg 17372 A/2008
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4
Besondere Rechtsgebiete
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der
wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung
Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2
Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von
innerstaatlichem Recht EURallg1
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht
Anfechtungsrecht VwRallg9/2
Gemeinschaftsrecht Richtlinie unmittelbare Anwendung EURallg4/1
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2008:2007180601.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
ZAAAE-70708